Welt ohne Schatten

Eine glückliche Familie im Park. Die Wangen rosig, die Gesichter perfekt ausgeleuchtet, alle fröhlich und strahlend. Business-Menschen mit Laptops an blinkend weißen Schreibtischen. Oder Nahaufnahmen wie ein Händeschütteln, ein Augenzwinkern, eine Blume auf der Wiese – das sind die typischen Motive von Stockfotos. Bilder, die Tausende Male verkauft werden, an Redaktionen, Werbeagenturen, Unternehmen, Blogger und Webdesigner. Doch mit ihrer immer stärkeren Verbreitung wächst langsam auch die Kritik am vermeintlich „inhaltslosen Bild“.

Anfang der 2000er starteten die meisten Microstockagenturen ihre Internetplattformen. Anders als die großen Anbieter setzten sie auf einen reinen Onlinevertrieb und darauf, dass jeder mitmachen kann – nicht nur ausgewählte Profis. Ihren Siegeszug verdanken sie vor allem ihrem Preismodell und der Tatsache, dass die meisten Fotos, Grafiken und Videos lizenzfrei sind. Wer ein Microstockfoto kauft und veröffentlicht, bezahlt dafür nur ein paar Euro und muss sich keine Gedanken machen, ob er es mehrfach verwenden will, ob es online gehen darf oder nicht.

So entstand ein neuer Bildermarkt. Als die Verlage entdeckten, dass sich damit viel Geld sparen lässt, fanden die Bilder massenhaft Verwendung. Die Fotografen waren anfangs verärgert und sahen einen großen Preisdruck entstehen. Doch dann kam der große Wandel: Viele Grafiker und Fotografen haben sich mittlerweile auf den Microstockmarkt spezialisiert.

In einigen Redaktionen zieht dagegen Skepsis ein und auch bei Verbraucher- und Wirtschaftsthemen – den typischen Stockfotokategorien – versuchen sie, öfter mal ohne Fotolia, Shutterstock und Co. auszukommen.„Steuerthemen oder Konjunkturberichte zu bebildern, war noch nie einfach“, sagt Burkhard Riering, Chefredakteur der „Deutschen Handwerks Zeitung“. An den immer wiederkehrenden Motiven und Symbolbildern hat er sich aber mittlerweile sattgesehen. Denn Microstockagenturen bieten zwar eine unendlich große Auswahl an Bildern, trotzdem wirkt genau das für manche wie eine perfekt inszenierte Einheitlichkeit.

„Wir haben die Stockfotos eine Zeit lang getestet, aber schnell sehnt man sich zurück nach journalistischen Bebilderungen mit mehr Inhalt“, erklärt Riering, der für 2013 eine Bildoffensive ankündigt: „Mehr individuelle Infografiken ins Blatt“, lautet die Parole und dafür möchte er auch mehr Geld in die Hand nehmen. „Die Informationsflut, die auf die Leser einprasselt, wird immer größer. Das müssen wir auch über die Bildsprache kanalisieren“, sagt er. Ganz verzichten will er auf das Angebot der Microstockagenturen aber nicht, denn gerade für die schnelle Online-Berichterstattung oder als Basismaterial für Infografiken könne man hier fündig werden. Verhindern will er dagegen, dass die Bildsprache seiner Zeitung allein durch Stockfotos geprägt ist.

