Wir sind dann mal weg!

Eine Wanderung rund um Menorca. Ein Trip quer durch Norwegens Fjordland. Eine Nachttour durch Mumbai. Party in L.A., Beirut und Tel Aviv. Nichtstun in Lamu vor der kenianischen Küste. Trüffelsuchen in Istrien.

Solche Geschichten liest, hört und sieht man, wenn man sich aktuell durch Reiseteile und -sendungen arbeitet. Und wenn man mit den verantwortlichen Redakteuren spricht, mit freien Journalisten, mit Dozenten, die Reisejournalismus unterrichten, und obendrein mit der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten (VDRJ), dann bekommt man den Eindruck: Die Anzahl an Destinationen entspricht in etwa der Meinungsvielfalt, wenn es um die eigene Branche geht.

Das fängt schon bei der Aufgabendefinition an. Die einen wollen ganz serviceorientiert, dass ihre Leser wissen, welches Hotel taugt, welches nicht; die anderen sehen sich als Lieferant von Geschichten über Länder, Menschen, Abenteuer. �Man hat so die Chance, über Länder und Regionen zu berichten, ohne auf Negativnachrichten angewiesen zu sein�, erklärt Edith Kresta, die seit 1990 das Reiseressort der taz leitet. �Merian� möchte nicht als Reisezeitschrift wahrgenommen werden, die Ausrichtung sei kulturell, heißt es, und Reisejournalisten beschäftige man sowieso eher selten. Und Titel wie �Mare� sind erst recht Reise- und Kulturtitel in einem. Der hochglänzende Neuzugang am Kiosk, �Gapz�, sieht Reisen gleich als Lifestyle, laut Herausgeber und Chefredakteur Michael Köckritz ist es ein �urbanes Avantgarde-Unterwegssein-Magazin�.

Die Veränderung ist eklatant: Vor einem halben Jahrhundert ging es noch darum, den Menschen zu zeigen, wie man überhaupt reist, wie man in Italien einen Kaffee bestellt, welche Sehenswürdigkeiten es gibt. �Früher war der Reporter Reiseleiter�, sagt Hansen-Jaax. �Den vertonten Baedeker gibt es nicht mehr.� Heute steht das Reportage-Erlebnis im Vordergrund, der Leser soll sich in ferne Welten träumen, gerne vom Balkon aus.

Reisen kostet

So verschieden die Aufgabendefinitionen, eines haben sie alle gemeinsam, egal ob Print, Hörfunk oder TV: Reiseredaktionen sind die kostspieligste journalistische Gruppe. Bedingt allein schon durch den Gegenstand ihrer Berichterstattung: die Entstehung der meisten Geschichten setzt Flug, Hotel, Essen voraus. Das geht ins Geld. Da aber die wenigsten Redaktionen über üppige Spesenkonten verfügen, wundert es nicht, dass die finanziellen Abhängigkeiten hier mehr als in anderen Ressorts die Rahmenbedingungen diktieren: Es bestimmt das Sujet der Geschichte, die Haltung von Verlag und Sender zum Ressort, ebenso wie die Lage der freien Reisejournalisten.

Die offensichtliche Lösung: sich einladen lassen. Die Tourismusunternehmen und Fremdenverkehrsämter zahlen ja gerne. Entweder in Form organisierter Pressereisen oder indem sie individuell geplante Routen sponsern. �Der Reisejournalismus gilt als Schmarotzerjournalismus�, gibt Edith Kresta das gängige Klischee wieder. �Dabei geht es hier um ein Produkt wie jedes andere auch.� Nur mit einem kleinen Unterschied: ein Buch, ein Theaterticket oder eine CD sind problemlos aus der Portokasse zu zahlen.

Und eben weil das Reiseressort finanziell so aufwendig ist, taugt die Sparte durchaus als Mikrokosmos der Branche, im Fokus: journalistische Unabhängigkeit. Wie also halten es die Kollegen damit?

