Das Medien-Gericht

Spätestens Anfang Juni soll nun also im Kachelmann-Prozess das Urteil gesprochen werden. Ob der Moderator nun wegen Vergewaltigung verurteilt oder freigesprochen wird – das Urteil wird so oder so heftig diskutiert werden. Die Rolle der Medien steht schon jetzt auf dem Prüfstand. Wie kaum je zuvor wurde hier polarisiert, das Selbstverständnis der Reporter verschob sich. Das wird nicht ohne Konsequenzen für die Gerichtsberichterstattung allgemein bleiben.

Vorverurteilung

Die unrühmliche Rolle der Medien im Fall Kachelmann beginnt bereits lange vor Prozessauftakt. Schon hier werden die Grenzen des seriösen Journalismus von vielen Medien deutlich überschritten, so der Therapeut und Medienopfer-Experte Mario Gmür, der das als „Schauprozess außerhalb des Gerichtssaals“ bezeichnet. Von reinem „Bloßstellungsjournalismus“ spricht er sogar, einzelne Medien hätten Kachelmann vor Prozessbeginn gezielt demontiert, „aus rein kommerziellen Interessen. Es ging ihnen um Auflagensteigerung oder Quoten.“ Ein harscher Vorwurf.

Alfons Kaiser drückt das dezenter, aber nicht weniger kritisch aus: Dass die Unschuldsvermutung vor Prozessbeginn für viele Medien eine untergeordnete Rolle gespielt hat, findet auch der Ressortleiter „Deutschland und die Welt“ der FAZ und verantwortliche Redakteur für die Kachelmann-Berichterstattung. Doch er sieht nicht nur die Medien in der Schuld: „Schon vor Eröffnung der Hauptverhandlung wurde seitenweise aus Ermittlungsakten zitiert. Manche Texte lasen sich wie Anklageschriften. Das Privatleben des Angeklagten wurde regelrecht ausgeschlachtet, seine Reputation zerstört. Verantwortlich dafür sind nicht nur die Medien, sondern auch diejenigen aus den Reihen der Ermittlungsbehörden, die Informationen gezielt herausgegeben haben.“ Christoph Albrecht-Heider, Politikredakteur und Kachelmann-Berichterstatter der „Frankfurter Rundschau“, sieht das ähnlich und findet dafür deutlichere Worte: „Bereits vor Beginn des Prozesses hatten einige Berichterstatter die Frage, ob Kachelmann ein Täter ist, für sich entschieden.“ Sie hätten sich damit auf das „Niveau des bloggenden Publikums begeben“.

Lagerbildung

Noch vor Beginn der Hauptverhandlung entwickelt sich die Berichterstattung in den Medien zu einem Pro & Contra Kachelmann, zu einer „Lagerbildung“ mit Nord-Süd-Trennung, die zwischen „Spiegel“ und „Zeit“ (Pro) auf der einen und „Focus“ und „Bunte“ (Contra) auf der anderen Seite zu verlaufen scheint. Alice Schwarzer schreibt in ihrem Blog, dass sie unter anderem wegen der Pro-Kachelmann-Berichterstattung in der „Zeit“ als „Bild“-Kommentatorin in den Kachelmann-Prozess eingestiegen sei. Schon nach wenigen Kommentaren wird sie allerdings wegen ihrer eigenen Berichterstattung selbst zum Thema in den Medien: Ihr Engagement für das mutmaßliche Vergewaltigungsopfer ruft gar die Verteidigung des Wettermoderators auf den Plan, die Schwarzer einen „öffentlichen Feldzug“ gegen Kachelmann vorwirft und sie wegen angeblicher Kontakte zum mutmaßlichen Opfer und dessen Therapeuten sogar als Zeugin vorlädt. Doch Alice Schwarzer verweigert die Aussage. Zu ihrer Prozessberichterstattung in der „Bild“-Zeitung möchte sich die „Emma“-Herausgeberin auch gegenüber „medium magazin“ nicht äußern – da sich Schwarzer „in einer längeren Schreibklausur“ befinde und „zurzeit auch zum Fall Kachelmann keine Interviews gibt“, wie ihr Büro in einer E-mail mitteilt und stattdessen für aktuelle Stellungnahmen auf Schwarzers Homepage verweist.

