Die neue Zeitungs-Flut

1. MADRID. Spanien soll eine neue Zeitung bekommen, oder besser gesagt, eine alte Bekannte will zurück an den Kiosk. Es handelt sich um die im Herbst 2007 gegründete und jetzt im Februar eingestellte Tageszeitung „El Público“. 18 der ehemals 160 Angestellten haben eine Genossenschaft gegründet. Noch vor Weihnachten soll „La Marea“, zu Deutsch „Die Flut“, erscheinen und die einstigen Leser von „El Público“ erreichen. Rund 30 Mitarbeiter des alten Blattes liefern als freie Autoren zu. Vorbild für das neue Blatt, das den alten Namen aus lizenzrechtlichen Gründen nicht benutzen darf, dessen politisch linken Geist aber weiterführt, ist die deutsche „taz“ – auch sie als Genossenschaft organisiert.

„Wir werden dreigleisig fahren“, erklärt Trini Deiros (41), Redakteurin der ersten Stunde bei „El Público“. Mit Tagesaktuellem online, Hintergründen in der Druckfassung. „Wir streben eine Wochenzeitung an, auch wenn wir am Anfang nur monatlich erscheinen werden.“ Zu Beginn sollen 20.000 Exemplare gedruckt werden, „El Público“ verkaufte zuletzt 80.000 bis 100.000 Exemplare täglich.

„El Público“ war die Tageszeitung der spanischen Linken. Als der Sozialist José Luis Rodríguez Zapatero im November 2011 verlor, hatten die Investoren kein Interesse mehr und stellten das Blatt ein. Die Ex-Eigentümer von „El Público“ leben von Fernsehproduktionen und dem Verkauf von Fernsehrechten. Der Deal war wohl: Sie erhielten gute Verträge mit dem staatlichen Fernsehen und den Zuschlag bei Fußballübertragungen sowie mehrere TV-Lizenzen. Im Gegenzug entstand „El Público“ als Gegengewicht für die übermächtige „El País“, die Zapatero, trotz ihrer sozialdemokratischen Orientierung, immer wieder hart kritisierte. Abgesehen vom schonenden Umgang mit Zapatero stand „El Público“ für etwas völlig Neues. „Wir machten einen Journalismus von Unten, griffen vor allem soziale Themen auf“, erklärt Deiros. In Zeiten der Sparpolitik Europas traf das Blatt damit die Erwartungen vieler Leser.

Die erste Nullnummer der neuen Ära erschien unter dem Namen der Herausgebergenossenschaft Mas Público am 12. Mai dieses Jahres – dem Jahrestag der „Bewegung der Empörten“. Eine Doppelseite sollte die Leser davon überzeugen, dass das Projekt Genossenschaft durchaus Erfolg haben kann. „Die Zeitung der 11.800 Eigentümer“ hieß die Reportage. Es ging um die deutsche „taz“.

Deiros und ihre Kollegen glauben, dass der Zeitpunkt günstig ist für neuen Journalismus. Und das trotz der Krise in der Branche. 8.000 Journalisten haben seit 2007 in Spanien ihren Job verloren. Zuletzt traf es 129 Kollegen der größten Tageszeitung des Landes, der „El País“. Dieses knappe Drittel der Belegschaft wurde entlassen, nicht etwa weil das Blatt rote Zahlen schreibt, sondern weil es weniger einnimmt als zuvor.

So etwas soll „La Marea“ nie passieren. „Deshalb ist Unabhängigkeit von großen Anlegern unser oberstes Ziel“, erklärt Redakteurin Deiros. Das Genossenschaftsmodell soll dafür garantieren. 70 Gesellschafter haben mittlerweile zusammen mit den 18 Journalisten knapp 100.000 Euro investiert, um das Experiment zu wagen. Selbst der Name „La Marea“ wurde basisdemokratisch entschieden.

Erschienen in Ausgabe 12/202012 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 14 bis 14. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.