Zuerst der Aufschrei, dann die Beschwichtigung, gefolgt vom Ansatz aufzuklären und der Frage, was zu tun sei, und schließlich die Versicherung: Das gibt es auch anderswo. Das seien die fünf typischen Stufen der Berichterstattung, wenn irgendwo ein Vorfall mit rechtsextremem Hintergrund über die Nachrichtenticker laufe, bilanziert Johannes Radke. Der freie Journalist hat sich schon während des Studiums spezialisiert, betreut mittlerweile das Blog „Störungsmelder“ und das Projekt „Todesopfer rechter Gewalt“ für „Zeit Online“, auch für die vom Verlag initiierte Wissensplattform „Netz gegen Nazis“ schreibt er. „Das Auffällige ist, dass sich gar nichts geändert hat in den vergangenen Jahren“, sagt er: Berichtet werde nur, wenn etwas passiert sei. Radke schult mittlerweile Kollegen, auch Journalistenschüler, denn ohne Spezialwissen geht es nicht: „Man kann sich das Thema nicht an einem Nachmittag anlesen“, das sei jedoch gerade in einigen kleineren Redaktionen gang und gäbe. „Wenn eine Bürgerkundgebung gegen den Moscheebau in XY stattfindet, dann muss man auch erkennen können, dass das nicht alles nur Anwohner sind, sondern sehen: Der Typ mit dem hellen Kragen da drüben, das ist der NPD-Vorsitzende aus dem Nachbardorf“, erklärt Radke.
Vertieftes Expertenwissen hilft auch zu verhindern, dass sich Rechtsextreme als Medienopfer inszenieren können. Etwa um in TV-Live-Schalten an Wahltagen dem NPD-Vertreter nicht das Mikro wegzuziehen, sondern seine Aussagen souverän auseinanderzunehmen. Das gilt auch fürs Radio: „Gerade im Hörfunk müssen die Journalisten über die Hintergründe genau Bescheid wissen: Was ist der Unterschied zwischen rechtsextrem, rechtsextremistisch, rechts, rechtspopulistisch, rechtsradikal, was ist verfassungsfeindlich, was verfassungswidrig und so weiter“, sagt Wolfgang Kapust, der das Thema für den WDR-Hörfunk betreut: „Es bedarf dafür einer exakten Sprache und exakter sprachlicher Bilder.“ Gerade Lokalzeitungen kommen mitunter ins Schwanken bei dem Thema: Berichten sie, wird ihnen vorgeworfen, das schrecke Investoren in der Region ab. Das hört Dierk Borstel vom „Zentrum Demokratische Kultur“ immer wieder. Ebenso wie das These, man dürfe den Neonazis im eigenen Medium keine Plattform bieten und deshalb gar nicht über die rechtsextreme Szene berichten. „Der Schaden, nicht zu berichten, ist größer“, sagt Borstel, „Aufklärung ist das A und O“. Journalisten rät er, beim Dorfbäcker mit den Einwohnern zu plaudern, Stichworte wie „Ausländer“ fallen zu lassen. Und: mit potenziellen Opfern rechter Gewalt zu sprechen. Das öffne jedem Journalisten die Augen, so Borstels Erfahrung. /aha
Erschienen in Ausgabe 03/202012 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 20 bis 21. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.