Schwarzer ist nicht die Einzige, die sich nicht dazu äußern will. „Süddeutsche“-Reporter Hans Holzhaider findet den Prozess zu „komplex“, als dass man das hier „seriös zusammenfassen“ könne. Die Kollegen von der dpa hingegen lassen wissen, sie wollen sich ihren Kunden gegenüber nicht als Fachleute in den Vordergrund rücken.

Anders dagegen „Zeit“-Gerichtsreporterin Sabine Rückert. Sie hat kein Problem, öffentlich zu ihrer in den Medien ausführlich diskutierten frühen Parteinahme für Kachelmann im Prozess zu stehen: „Auch an meiner Art der Gerichtsberichterstattung wird dieser Prozess nichts ändern. Wenn ich aus guten Gründen zu der Einsicht komme, dass einem Menschen von der Strafjustiz Unrecht getan wird, dann mache ich das öffentlich. Das habe ich schon immer so gehalten und werde es auch weiterhin tun. Der Strafjustiz auf die Finger zu schauen, dazu ist die Presse da.“

Die Unschuldsvermutung des Gerichts hält Rückert für eine „Einbildung“, und sowieso seien viele Medien an der Unschuldsvermutung nicht sehr interessiert. In ihrer Prozessberichterstattung gehe es ihr prinzipiell darum, dem Fall und dem Verfahren gerecht zu werden. „Das Gericht sammelt Beweise, kommt dann zu einer Einschätzung der Beweislage und fällt zuletzt ein Urteil. Die Arbeit eines Gerichtsreporters besteht darin, diesen Prozess für die Öffentlichkeit zu begleiten, zu beschreiben und wenn nötig zu kritisieren.“ Rückerts Art sich einzumischen und die aktive Rolle, die ihr beim Verteidigerwechsel Kachelmanns zugeschrieben wird, kommt nicht bei allen gut an: Leser kündigen online an, ihr „Zeit“-Abo abzubestellen, die Berichterstattung im Blatt sei „schlicht degoutant“.

Dass Alice Schwarzer an einem Buch über den Prozess sitzt (erscheint bei KiWi) und Sabine Rückert mit Kachelmann-Verteidiger Schwenn in der Vergangenheit schon zusammengearbeitet hat, tut ein Übriges.

Allerspätestens seit dem Gutachten des Hamburger Rechtsmediziners Klaus Püschel sieht auch „Spiegel“-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen die Anklage gegen Jörg Kachelmann auf wackligen Beinen, wie sie in der Doku „Kachelmanns Fall“ erklärt, die im Schweizer Fernsehen SF lief. Von Alice Schwarzer wurde ihr hingegen früh eine Parteinahme für Kachelmann vorgeworfen. Eine Unterstellung, die Friedrichsen so nicht auf sich sitzen lässt, auch wenn, wie sie betont, Prozessberichterstattung immer subjektiv sei: „Der Gerichtsreporter berichtet, was er sieht und hört und für wichtig hält, so, wie es jeder andere Reporter auch tut. Selbst die reine Vermittlung von Fakten ist nicht objektiv“, erklärt sie. Als Profi wisse man allerdings mit dem subjektiven Blick umzugehen, etwa indem man die eigenen Eindrücke anhand der vorliegenden Fakten überprüfe. „So wie es nicht die reine Wahrheit gibt im Gerichtsverfahren oder, die‘ Gerechtigkeit, so gibt es im Journalismus auch nicht die reine Objektivität.“ Wegen des beträchtlichen Einflusses der Medien auf die Öffentlichkeit komme es hier allerdings besonders auf die Beachtung der Unschuldsvermutung an, betont Friedrichsen: „Leider genügen Vokabeln wie, mutmaßlich‘ und, angeblich‘ längst nicht mehr. Der Journalist muss heute bei der Bewertung von Ermittlungsergebnissen, die ihm Polizei oder Staatsanwaltschaft mitteilen, ausdrücklich auf deren Vorläufigkeit hinweisen.“

Zeugeninterviews

Was die Unschuldsvermutung betrifft, sind sich „Spiegel“ und „Bunte“ zumindest theoretisch bemerkenswert einig: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung laut Ziffer 13 des Presse-Kodex sei für die „Bunte“ „Leitlinie bei der Berichterstattung“, sagt deren Vize-Chefredakteurin Tanja May. Doch gerade die „Bunte“ hatte für heftige Kontroversen nicht nur in den Medien, sondern auch im Gerichtssaal gesorgt. Das People-Magazin hatte Ex-Geliebten des Wettermoderators zwischen 4.000 und 50.000 Euro für Exklusivinterviews gezahlt und damit nicht nur die Verteidigung gegen sich aufgebracht. Selbst Richter Joachim Bock kritisierte die Med
ienauftritte der Zeuginnen, die zudem fast in toto einer Vorverurteilung Vorschub leisteten.

