Redaktionen sind ein Spiegel der Gesellschaft? Error 404 not found

In fünf Essays zum Journalismus widmet sich Olivia Samnick den großen Fragen rund um die viel verschrienen Medien: Wie steht’s um Pressefreiheit, Vertrauen, Macht, Arbeit und die Zukunft? Dies ist ein Auszug aus dem Kapitel „Arbeit: Wir können alle in die Presse – oder nicht?“


 

Redaktionen sind ein Spiegel der Gesellschaft?
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Wer fühlt sich berufen Journalist:in zu werden und wer landet letztlich in diesem Beruf? 

Journalist:in darf jede:r werden. Zumindest dort, wo es eine garantierte Meinungsfreiheit gibt. In Deutschland gewährleistet diese Art. 5 des Grundgesetzes. Dadurch ist die Berufsbezeichnung Journalist:in nicht geschützt und es steht allen offen sich Journalist:in zu nennen. Das heißt, man muss keine besondere Prüfung abgelegt haben, um als Reporter:in, Redakteur:in oder Korrespondent:in arbeiten zu dürfen. Und ja: auch wer auf seinem Blog, auf Insta oder TikTok nachrichtlichen Content verbreitet darf sich Journalist:in nennen – ob dadurch journalistische Standards wie Wahrheitsgehalt, Quellenprüfung und Unparteilichkeit gewährleistet sind, ist jedoch eine ganz andere Frage.

Tatsächlich waren in der Vergangenheit ganz unterschiedliche Menschen als Journalist:innen tätig: Nach 1848 arbeiteten in Deutschland etwa diejenigen im Journalismus, die sonst keine anderen Berufschancen hatten. Aber auch solche mit Universitätsabschluss. In England kamen viele aus der Arbeiterschicht und der Mittelschicht. 

Und trotzdem: Heute sehen Redaktionen aus, wie man sich einen Hefeteig vorstellt: eine homogene Masse. Öfter mal ziemlich aufgebläht. 

Wer nicht das Vergnügen hat sich die Hefeteig-Redaktion von innen anzusehen, dem helfen mediale Bilder aus Filmen oder KI-Generatoren auf die Sprünge. Man sieht sich gegenüber einem Hornbrille-tragenden, mittelalten, weißen Journalisten. Und tatsächlich:  Der typische Journalist in Deutschland ist ein deutscher Mann. 41 Jahre alt. Aus der Mittelschicht. Keine migrantischen Wurzeln. Er hat Abitur und ein Volontariat gemacht. Höchstwahrscheinlich arbeitet er bei einem Printmedium. Macht im Monat gut 2.300 Euro netto. Lebt in einer Partnerschaft ohne Kinder. Ob er auch noch Hornbrille trägt, sei dahingestellt, wobei bei 25 Millionen Brillenträger:innen in Deutschland der ein oder andere bebrillte Journalist dabei sein sollte.

Wieso sind die Medien so wenig divers aufgestellt? Das liegt allein schon an der Art, wie der Arbeitsmarkt strukturiert ist. Angefangen bei der Ausbildung.

 

Die Stellenanzeige, die niemanden bockt

Schauen wir uns mal an, was typischerweise in Redaktionen gefragt ist: 

*Stellenanzeige*

Wir suchen: Nachwuchs-Journalist (m/w/d), aber bevorzugt doch eher m 

Du hast:

    • ein Einser-Abi (aber lass das ja nicht raushängen!)
    • ein abgeschlossenes Studium in Politikwissenschaft, Kommunikationswissenschaft oder Germanistik
    • idealerweise auch einen Master – am besten im Ausland
    • mindestens drei unbezahlte Praktika bei „renommierten Medien“
    • ein abgeschlossenes Volontariat ODER den Abschluss einer Journalistenschule 
    • die Fähigkeit, besonders über Klassismus, Rassismen und Sexismus in Redaktionskonfis hinwegzulächeln, aber dich zeitgleich als kritischen Geist zu begreifen
    • Grundwissen in Politik, Medienrecht, Sport, Klima, Genderdebatten, Wirtschaft und KI
    • und: Du kannst nebenbei auch noch schneiden, fotografieren, podcasten, tiktoken – bitte mit Haltung

Du bringst mit:

    • Leidenschaft für gesellschaftlich relevante Themen
    • Bereitschaft zu Wochenenddiensten, Überstunden und mieser Bezahlung
    • einen sauberen Lebenslauf ohne Brüche
    • Kontakte, idealerweise Eltern, die schon irgendwas mit Medien machen oder dir die teure Bude in München, Köln, Berlin, Hamburg während der Ausbildung finanziert haben

Wir bieten:

    • eine befristete Stelle – wer muckt, den ersetzen wir ganz schnell durch jemand Bereitwilligen
    • Teilzeit, aber bitte Vollzeiteinsatz
    • die vage Aussicht, irgendwann vielleicht mal übernommen zu werden

P.S. Wenn du aus einem Arbeiter:innenhaushalt kommst, Migrationsgeschichte oder eine Behinderung hast – bewirb dich trotzdem. Vielleicht wird’s ja doch noch was mit der Vielfalt.