Die NDR-Redaktion �Zwischen Hamburg und Haiti� beispielsweise geht gar nicht mit auf Pressereisen, schickt lieber die Korrespondenten vor Ort los und bezahlt deren Reisespesen, für Freie gibt es daher kaum Geld; auch, weil man es als öffentlich-rechtlicher Sender kaum legitimieren könne, die Gebührengelder dafür auszugeben. Bei der �Zeit� sind die Reisen zu 70 Prozent selbst bezahlt, so Ressortleiterin Dorothée Stöbener. Die Zeitungsagentur Raufeld Medien, die unter anderem die Reiseteile der Dumont-Blätter �Frankfurter Rundschau�, �Berliner Zeitung� und �Kölner Stadtanzeiger� bespielt, arbeitet zu �99 Prozent� auf Einladung, Budget für Spesen gibt es nicht; ein Problem für viele Lokal- und Regionalzeitungen. �Man kann lernen, mit Pressereisen umzugehen�, erklärt Cornelia Tomerius, die die Reiseseiten als freie Redakteurin bei Raufeld mit betreut und nebenher auch frei für andere, wie etwa �Merian�, schreibt: �Es gibt gute und schlechte, einige wie Studiosus akzeptieren die journalistische Freiheit, andere nicht.� Wenn sie etwa für �Merian� unterwegs ist, kümmert sie sich um Hotel und Flug selbst, reicht dann die Rechnungen ein, �das ist natürlich das Paradies�.

Jeder Chefredakteur, der behauptet, im Reiseressort würden keine Einladungen angenommen, lügt�, sagt hingegen VDRJ-Vorstand Jürgen Drensek. �Ich glaube nicht, dass irgendeine Zeitung die Reisen selbst zahlt�, sagt Peter Linden, freier Journalist und Trainer, der auch Reisejournalismus-Workshops veranstaltet. Denn auch wenn das offiziell keiner bestätigt: Dass Rechnungen geschönt werden, ein Sender oder ein Verlag 400 Euro für eine Reise des mehrfachen Werts zahlt, sei Usus, hört man von allen Seiten.

Wir wurden eingeladen.�

Als Zwischenlösung wird immer wieder debattiert, zu deklarieren, dass eine Reise nicht von der Redaktion selbst bezahlt wurde. Die �Welt am Sonntag� praktiziert das, ebenso die taz. Ein kleiner Satz unterm Text, mehr nicht. �Das ist gut, so weiß der Leser, in welchen potenziellen Abhängigkeiten das geschrieben wurde�, findet Hans J. Kleinsteuber. Der Politikwissenschaftler hat ein Buch über die Ethik des Reisejournalismus geschrieben und fordert: �Die Geldströme sollten offenbar sein.� Auch wenn er die These vertritt, Transparenz habe eine ganz andere Wirkung als Werbung auf den Rezipienten, so kommt die Nennung des Veranstalters für die Tourismuswirtschaft nicht ungelegen: �Für die PR-Branche ist dieser Hinweis ein goldener Kompromiss�, erklärt VDRJ-Mann Drensek. Viele sehen diese Transparenz-Formel eher kritisch � man sorgt sich, dass so der Eindruck, die Redaktionen seien käuflich, noch verstärkt werde. �Unser Schreiben ist nicht korrumpierbar�, erklärt die Reisechefin der �Zeit� Stöbener, weshalb sie es überflüssig findet, diese Deklarationspraxis in ihrem Ressort einzuführen.

Der Reiseteil als Melkkuh

Allein dass die Frage �kenntlich machen oder nicht� regelmäßig Thema in fast allen befragten Redaktionen ist, zeigt, wie schmal der Grat ist. �Produktnennungen oder gar -empfehlungen durch profilierte Redaktionen können höchst positive Auswirkungen auf den Erfolg eines Produktes haben�, findet Lars Nielsen, Chefredakteur von �Geo Saison�. Und eben daher müsse man sich der Verantwortung bewusst sein und etwa einen klaren Strich zwischen Anzeigenabteilung und Redaktion ziehen.