May, die im Schweizer Fernsehen das Vorgehen und die Zahlungen des Verlags als allgemein üblich verteidigte, verweist darauf, die Medien müssten ihrer öffentlichen Informationsaufgabe gerecht werden. Die Frage nach der Objektivität beantwortet sie allerdings mit einer „Gegenfrage: Ist objektive Berichterstattung denn überhaupt möglich? Schon die Auswahl der Themen, über die berichtet wird, ist notwendig subjektiv gefärbt. Wenn ein Medium für sich Objektivität in Anspruch nimmt, sollte man misstrauisch werden.“ Und konkretisiert mit Blick auf die Kollegen: „Liest man beispielsweise in verschiedenen Medien die Berichterstattung über die Aussagen der Gutachter im Fall Kachelmann, deutet z. B. der ‚stern‘ dieselben Aussagen komplett anders als z. B. ‚Bild‘ oder ‚Spiegel‘.“ Gisela Friedrichsen, die so indirekt angesprochene „Spiegel“-Reporterin, kritisiert umgekehrt scharf: „Der Kachelmann-Prozess lässt befürchten, dass künftig gerade in spektakulären Fällen noch öfter Zeugen den Ausschluss der Öffentlichkeit beantragen werden, weil sie bereits mit Verlagen oder Sendern hochdotierte Exklusiv-Verträge abgeschlossen haben.“ Bernd-Ulrich Haagen, Leiter der ZDF-Redaktion Recht und Justiz und Moderator des 3sat-Gerichtsmagazins „Recht brisant“, geht sogar noch weiter. Er findet, der Fall zeige, dass die Rahmenbedingungen geändert werden müssten: „Wäre es nicht an der Zeit, Regeln zu schaffen, die die mediale Vermarktung von Zeugen unterbinden – zumindest bevor diese Zeugen im Prozess ausgesagt haben?“

Distanzlosigkeit

Ein häufiger Ausschluss der Öffentlichkeit, wie im Kachelmann-Prozess, behindert eine objektive Berichterstattung. Reporter sind aufs „Hörensagen“ angewiesen und damit offen für Bewertungen Dritter, meist sogar direkt am Prozess Beteiligter. Ein Problem, findet Alfons Kaiser (FAZ): Wenn Informationen unter der Hand weitergegeben würden, mache das anfällig für Einflussnahmen. Das Ergebnis sei überall nachzulesen gewesen: „So wurden einzelne Ermittlungsergebnisse und Gutachten in den Medien völlig unterschiedlich bewertet“, kritisiert Kaiser und mahnt eine größere Sorgfalt mit Informationen aus dem Gerichtssaal und „Hörensagen“ ein. Ähnlich sieht es Christoph Albrecht-Heider: „Man muss sich schon äußerst bemühen, in diesem Fall objektiv zu berichten“, es entstehe ein „undurchschaubares Gemisch aus Tatsachen und angeblichen Tatsachen“.

Jene Diskrepanz kenntlich zu machen und unabhängige und vor allem unvoreingenommene Prozessberichterstattung zu leisten, wäre Aufgabe aller Medien im Kachelmann-Prozess. Geschafft haben das nur die wenigsten: „Vieles, was über den Fall Kachelmann berichtet wurde, hat nichts mit Gerichtsberichterstattung zu tun“, resümiert Kaiser mit Blick auf die intimen Details, die über Kachelmanns Privatleben öffentlich wurden. Es sei Aufgabe der Medien, den Prozess kritisch zu verfolgen, aber: „Die Prozessbeobachter sollen nicht selbst ein Urteil sprechen.“

Medium:Online

Die Antworten der sechs Kollegen im O-Ton sowie das Interview mit dem Medienopfer-Experten Mario Gmür sind dokumentiert unter

www.mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 04+05/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 20 bis 21 Autor/en: Katy Walther. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.