Willkommen im Journalismus.

Wie kamen wir von einem Berufsbild, das theoretisch allen offensteht, zu einem Berufseinstieg voller Zugangshürden?

In Deutschland sollten Zugangsbeschränkungen früher eine zeitgemäße Berichterstattung gewährleisten. In den 1970ern waren Journalist:innen im Berichten von Printzeitung über Radio bis Fernsehen nicht fit genug, wie Kommunikationsforscher Heinz Pürer feststellt. Das Internet kam erst später und veränderte die Berufsanforderungen nochmal drastisch. Es bietet neue, kostengünstige Möglichkeiten sich selbst weiterzubilden und eigene Medienkanäle zu bespielen – so wie es etwa Blogger und Influencer:innen längst tun (was sie aber nicht automatisch zu Journalist:innen macht). 

Es liegt aber nicht allein daran, dass das Ausbildungsniveau so stark angezogen wurde, dass bis heute bestimmte Gruppen in Redaktionen kaum bis wenig vertreten sind.

 

Die blinden Flecken

Es ist 2020.  Eine der bekanntesten deutschen Talkshows der ARD möchte unter Moderation von Sandra Maischberger eine Diskussion zum Thema rassistische Gewalt in den USA führen. Eingeladen sind vier Gäste. Alle weiß. Im letzten Moment wird eine Schwarze Germanistikprofessoren aus den USA zugeschaltet. Priscilla Layne twittert im Vorfeld der Sendung: „I recognize now how this invitation actually displays a lot of the bullshit Black Germans have to deal with: Like being left out of important conversations due to gate keeping and institutional racism“.

Der Ausschluss Schwarzer Menschen aber auch von Frauen, migrantischen Menschen, Menschen mit Behinderung, religiösen oder anderen kulturellen Minderheiten in der deutschen Medienlandschaft und damit aus dem öffentlichen Diskurs, hat System. Oder eher Systeme, die sich überschneiden und ineinander übergehen: Rassismus, Sexismus, Ableismus – you name it. 

Na gut, dann kommen eben nicht alle Perspektiven einer Bevölkerung in den Medien vor. Eine Redaktion ist ja von der Größe her auch beschränkt. Da können ja gar nicht alle Gruppen stattfinden. Ist das wirklich so schlimm?

Der Journalismus braucht für eine ausgewogene Berichterstattung verschiedene Perspektiven. Diese sind ausschlaggebend dafür, welche Nachrichten ausgewählt werden und durch welche Brille Geschichten erzählt werden. Also nicht nur die Perspektive eines mittelalten, weißen Akademikers ist relevant, sondern auch die einer Jüdin mit Behinderung, eines Schwarzen Mannes der Arbeiterklasse oder einer jungen Alleinerziehenden. Würde also Sinn machen, wenn die Menschen, die in Redaktionen die Nachrichten produzieren, gerade dieses Gesellschaftsbild widerspiegeln – oder?

Aber: Redaktionen sind meist homogen. Auf das Viertel migrantischer Menschen, die in Deutschland leben, folgen nur knapp zwei bis fünf Prozent migrantischer Medienmachende in Redaktionen. Frauen sind unterrepräsentiert, nicht-binäre, queere Menschen, Menschen aus der Arbeiterfamilien – sind unterrepräsentiert.

Für Redaktionen ist dieses Problem nicht neu. Immerhin gibt es seit Anfang der 90er Jahre Studien dazu. Und Redaktionen machen einer Umfrage der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) zufolge sich auch nicht die Mühe, den Migrationshintergrund ihrer Mitarbeitenden zu erfassen und mit diesen Daten für eine ausgewogene Personalbesetzung zu sorgen. Aber auch wenn die Redaktionen selbst nicht nachforschen, tun es andere: Es gab kein:e Schwarze, muslimisch, türkisch, polnisch oder russische Chefredakteur:in in den über 120 Medienhäusern, die NdM befragte. Eine Frau im Journalismus war in den 1970er eine absolute Seltenheit. Nur jeder fünfte Mensch im Journalismus war damals weiblich. Knapp zwanzig Jahre später war es immerhin jeder dritte. Und heute erheben Initiativen wie ProQuote in Deutschland, wie signifikant weniger Frauen in Führungsrollen sind. Auf Wikipedia finden sich so gut wie keine Biografien von Journalistinnen und anderen FLINTA-Personen in den Medien. Sie sind de facto kaum sichtbar und haben weniger Meinungsmacht als ihre männlichen Kollegen.


