Journalisten fotografieren, Polizisten lamentieren

Der Fall

Action in Schwäbisch Hall: Ein verhafteter mutmaßlicher Sicherheitschef der russischen Mafia muss zum Augenarzt. Um kein Risiko einzugehen, wird er mit einer kleinen Wagenkolonne zu seinem Termin in die Fußgängerzone begleitet: mit dem Sicherheitsfahrzeug eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) und zwei gepanzerten Wagen aus der Justizvollzugsanstalt. Auf dem Weg in die Praxis wird der Mann von SEK-Beamten eskortiert, der Einsatzleiter und die Beamten in Zivil warten im Eingang des Gebäudes. Ein Journalist und ein Pressefotograf sind vor Ort. Als der Fotograf sich anschickt, Bilder zu schießen, untersagt der Einsatzleiter das: „Wenn Sie fotografieren, beschlagnahme ich Ihre Kamera.“ Die Journalisten fügen sich – aber der Verlag will die Sache nicht auf sich sitzen lassen und klagt.

Das Urteil

Das Oberverwaltungsgericht gab dem Verlag in der Berufungsinstanz auf ganzer Linie recht: Das Fotoverbot war rechtswidrig. Da bei einer unrechtmäßigen Veröffentlichung zivil- und strafrechtliche Sanktionen drohen, müsse auch die Polizei grundsätzlich von der Rechtstreue eines Pressefotografen ausgehen. Dies gelte auch, wenn es um Einsätze besonders gefährdeter SEK-Beamter geht, die bei einer Identifikation möglicherweise Racheakten ausgesetzt sind. Die Untersagung von Bildaufnahmen könne daher nicht darauf gestützt werden, dass eine rechtswidrige Veröffentlichung der Bilder und dadurch eine Enttarnung der SEK-Beamten drohe. Um die gegensätzlichen Rechte und Bedürfnisse in Ausgleich zu bringen, gibt das Gericht allen Beteiligten auch noch eine ganze Reihe praktischer Tipps mit: Redaktion und Polizei könnten die Aufnahmen nachträglich gemeinsam sichten, um die Identität der SEK-Beamten zu schützen. Auch könne hinterher das Speichermedium beschlagnahmt werden. In diesem Fall müsste die Polizei kurz nach der Beschlagnahme gemeinsam mit dem jeweiligen Presseunternehmen über die Veröffentlichung und gegebenenfalls Unkenntlichmachung oder Löschung der gefertigten Aufnahmen entscheiden.

Die Folgen

Dass die Polizei Fotoaufnahmen verbietet, hat sich vor allem bei Demonstrationen etabliert. Das Urteil ist deshalb eine erfreuliche Klarstellung, dass die Polizei grundsätzlich kein Recht hat, die Arbeit von Bildjournalisten schon im Ansatz zu behindern. Ein wenig Stirnrunzeln ist jedoch bei den Tipps des Gerichts angebracht: Wenn freie Bildjournalisten beteiligt sind, wissen weder Polizei noch Fotograf in der Regel, welche Redaktion tatsächlich etwas davon veröffentlichen wird. Eventuell müsste sich die Polizei sogar mit mehreren Redaktionen abstimmen. Man kann sich die Freudensprünge in den Dienststellen vorstellen. Von einer gewissen Unkenntnis der Arbeitsweise von Fotojournalisten zeugt auch der Hinweis, man könne ja nach Anfertigung der Fotos zunächst die Speicherkarte beschlagnahmen – viele Fotografen schicken ihre Bilder inzwischen ohne Verzögerung direkt nach der Aufnahme per UMTS-Verbindung in die Redaktionen. Die Beschlagnahme der Speicherkarte bliebe damit ohne Effekt. Besorgt muss man dem Gericht zufolge deshalb nicht sein – schließlich muss man ja zunächst von der Rechtstreue der Presse ausgehen.

Stephan Zimprich ist Rechtsanwalt im Hamburger Büro der internationalen Sozietät Field Fisher Waterhouse.

stephan.zimprich@ffw.com

Erschienen in Ausgabe 04+05/202012 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 62 bis 62 Autor/en: Stephan Zimprich. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.