„Avanti dilettanti“

Im April ist Josef-Otto Freudenreichs �Kontext� gestartet � im Internet, als Samstagsbeilage der taz-Süd und mit viel Wohlwollen. Und wie läuft�s jetzt?

Stuttgart. Kaum waren die ersten Artikel der Internetzeitung �Kontext� freigeschaltet, hatte das Redaktionsteam um Josef-Otto Freudenreich die Erwartungen teilweise schon enttäuscht. Am 6. April, vor gut 400 Gästen im Stuttgarter Staatstheater, verkündete Freudenreich: Nein, auf ein Sprachrohr für die Gegner des Bahnhofprojekts S 21 wolle sich �Kontext� nicht reduziert sehen, ebenso wenig auf �links-alternativ� oder �pro Grün-Rot�. �Wir wurden gleich in mehrere Schubladen gesteckt, in die wir nicht hineinwollen�, berichtet er. Womöglich auch deshalb ist die von der Redaktion erwartete Flut an Kommentaren ausgeblieben. Die Höchstzahl von neun Leserreaktionen erhielt ein mahnender Artikel an den neuen Regierungschef in Stuttgart, geschrieben vom ehemaligen Porsche-Pressechef Anton Hunger (s. auch Kolumne S. 60). �Würden wir uns auf S-21-Themen konzentrieren, wäre die Kommentierfreudigkeit sicherlich höher�, sagt Freudenreich. Aber dann wären die Schubladen endgültig zu.

Jeden Mittwoch füllt die �Kontext�-Redaktion ihre Website mit neuen Geschichten, samstags erscheinen in der taz südlich von Frankfurt vier Seiten mit �Kontext�-Artikeln. Freudenreich lacht sein listiges Lachen und erzählt in geruhsamstem Schwäbisch, dass �das LKA unser interessiertester Leser ist�. Sie wissen, dass sich oft schon mittwochs in der Nacht Computer aus dem LKA unter www.kontext-wochenzeitung.de einloggen � wohl auf der Suche nach brisantem Lesestoff.

Viel ist es bisher nicht. �Das kommt noch�, verspricht Freudenreich. Oben rechts auf der Seite lädt �Kontext� übrigens auch unter �Leaks� Informanten ein, der Redaktion Dokumente zuzuspielen.

Zu Spitzenzeiten, also mittwochs, zähle Kollege Heck bis zu 5.000 Besucher auf der Webseite, über die Woche verteilt seien es 20.000 bis 25.000, berichtet Freudenreich. Ein Fünftel davon verweile länger als eine Viertelstunde. Die ausführlichen Gipfel-Gespräche der beiden Zeitenspiegel-Journalisten Susanne Stiefel und Rainer Nübel, etwa mit dem scheidenden CDU-Kunst-Staatssekretär Dietrich Birk, oder die langen Sozialreportagen in der Rubrik �S-Klasse�, meist auch von Stiefel, erfordern Lesezeit. Das alles ist recht ansprechend, aber statisch. Mit entwaffnender Ehrlichkeit gesteht Freudenreich: �Wir sind noch nicht provokativ genug.� Auch müsse die Redaktion sich stärker im Dialog mit den Lesern einbringen. Vieles, was nicht funktioniert, sei dem Redaktionsmotto �avanti dilettanti� geschuldet. Und noch immer ist der Verein, der �Kontext� mit 200.000 Euro zunächst ein Jahr lang finanziert und hinter dem Honoratioren wie Edzard Reuter, Volker Lösch, Walter Sittler und Ulrich Kienzle stecken, in Gründung. Die Steuernummer fehlt und damit auch der Spenden-Button auf der Seite, und überhaupt fallen bei �Kontext� alle Entscheidungen basisdemokratisch. Ein wenig also geht es zu wie bei der taz.

Die hat �Kontext� aber schon jetzt glücklich gemacht: �Ein Geschenk des Himmels�, sagt Geschäftsführer Kalle Ruch sogar dazu. Am ersten Wochenende, als die taz im Süden mit der �Kontext�-Beilage erschien, habe sich der Verkauf dort vervierfacht, danach waren es immerhin doppelt so viel. Die Zahl der Verkaufsstellen wurde erhöht, allein ein Esslinger Grossist beliefert jetzt 300 statt zuvor 100. Wenn binnen Jahresfrist die Wochenend-Abos dort, wo die taz inklusive �Kontext� erscheint, um 1.000 gestiegen seien, habe sich das Ganze wirtschaftlich gerechnet, sagt Ruch. Dann seien die Druck-, Vertriebskosten und die halbe Redakteursstelle zur Produktion der Beilage gedeckt. Erst recht, wenn das Mailing an die Baden-Württemberger Genossen fruchtet. Laut Ruch hätten einige von ihnen ihre Anteile aufgestockt. Ulrike Simon

Im Internet: www.kontextwochenzeitung.de

Erschienen in Ausgabe 06/2011 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 8 bis 8. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.