Hörtipp: Wer sich für diverse Einstiege in den Journalismus interessiert – mit und ohne Abi, bei der kleinen Neugründung bis zum etablierten Medienhaus, als Mensch mit und ohne Migra-Geschichte, der kann mal in “Und täglich grüßt” reinhören – den Podcast, den ich von 2019-2021 zusammen mit Tatjana Anisimov gemacht habe. Oder den Podcast “Hinter den Zeilen”, den Tobias Hausdorf und Niklas Münch herausgegeben haben, um speziell Arbeiterkinder-Perspektiven im Journalismus zu pushen.


Dabei sind es gerade die Leitungsrollen, die etwas ändern könnten. Sie entscheiden darüber, wer in einer Redaktion arbeitet, und können ein Arbeitsklima schaffen, das mit den Perspektiven marginalisierter und diskriminierter Menschen umgeht. Mit einer vielfältigen Personalbesetzung ist nämlich nicht Schluss: Diversität im Personal gewährleistet noch lange keine diversere Berichterstattung – dafür braucht es das passende Arbeitsklima. 

Was hält Redaktionen davon ab, sich vielschichtiger aufzustellen? Eine Sorge sich für ein diverses Team einzusetzen, etwa mit einer Quote, ist etwa, das “Leistungsprinzip” zu gefährden – quasi “der Beste setzt sich durch und bekommt den Job”. Diese Sicht blendet diskriminierende Hürden, mit denen marginalisierte Gruppen zu kämpfen haben, aus. Die Chancen eines türkischen Arbeiterkindes Abitur zu machen, zu studieren, unbezahlte Praktika zu machen, um dann ohne finanzielle Unterstützung der Eltern ein schlecht bezahltes Volontariat zu machen, um dann vielleicht irgendwann in einer Redaktion zu arbeiten, stehen schlechter als bei einem deutschen Akademikerkind, das auf seinem Weg in den Journalismus nicht mit Rassismus und möglichen Geldsorgen konfrontiert ist. Übrigens, die britische BBC hält es mit der Quote und siehe da: 15 Prozent der Arbeitnehmenden gehörten 2020 dort ethnischen Minderheiten an.

Olivia Samnick (c) privat
Olivia Françoise Samnick ist freie Journalistin beim Selbstlaut-Kollektiv, Host des „Bonjourno“-Podcasts und Onlineredakteurin beim medium magazin. Die fünf Essays über Journalismus sind durch eine Förderung der Sir Greene Stiftung entstanden. Mehr: oliviasamnick.com

Und wir müssen über Bezahlung sprechen. Faire Löhne sind ein Schlüssel zu diversen Redaktionen.

Wer in den Journalismus will, muss in der Regel einige Praktika abolsviert und ein Volontariat oder eine Journalistenschule besucht haben. Und da haben wir den Salat. Diesen Ausbildungsweg kann sich nämlich nicht jede:r leisten.

Praktika unter drei Monaten oder Pflichtpraktika werden selten zum Mindestlohn, in der Regel sogar weit darunter und oft genug gar nicht vergütet – selbst bei großen, etablierten Institutionen wie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dem Spiegel oder der Welt. Wenn man bedenkt, dass die Verlagshäuser dann auch noch in teuren Großstädten wie Hamburg, Berlin oder München sitzen, wo allein ein WG-Zimmer schon über 600 Euro kostet, wird es ganz schön eng. 

Und auch wenn man es schafft, parallel zum Studium schlechtvergütete Praktika zu machen und im Volontariat auf kleinem Fuß zu leben, wird es danach nicht unbedingt besser – auch nicht in anderen Ländern: In Kenia ist einer der größten Gründe für Unzufriedenheit im Job, dass im Journalismus nicht gut genug gezahlt wird. Viele sehen sich darum gezwungen häufig den Arbeitgeber zu wechseln, um besser zu verdienen. In Island streikten 2019 Journalist:innen das erste Mal seit 42 Jahren für mehr Gehalt nach einem Aufruf der Blaðamannafélag Íslands, dem isländischen Journalist:innenverband.

