Falsche Diplomatie

Spätestens seit dem 7. Oktober 2007, als die russische Journalistin Anna Politkowskaja von gedungenen Mördern in ihrem Hausflur erschossen wurde, ist klar: Es gibt im Russland von Präsident Wladimir Putin keine Pressefreiheit. Die Gewalt gegen kritische Journalisten hat dort viele Gesichter: Vor Kurzem erst übernahm Gazprom, auf Anweisung des Kreml, vollends den einstmals unabhängigen, kritischen Fernsehsender NTV. Das Vorgehen ist immer ähnlich. Erst wirft der Kreml den Journalisten einseitige Berichterstattung vor, dann folgt politischer Druck, schließlich wirtschaftliche Erpressung.

21 tote Journalisten. Wer sich nicht zum Sprachrohr der Regierung machen will, geht ein hohes Risiko ein. Nach Zählung von „Reportern ohne Grenzen“ starben in den vergangenen sieben Jahren seit Putins Machtantritt 21 russische Journalisten einen ungeklärten Tod. Heribert Prantl („Süddeutsche Zeitung“) hat kürzlich auf dem Jahrestag des Netzwerk Recherche festgestellt: „Die Meinungsfreiheit in Russland ist die Freiheit, Putin zu lieben – die meisten Russen machen davon Gebrauch.“ Noch bitterer sein Kommentar zur Lage der Journalisten: „Pressefreiheit ist dort die Freiheit so zu schreiben, wie Putin es mag – die meisten Medien machen davon Gebrauch.“ Doch leider steht Russland nicht allein. Auch die kritischen Kollegen in anderen osteuropäischen Staaten wie der Ukraine, Slowakei, Serbien oder Kosovo und vor allem Weißrussland leiden massiv unter dem Druck der jeweiligen Staatsmacht. So freiheitlich sich diese Länder gerne auf der internationalen Tribüne geben, die eigenen Medien gelten immer noch als Appendix des Staates, jeder kritische Unterton wird massiv unterdrückt.

Mangelnde Unterstützung. Einen Teil der Schuld an dem für junge Demokratien gefährlichen Zustand tragen auch unsere Politiker. Wenn sie Länder besuchen, in denen die Pressefreiheit dringend Unterstützung bräuchte, fügen sie sich brav in die Erwartungshaltung der dort Mächtigen. Da wird demonstrativ auf sonst übliche interne Hintergrundgespräche mit den ansässigen Journalisten verzichtet, und oppositionelle Journalisten mit Interviewwünschen so lange hingehalten, bis „aus zeitlichen Gründen“ abgesagt werden kann. Meist geht Diplomatie vor, wo das klare Bekenntnis zur Pressefreiheit langfristig mehr Eindruck hinterlassen würde. Eintreten für eine freie Presse gehört nicht zu den Charakterstärken europäischer Politiker.

Diese Situation hat das Netzwerk Recherche mit dem Schwerpunkt: „Druck auf die Pressefreiheit in Osteuropa“ während seines Jahrestags in Hamburg aufgegriffen. Zu Wort kamen jene kritischen Journalisten, die in ihren Heimatländern systematisch unterdrückt werden und deswegen fast nur in kleinen Oppositionsmedien veröffentlichen können. Neben der Schilderung von erschütternden Eingriffen durch die im Westen systematisch ignorierten Zensurmechanismen, artikulierten sie vielfältig auch ihre Enttäuschung über mangelnde Unterstützung durch die westliche Politik: Schon 1999, als die wichtigsten russischen Staatsmedien und Politmagazine über Monate hinweg eine von Kreml-Strategen gesteuerte Kampagne gegen alle Konkurrenten des damaligen Kandidaten Putin publizierten, hätte keiner der westlichen Politiker seine Stimme erhoben, obwohl es die wohl schmutzigste Wahlkampagne in der Geschichte Russlands gewesen sei, so der in Hamburg geäußerte Vorwurf. Putin als erfahrener Geheimdienstmann wusste, die westlichen „Partner“ würden ihm freie Hand lassen. Konsequent ließ er nur vier Tage nach seiner Vereidigung die Büros der Holding des damals noch unabhängigen Senders NTV von maskierten Männern ausräumen, die quasi in einem Aufwasch auch noch alle weiteren Medienbüros im gleichen Häuserkomplex durchsuchten, ohne Rechtsgrundlage. Selbst als das bekannt wurde, gab es von der westlichen Politik so gut wie keine Reaktion. Niemand darf sich also über den heutigen desaströsen Zustand der Pressefreiheit im ehemaligen Ostblock wundern.

Bis heute, trotz der international aufgeflammten Empörung über den Mord an Anna Politkowkaja, sind europäische Politiker immer noch nicht bereit, die Ostblockstaaten und Rußland wenigstens an ihren eigenen Maßstäben zu messen. Umso mehr sollten wir Journalisten sie in die Pflicht nehmen – und nicht nachlassen, sie deutlich daran zu erinnern.

Notiz:

Das Netzwerk Recherche e.V. hat zur Jahrestagung Mitte Juni 2007 auch eine Studie über Journalismus und Pressefreiheit in Osteuropa veröffentlicht. Infos dazu sowie zur Jahrestagung unter www.netzwerk-recherche.de

Erschienen in Ausgabe 7/2007 in der Rubrik „Standpunkt“ auf Seite 12 bis 13 Autor/en: Christoph Maria Fröhder. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.