Print ist, anders als Hörfunk oder TV, sowieso ein Sonderfall. Die ressortspezifische Besonderheit: Der Reiseteil ist gemeinhin die �cash cow� der Verlage, einst gegründet, um Anzeigen zu verticken; mittlerweile hat sich die Reiseredaktion zumindest in den überregionalen Blättern emanzipiert und hängt nicht mehr am Gängelband der Anzeigenabteilung. Wobei immer gilt: Der Seitenumfang des Ressorts ist direkt gekoppelt mit der Anzeigenlage. �Das Anzeigenaufkommen beeinflusst das Platzangebot�, fasst Dorothée Stöbener von der �Zeit� es knapp zusammen, sprich: Das eine bedingt das andere; werden für den Reiseteil keine Anzeigen geschaltet, gibt es weniger redaktionellen Platz. Die Genese der Reiseteile prägt die Reiseressorts eben nach wie vor. �Das Problem ist nicht die Tourismusbranche, es sind auch nicht die Journalisten, sondern die Verleger�, sagt Peter Linden. &#x201
E;Die Reiseteile werden nur als Melkkuh betrachtet.�

Anfang April veröffentlichte Sebastian Heiser in der taz seine Undercover-Recherche zur Schleichwerbe-Praxis der Verlage. Über sein Gespräch mit dem Anzeigenverkäufer von �Geo Saison� schreibt er da: �Ich habe gerade gefragt, ob die Redaktion über Thüringen als Reiseland berichtet, wenn wir im Gegenzug ein paar Anzeigen vermitteln. Das komme häufiger vor, erläutert der Mitarbeiter. Es gebe dann sogar einen eigenen Beihefter nur über dieses Thema.� �Geo Saison�-Chefredakteur Lars Nielsen bestätigt, das könne in der Tat vorkommen, aber nur, wenn die Destination interessant sei � bei Nordkorea eher nicht. Für ihn seien diese anzeigenfinanzierten Supplements �wie Keks und Schokolade in einem�, schließlich seien sie inhaltlich �komplett von uns�, die Redaktion arbeite unabhängig: �Wir machen das mit der gleichen Akribie wie alles andere auch, die Texte werden auch von der Dokumentationsabteilung überprüft.� Bei �Gapz� gibt es etwas Ähnliches: �Creative Space� nennt Michael Köckritz das Format. Der Kunde bezahle dafür, dass die Redaktion ihrer Kreativität freien Lauf lasse, um das jeweilige Produkt in Szene zu setzen, eine neue Form Advertorial, ohne direkten Einfluss des Anzeigenkunden.

Wie problematisch dieser Spagat ist, sieht man besonders gut an der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten (VDRJ). Sie trägt zwar dezidiert �Journalisten� im Namen, aber vereint Journalisten und PR-Leute aus der Branche unter einem Dach. Wenn man das anspricht, reagiert Vorstand Jürgen Drensek empfindlich. Man merkt, dass er das Thema satthat; man könnte sagen, er geht direkt in die Defensive über: �Wir sind da transparenter und fortschrittlicher als die Berufsverbände DJV und IG Medien�, sagt er. In der Tat sind auf der Homepage die Mitglieder sauber nach Kategorien getrennt, es gibt einen Ethikkodex für jede Gruppe, frisch überarbeitet und recht konkret, außerdem sind die PR-Leute vereinsrechtlich Mitglieder �zweiter Klasse� � Vorstand werden können sie nicht. Und wenn ein freier Journalist auf einmal nebenher schwerpunktmäßig sein Geld mit PR-Arbeit verdient, muss er die Gruppe wechseln.

Die organisatorische Nähe von PR und Journalismus, unter dem Deckmantel des Journalismus, sie bleibt. Dörte Hansen-Jaax, Redaktionsleiterin der NDR-Hörfunk-Sendung �Zwischen Hamburg und Haiti�, die gerade 60. Jubiläum feierte, entdeckte die Verquickung auf der Verleihung des Columbus-Preises, den die VDRJ jedes Jahr zur ITB an Reiseredaktionen vergibt. Auch zwei Arbeiten des NDR wurden prämiert; als sie den Preis in der Hand hielt, sah sie darauf ein Sponsorenlogo � ein Tourismusunternehmen: �Wir diskutieren in der Redaktion gerade, ob unsere Sendungen in diesem Umfeld gut aufgehoben sind�, sagt Hansen-Jaax.

