Triumph auf Zeit?

Der Oberbürgermeister war gekommen und er fand warme Worte: „Das ist eine lobenswerte und hoch spannende Angelegenheit“, bescheinigte Berthold Tillmann (CDU) dem Projekt „Echo-Muenster.de“. Am Tag vor dem Start des neuen Online-Stadtmagazins besuchte Tillmann gemeinsam mit seinem persönlichen Referenten Oliver Teuteberg die Redaktionsräume in der Kettelerstraße 9. Das Konzept des von der Agentur Livingpage erstellten Internet-Auftritts interessierte ihn ebenso wie Perspektiven der Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltung und „Echo“-Team. „Ihr Projekt wird in unserem Haus mit großer Sympathie begleitet“, erklärte Tillmann an jenem Novembertag des vergangenen Jahres. „Diese Redaktion braucht Rückenwind und den sollten wir ihr alle geben.“

Tatsächlich könnte schon bald Rückenwind aufkommen, sehr bald sogar. Jedenfalls wenn es nach Guido Dermann geht, denn der geschäftsführende Gesellschafter von Livingpage verfolgt ehrgeizige Pläne. Nach Informationen des „medium magazins“ führt er derzeit intensive Gespräche, um einen dauerhaften Betrieb von „Echo-Muenster.de“ sicherzustellen. Denkbar wäre eine Zusammenarbeit des Online-Stadtmagazins mit der hiesigen (Print-)Stadtillu „Gig“. Das würde helfen, den lokalen Anzeigenmarkt besser – sprich crossmedial – zu beackern. Auch über Web-TV und Podcasts werde nachgedacht, so ein mit dem Projekt Vertrauter. Sollten sich diese Pläne nicht umsetzen lassen, könnte Livingpage immer noch versuchen, die guten Verbindungen zur Stadtverwaltung zu nutzen. Münster unterhält ein eigenes Portal, in das man den Schützling einbinden könnte. Die Stadt ist unter anderem mit dem Presse- und Informationsamt, Schulamt, Gesundheitsamt, Stadtwerke und Stadtbücherei üppig auf der Kundenliste der Agentur vertreten. Dermann bestätigte diese Informationen bis Redaktionsschluss allerdings nicht.

Onlineoffensive. So hatte sich das Verleger Lambert Lensing-Wolff sicher nicht vorgestellt. In einem Hinterhofbüro mit ein paar Tischen und Lap- tops residiert die frühere Kernmannschaft der „Münsterschen Zeitung“ (MZ). Jene Lokalredaktion, die Lensing-Wolff in einer Nacht-und-Nebel-Aktion freistellte und durch eine neue ersetzte. Sie arbeiten dort bis zu 70 Stunden die Woche an „Echo-Muenster.de“, jenem Portal, das nicht weniger sein will als der Versuch, dem alten Arbeitgeber junge Leser abzujagen. Die Redakteure, die sich angeblich den Neuerungen des Journalismus verschließen und auch deshalb weichen mussten, lassen sich zu Onlinern schulen. Sie finanziert eben jene Transfergesellschaft, in die sie nach dem Rauswurf im Januar 2007 gedrängt wurden. Die MZ züchtet sich gewissermaßen ihre eigene Konkurrenz heran, unterstützt von der Agentur für Arbeit. Ein Projekt, aus der Not geboren: Bei Bewerbungen auf die wenigen freien Stellen der Region waren die Ex-MZler samt und sonders chancenlos. Zu alt, zu teuer, das hörten sie immer wieder. Umschulen hieß daher die Devise.

So kamen sie an die Agentur Livingpage. Sie macht seither die Redakteure fit fürs Web und betreibt seit November „Echo-Muenster.de“, sozusagen die Seminar-Arbeit der Ausgemusterten. Die Agentur hat für ihre Schützlinge schon einiges erreicht: „Ein VW-Autohaus gehört zu den ersten etwa 30 Werbekunden, wie Sparkasse, Edeka und McDonald‘s“, zählt Agenturchef Dermann auf. Auch die Politik übt sich in Solidarität: „Münsters Mitte“ (CDU) und „Münster für alle“ (SPD) blinken auf den Seiten. Die Kosten für ein Banner sind mit 100 Euro pro Monat überschaubar. Zur Jahresmitte passt Livingpage die Preise an. Bislang registrierte die Site zwischen 18.000 und 21.000 Seitenaufrufe täglich. Der Spitzenwert lag bei 23.000 Page-Impressions (PIs) und damit deutlich über jenen 10.000 PIs, die in der Werbebranche als kritische Masse gelten.