Ähnlich sieht das auch Peter Raffelt, der Leiter der Bildredaktion bei Gruner+Jahr-Wirtschaftsmedien. Auch er muss täglich abstrakte Themen bebildern und auch er nutzt Microstockfotos für bestimmte Zwecke. „Bei ‚Börse Online‘ hatten wir zum Beispiel viele Auflistungen mit den aktuellen Rohstoffpreisen, hier dienen die Bilder der reinen Optik“, erklärt Raffelt. Fotos sollen schnell begreifbar sein und dem Leser Orientierung geben, eigene Inhalte transportieren können die Stockfotos seiner Meinung nach aber eher selten. „Bei einer aktuellen Berichterstattung, bei der es um bestimmte Personen geht oder einen Ort, nehmen wir solche Fotos nicht“, sagt er. Da kämen weiterhin die normalen Pressefotografen zum Einsatz, deshalb könne hier aus seiner Sicht auch keine Konkurrenz entstehen. Zwar liefern die großen Nachrichtenagenturen auch Symbolfotos zu Finanz- und Verbraucherthemen und Raffelt nutzt auch diese. Einen Unterschied sieht er aber trotzdem: So seien auch die Symbolfotos der Nachrichtenagenturen immer an ein aktuelles Thema geknüpft und hätten oft einen regionalen Bezug. „Das schafft Nähe, aber wenn man etwas wirklich Zeitloses und etwas mit einem internationalen Charakter möchte, findet man das eher bei den Stockfotos“, sagt Raffelt.

Sven Darmer von der Bildagentur Davids ist da ein wenig kritischer. Er fotografiert im Auftrag verschiedener Tageszeitungen und versorgt diese Tag für Tag mit Bildern von Pressekonferenzen und Veranstaltungen in Berlin. Seine Fotos stünden nicht im Wettbewerb mit den Stockfotos, sagt er. „Trotzdem entsteht auf dem Fotomarkt insgesamt ein Preisgefälle, das auch wir spüren“, so der Geschäftsführer und Fotograf. Bei bestimmten Themen würden die Redaktionen schon zweimal überlegen, ob statt einem Auftragsfoto nicht auch ein Stockfoto ausreiche.

Hinzu kommt, dass es mittlerweile sogar komplette Gratis-Angebote von Stockfotoagenturen gibt, die sich allein über Werbung tragen. Auf Fotodatenbanken wie Pixelio tummeln sich nach Aussage des Unternehmens jedoch nur sehr wenige professionelle Fotografen. „Das Geldverdienen steht bei unseren Anbietern nicht im Vordergrund“, sagt Bettina Hein, Online-Projektmanagerin bei Pixelio. Es sei der Austausch über Bildqualitäten und Fototechnik, den die Fotografen schätzen, die hier ihre Fotos der Öffentlichkeit zugänglich machen. „Wenn das Foto dann veröffentlicht wird, ist das der Lohn für die Anbieter. Dann sind sie stolz“, erklärt Hein und weist darauf hin, dass natürlich auch ein paar Profis hier ein paar Bilder hochladen, um ihren Namen bekannter zu machen. „Bislang ist es aber eine Ausnahme, wenn es ein Foto wirklich in eine Zeitung oder Zeitschrift schafft“, sagt sie.

„Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun“, sagt auch Murat Erimel, der Marketingchef bei Fotolia in Deutschland, Österreich und der Schweiz und damit bei der Microstockagentur, die den deutschen Markt auf diesem Segment beherrscht. Der Kritik aus den Redaktionen entgegnet Erimel mit Zahlen: den weiter steigenden Downloads und der Tatsache, dass Verlage weiterhin sehr große Bildkontingente buchten. Über 21 Millionen lizenzfreie Fotos, Videos und Vektorgrafiken bietet allein Fotolia, besser gesagt: bieten die über 250.000 registrierten Anbieter, über diesen Marktplatz. „Unsere Konkurrenten sind die anderen Stockagenturen, die ihre qualitativ sehr guten Bilder teurer und exklusiv anbieten. Pressefotografie funktioniert anders“, sagt Erimel. Er sieht das Angebot seiner Agentur deshalb vor allem als Chance für Fotografen und Grafikdesigner. Als Fotograf habe man heute drei Möglichkeiten: Entweder man sei sowieso gefragt genug, man verdiene sich über Microstockagenturen etwas dazu oder konzentriere sich voll auf Microstockfotografie.