Spezialität: Wandern

Besonders freie Journalisten trifft diese Verquickung hart. Sie sind darauf angewiesen, dass die Tourismusbranche sie einlädt. Die Gefahr, etwas positiver darzustellen, als es war, um weiter eingeladen zu werden und weiter Reiseberichte verkaufen zu können, reist da immer mit. Davon leben können die wenigsten, allein der Zeitaufwand fürs Unterwegssein wird über Zeilenhonorare oder Pauschalen kaum abgedeckt. Allerdings, so Reportagedozent Peter Linden, sehen viele Freie häufig bereits den immateriellen Gegenwert, also die teure Reise, als Bezahlung: �Man rechnet sich das schön.�

Zwei Drittel bis drei Viertel der Freien machen mit Reisegeschichten 1.000 bis 1.500 Euro Umsatz im Monat, rechnet Drensek vor. Sie müssten anfangen, als Unternehmer zu denken, sich neue Konzepte erarbeiten. Etwa sich auf Wander- oder Tauchthemen spezialisieren, vielleicht ein Wandermagazin fürs iPad entwickeln und über iTunes vertreiben. Im Herbst organisiert der VDRJ einen eigenen Workshop, eingeladen sind die Gewinner des Columbus-Preises, auf Zypern sollen neue reisejournalistische Formate entwickelt werden.

Aber auch in den Redaktionen, gerade von Lokal- und Regionalzeitungen, gibt es Ängste: �Outsourcing� ist das Gespenst, das umgeht; auch Raufeld Medien in Berlin, für die Cornelia Tomerius arbeitet, profitiert davon. Eine Geschichte kann so in x Tageszeitungen landen. �Der Reisejournalismus geht vor die Hunde�, kommentiert taz-Frau Edith Kresta. �Überall stehen die gleichen Geschichten, zugeliefert von Redaktionsagenturen.�

Doch es gibt ja auch noch die andere Seite: Kaum ein Ressort kann so unabhängig Themen setzen. Doch wenn die Welt in Umsturz gerät wie in den letzten Monaten, Reiseziele wie Tunesien, Ägypten oder Japan von einem Tag auf den anderen in Katastrophenszenarien versinken, muss man umdenken. Zeit, die Perspektive zu verschieben. So wie �Geo Saison�-Chefredakteur Lars Nielsen. Er stellte fest, dass Kreuzfahrten derzeit ein Boom-Thema sind. Kein Wunder, findet er: �In der unruhigen Zeit, in der wir gerade leben, ist das eine vergleichsweise verlässliche Form des Reisens.� Andererseits: Dass die Aktualität das meist zeitlose Reiseressort immer mal wieder einholt, hat auch etwas für sich. So muss sich der Reisejournalismus ständig neu erfinden.

Das haben Reisejournalisten im Gepäck:

Deutsch für Profis� von Wolf Schneider.

(Sönke Krüger, WamS)

Eine Taschenlampe!

(Barbara Liepert, FAS)

Taschenmesser. Eine Kollegin schwört auf Reisesocken.

(Lars Nielsen, �Geo Saison�)

Kleines Notizbuch mit festem Einband, Kugelschreiber.

(Niclas Müller, �ADAC-Reisemagazin�)

Einen Koffer, so klein, dass er als Handgepäck durchgeht.

(Anna Löfken, �Brigitte�)

Infos

Vereinigung Deutscher Reisejournalisten:

www.vdrj.de

Ethikkodex der VDRJ:

http://vdrj.de/codex/regeln-journalisten

Organisation nordamerikanischer Reisejournalisten:

www.natja.org

Hans J. Kleinsteuber, Tanja Thimm: �Reisejournalismus. Eine Einführung� (VS Verlag 2008), 29,90 Euro

Reiseberichte

Reise-Radio von VDRJ-Vorstand Jürgen Drensek:

http://wasmitreisen.de

Podcast von �Zwischen Hamburg und Haiti�

http://hamburghaiti.radio.de

Wolfgang Büscher: �Hartland� (Rowohlt 2011), 19,95 Euro

Erschienen in Ausgabe 06/2011 in der Rubrik „Special“ auf Seite 40 bis 43 Autor/en: Anne Haeming. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.