Anzeigenalternative. Zwar ist die Gefahr groß, dass lokale oder regionale Online-Angebote mangels Besucher kaum Werbung verkaufen und daran scheitern. Experten räumen den kleinen Medien vor Ort aber durchaus Chancen ein. „Autohändler zum Beispiel suchen Alternativen zur klassischen Tageszeitung“, sagt Frank-Peter Lortz, Geschäftsführer der Düsseldorfer Mediaagentur Zenithmedia. Der Grund ist einfach. Vielen Lokalblättern bröseln die Jungen weg, die sich lieber im Internet tummeln: alle unter 40, junge Familien mit Kindern ebenso wie ausgehfreudige Singles – ein wunder Punkt der traditionellen Presse. „Über Online“, weiss Lortz, „können Werbetreibende zumindest einen Teil des ,Gaps’ schließen.“ Eine mögliche Lücke also für Anbieter wie „Echo-Muenster.de“. Vorausgesetzt, sie binden sich an einen bundesweiten Vermarkter, über den Werber ihre Etats regional streuen. „Wichtig ist außerdem ein inhaltliches Profil, eine klare Positionierung“, so Lortz. Von den redaktionellen Ideen hänge es ab, da „tun sich Lokalredakteure von Zeitungen oft ebenso schwer wie deren Anzeigenverkäufer, die auf einmal Bannerkunden akquirieren sollen“, sagt Rainer Wagner, Geschäftsführer der auf Zeitungsverlage spezialisierten Consultingfirma Sipa aus Saarbrücken. „Lokalzeitungen haben nie richtig verstanden, mit Online umzugehen.“

Eine Lernkurve, auch für die Münsteraner Neu-Onliner. Am Profil und guten Willen scheitert es wohl nicht. Denn mangels Etat schreiben die zehn Redakteure alles selbst, Agenturmaterial können sie sich nicht leisten. Und helfen sogar, wenn es sein muss, bei der Banner-Akquise. Einen Chefredakteur gibt es nicht. Ein bisschen erinnert das alles an die frühe „taz“, eine Art Journalisten-WG für ältere Semester. Sie bestücken sieben Ressorts von Aktuelles über Wirtschaft bis Service, besprechen drei Mal pro Woche ihre thematischen Schwerpunkte.

Wolfgang Halberscheidt ist Redaktionssprecher und tritt nach außen auf, Stefan Clauser ist der „Primus inter Pares“ nach innen. „Wir versuchen es ohne Hierarchie, auch als Konsequenz aus unseren Erfahrungen bei Lensing-Wolff“, sagt Halberscheidt. Er war 22 Jahre dort, er kennt sich aus in der Kommunalpolitik. Seine Kollegin Bruni Frobusch, die bei der „MZ“ zuletzt Kultur und die lokale Wirtschaft betreute, kommt auf 25 Jahre. Man spürt: Die Art und Weise, wie der Rauswurf erfolgte, hat bei den Geschassten Spuren hinterlassen. „Wir zeigen denen jetzt, wie es geht“, sagt der ehemalige Sportchef der „MZ“, Thomas Austermann, mit Blick auf die Ex-Kollegen. „Echo-Muenster.de“, das ist für alle ein kleiner Triumph. Vielleicht aber auch nur ein Triumph auf Zeit. Optimismus. Wie schwierig es noch immer ist, die lokalen Anzeigenmärkte abzugrasen, zeigt das Schicksal der pdf-Zeitung „On Ruhr“. Uwe Knüpfer jedenfalls ist nach seinem Ausflug als regionaler Medienunternehmer einigermaßen ernüchtert. Der ehemalige WAZ-Chefredakteur gründete vor zwei Jahren in Essen den LOZ Verlag (Lokale Online Zeitung) und startete am 17. November 2006 mit „On Ruhr“. Knüpfer konzentrierte sich auf das Ruhrgebiet. Seine Vision: Bis 2011 soll sich seine Idee deutschlandweit verbreiten. Doch da- raus wurde nichts. Nach einem halben Jahr hatten sich gerade 1300 Leser registriert. Eigentlich hätten es zu diesem Zeitpunkt zehn Mal so viele sein sollen. Mitte 2007 kam das schnelle Aus.

Bei allem Zusammenhalt in Münster – angesichts solcher Beispiele gibt sich die „Echo“-Truppe keinen Illusionen hin. Noch leben sie von der Solidarität in der Stadt, von alten Kontakten. Dass das keine Dauerlösung sein kann, weiß auch „Außenminister“ Halberscheidt: „Zehn Leute wird der Dienst vielleicht niemals ernähren.“ Zum Jahresende läuft die Unterstützung der Transfergesellschaft aus. Bis dahin will Agenturchef Dermann seine Medienallianz zimmern. n

Erschienen in Ausgabe 5/2008 in der Rubrik „“ auf Seite 64 bis 65 Autor/en: Text Thomas Forster. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.