Der deutsche Verein Freischreiber e.V. setzt sich für freie Journalist:innen ein und stellte in einer Untersuchung 2024 fest, dass freischaffende Journalist:innen im Mittel nur 25 Euro brutto pro Stunde verdienten. Davon müssen Selbstständige sich selbst versichern, Steuern zahlen, die Kosten für ihr Büro, ihre Fahrtkosten und auch ihren sonstigen Lebensunterhalt wie Mieten und Lebensmittelkosten bestreiten. Eine Untersuchung der LMU (2019-2024) befasste sich mit der Prekarisierung im Journalismus: Festangestellte Journalist:innen in Vollzeit verdienten demnach rund 2340 Euro netto im Monat. Das sind rund 880 € netto monatlich mehr als hauptberuflich freie Journalist:innen. Frauen traf es besonders: Sie sind öfter Teilzeit-beschäftigt und arbeiten häufiger unfreiwillig frei, da sie etwa keine feste Stelle finden. Und egal, ob frei oder festangestellt: 58% schätzten ihr derzeitiges Arbeitsverhältnis als eher unsicher ein. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Eine der wichtigsten Institutionen einer demokratischen Gesellschaft, beschäftigt Menschen so prekär, dass die Mehrheit um ihren Job fürchtet. Was, wenn der Job plötzlich weg ist? Nicht mal ein Viertel der freiberuflichen Journalistinnen hatte eine Arbeitslosenversicherung. Die Studie zeigt auch: Bei der Mehrheit (60%) der befragten Journalist:innen hat die Corona-Pandemie zu Honorareinbußen und Existenzängsten geführt.

Und 2025? Manche Tarifverträge sehen je nach Qualifikation gut 3000 Euro netto in Festanstellung vor. Demnach sind die Löhne zwar gestiegen, aber eben auch die Lebenshaltungskosten. Und eine paschale Tarifbindung gibt es im deutschen Journalismus nicht.

Eine Idee: Die Error-Meldung beheben

Die Autor:innen einer Studie zu Redaktionen in UK, Schweden und Deutschland stellten fest, dass in allen drei Ländern gemessen an der Bevölkerungsdemographie verhältnismäßig weniger Menschen aus Minderheiten und diskriminierungserfahrene Gruppen in Redaktionen arbeiten. Sie zweifeln daran, ob Medienunternehmen in der Lage sind, die Vielseitigkeit einer Gesellschaft abzubilden, wenn sie innerhalb ihrer Redaktionen nicht divers aufgestellt sind. Ihr Vorschlag: 

  1. Führungskräfte sensibilisieren. Sie sind es, die in der Untersuchung mit besseren Lösungsvorschlägen aufwarteten, wenn sie sich mit dem Problem auseinandersetzen. 
  2. Redaktionsstrukturen in Daten erfassen, um dann bessere strategische Entscheidungen zu treffen.
  3. Verschiedene Perspektiven bei der Erstellung von Inhalten bewusst unterstützen.
  4. Strukturelle Ungleichheiten, Diskriminierung in der Redaktion und auch außerhalb davon thematisieren.

Wenn man über die Landesgrenzen hinausblickt, entdeckt man weitere Hilfen zum Zugang in den Journalismus: Hochschulbildung in Großbritannien, die für einige Redaktionen das Einstiegskriterium ist, ist teuer und schließt damit oft Menschen aus Arbeiterfamilie und Migrationsgeschichte aus. Um dem entgegenzuwirken, bieten etwa die Nachrichtenagentur Reuters und die Zeitung „The Sun“ Stipendien und Praktika für Schulabgänger:innen vor eben diesem Hintergrund an. 2017 startete Ros Atkins bei der BBC das Projekt 50:50 The Equality Project, das sich dafür einsetzte, Frauen und Männer in der Berichterstattung gleichermaßen abzubilden – mittlerweile beteiligen sich über 70 Organisationen in 20 Ländern daran. Und was sagt die Datenlage zu den Diversitätsbestrebungen sonst so? Eine Onlinebefragung unter 136 Personen aus 38 Ländern mit Leitungsfunktion in Newsrooms (darunter solche in Indien, Thailand und auch westlichen Ländern wie Österreich) ergab, dass 2020 immerhin 64 Prozent der Institutionen Daten über die vorhandene Diversität in ihren Teams erhoben. 

Genug ist das lange noch nicht, gerade wenn man sieht, dass die Umfrage vor allem Männer ausgefüllt haben – denn die sitzen auch global gesehen in den Spitzenpositionen von Medienunternehmen immer noch häufiger als Frauen, Muslim:innen, Schwarze Menschen oder etwa Arbeiterkinder.

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