So hat auch Mediendesigner und Fotograf Matthias Enter Fotolia für sich entdeckt und bietet über diesen Weg erfolgreich Bilder an. „Man wird hier definitiv viel schneller Fuß fassen als bei anderen Agenturen“, sagt er. Er setzt jedoch nicht auf eine Zweitverwertung, sondern verkauft seine Bilder hier exklusiv. Damit steigen für ihn die Einnahmechancen. Anfangs bot er seine Bilder nur unter Pseudonym an, das ist vorbei. Schon mehrmals hat er einen Auftrag bekommen, weil sich jemand bei Fotolia ein Bild von seinem Stil und seinem Können machen konnte. Seine Strategie: „Ich überlege mir, was die Kunden gebrauchen können, was zur Jahreszeit oder zu einem gerade gefragten Thema passt und erstelle dann gezielt nur für Fotolia ein paar Bilder.“ Da Matthias Enter Mediendesign studiert hat und kein gelernter Fotograf ist, sind es vor allem graphische Elemente wie Logos oder Comicfiguren, an denen er verdient. Doch wie mittlerweile viele andere Stockfotoanbieter organisiert er zwischendurch auch immer mal ein Fotolia-Shooting in seinem eigenen Studio. „Die Qualitätskriterien sind heute härter“, sagt Enter. Fotolia werde immer mehr zum Profimarkt. Man könne heute nicht mehr
irgendetwas hochladen. Typische Stockfotos zu machen sei jedoch nicht schwer, die Bilder seien immer nach einem ähnlichen Prinzip aufgebaut: wenig künstlerisch, mit knackigen Farben und gut ausgeleuchteten Gesichtern. „Mich wundert es schon, dass diese Art von Fotos so oft gekauft werden, aber der Markt will es anscheinend so.“ Wenn er eine Zeitschrift durchblättert, erkennt er auf einen Blick, ob es sich um ein Stockfoto handelt oder nicht.

„Wir verkaufen keine Helmut-Newton-Fotografie, aber welcher Verlag will denn wirklich solche Bilder – und wer kann die Preise dafür bezahlen?“, sagt Murat Erimel. Auch wenn Fotolia durch eine eigene Qualitätskontrolle ein wenig Einfluss auf die Bildauswahl nimmt, seien es die Nutzer selbst, die das Angebot bestimmten. „Bei der Art der Bilder, die immer wieder gekauft wird, legen die Fotografen nach und bieten Neues an. Sie analysieren den Markt“, sagt der Marketingchef. So sei auch der typische Stockfotostil entstanden. „Unser Angebot kann nicht jeden glücklich machen, aber das ist auch gar nicht unser Anspruch.“

Jana Tashina Wörrle ist freie Journalistin in Berlin.

kontakt@jana-tashina-woerrle.de

Stockagenturen: die verschiedenen Modelle

Macrostock: Diese Agenturen bieten Bilder im höherpreisigen Segment an. Dabei handelt es sich meist um Auftragsarbeiten, die exklusiv für bestimmte Zwecke erstellt werden. Je nach Verwendung erzielen Fotografen dabei Preise von mehreren 100 Euro. Sie verkaufen hier nicht nach Menge, sondern wenn sie die Qualitätskriterien der Agentur erfüllen. Vertrieben werden die Bilder hauptsächlich über direkte Kontakte zu Verlagen und Werbeindustrie.

Beispiel: Getty Images

Microstock: Hier gibt es Bilder weitestgehend lizenfrei und zu Preisen ab etwa einem Euro pro Bild – allerdings nur über die Internetportale. Fotos, Grafiken und Videos anbieten und kostenpflichtig herunterladen kann hier grundsätzlich jeder.

Beispiele: iStockfoto, Fotolia, Shutterstock

Kostenlose Bildportale: Die Bildauswahl ist eingeschränkt. Hier sind vor allem Hobbyfotografen und Fotografen aktiv, die über das Bereitstellen von kostenlosen Bildern bekannter werden wollen. Die Portale fungieren als reine Aufmerksamkeitsplattform und sind ausschließlich werbefinanziert.

Beispiel: Pixelio

Erschienen in Ausgabe 04/202013 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 60 bis 61 Autor/en: Jana Tashina Wörrle. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.