Sprechernotizen

Was war? was bleibt? Was kommt? Die berühmte W-B-K-Frage am Anfang eines Jahres ist nun wirklich nicht besonders einfallsreich – aber immer wieder gern gestellt. Deshalb versucht Dr. Who an dieser Stelle gern und ungefragt den Blick in die gläserne Kugel der Branche.

2009 – auf die Branche war Verlass. Was war, wissen wir. Wir wissen zwar nicht immer, wie genau es so war, was da so in jenem ereignisreichen und jetzt bereits weit zurückliegenden PR-Jahr 2009 alles geschehen ist, aber auf die Branche war Verlass: Wann immer etwas geschah – die Branche wusste sofort jedes Detail, natürlich alles geprüft und uneingeschränkt belastbar, und natürlich waren es nie Gerüchte, Spekulationen, Hirngespinste, vielleicht sogar einfach nur schlichte Tratschsucht der Branche, nein, weit gefehlt – es waren immer Fakten, Fakten, Fakten! Ob der Kampf um Porsche, der verpatzte Start von Daimler-Kommunikationschef Jörg Howe, die diversen Abgänge bei Metro, HSH, Kontinental, Henkel und anderen, die Schlacht um Schaeffler, die Rangeleien der PR-Agenturen – alle wussten, was war. Und gern, ach allzu gern wurde dann dieses intime Wissen ausgetauscht – mit Hingabe und besorgter Hyperventilation bei den unvermeidlichen Kongressen und Treffen oder auch – Inflationsgefahr! – Preisvergaben. Hier insbesondere der Pressesprecher-Kongress in Berlin. Fast wie Filmball in München: Nicht wirklich prominent, nicht wirklich international, schon gar nicht bedeutend, eher neu-plüschig, aber voller Branchengrößen im Vergleichsformat von Neun-Live-Moderatoren respektive n24-Talker. Aber wichtig, oh ja!

Aber Schwamm drüber – das ist alles Vergangenheit, fast schon gar nicht mehr wahr. Also: Wagen wir den Blick nach vorn.

2010 – Die Branche hat zu knabbern

Die Branche wird zu knabbern haben. Man gibt es zwar nicht gern zu, aber bis auf wenige Ausnahmen scheinen die Rückgänge in den Budgets ziemlich ordentlich zu sein. Die Finanz- und Wirtschaftskrise schlägt weiter durch. Egal, ob Produkt-, Corporate-, Financial-PR, und auch und vor allem die Budgets der PR-Chefs in den Unternehmen – überall hört man hinter vorgehaltener Hand Klagen. In den Konzernen wird abgebaut und gespart. In den Agenturen ist es kaum besser: Während sich die kleineren, hochspezialisierten PR-Läden noch gut halten, einige sogar zulegen, sind die größeren verzweifelt auf der Suche. Da werden dann auch ohnehin laxe Grundsätze noch leichter über Bord geworfen. So, wenn in einem Unternehmen der arme PR-Chef etwas Pech mit der Presse hat, taucht schnell ein flotter Berater mit einem Akquisebrief bei dessen CEO auf, macht die PR des Unternehmens schlecht und bietet sich an als Retter.

Brunswick etwa, der Deutschland-Ableger der von der Finanzkrise arg gebeutelten Briten, so ist zu hören, akquiriert wie verrückt, heute bei Unternehmen A, am gleichen Tag gern bei dessen härtestem Wettbewerber. Harte Zeiten.

Die Autobranche wird weiter schwer zu kämpfen haben. Nach dem Ende der Abwrackprämie fehlt der Antrieb – und der mit Strom ist immer noch nicht so weit. Bei BMW rappelt man sich wieder ganz gut auf, während die Porsche-PR vollständig unter die Räder von VW gerät, ebenso wie bei MAN. Opel und Ford haben sich komplett abgemeldet und werden es bleiben, und CEO Dieter Zetsche bei Daimler mault über seine schlechte Darstellung. Was soll der arme Kommunikationschef beim Stuttgarter Stern aber auch machen? Unruhig ging‘s und geht´s auch im Norden, in Wolfsburg, zu. Mal sehen, ob es VW-Chefkommunikator Stephan Grühsem im Unternehmen hält oder ob wir ihn 2010 in einem ruhigeren und fröhlicheren Job à la Marketingchef bei Bayern München wiederfinden werden.

In der Medienbranche wird es weiter zur Sache gehen. Musste zuletzt Kommunikationschef Andreas Fritzenkötter beim Bauer-Verlag das Feld räumen – eigentlich dachte man, der gehöre schon zum Inventar -, wackeln die Posten in anderen Verlagen und Sendern bedrohlich. Einzige Ausnahme: Springer. Dort zieht Edda Fels, die Mutter Courage der deutschen Verlags-PR, ihre professionellen Bahnen und beglückt CEO Mathias Döpfner ebenso wie Springer-Erbin „Tante“ Friede Springer weiter mit angemessener und gut intonierter Kommunikation. Kompliment, liebe Edda!

Die Banken werden weiterhin erfolgreich alles dafür tun, die rote Laterne in der Beliebtheitsskala zu sichern. Zwar werden hier und dort die wirtschaftlichen Erfolge der letzten Monate des Jahres 2009 fortgesetzt – aber ausgestattet mit dem sensiblen Gespür einer mittelschweren Rüttelplatte wird es den Protagonisten ihrer Branche gelingen, zuverlässig alles wieder einzureißen, was andere Vertreter ihrer Zunft vorsichtig begonnen haben.

Es ist keine große Leistung vorauszusagen, dass vor allem Goldman Sachs sich dabei erneut hervortun wird – da kann die Kommunikationschefin des deutschen Ablegers Monika Schaller noch so sehr ihren Wiener Charme spielen lassen – oder ihre geheuerten Spin-Leute aussenden. Es hilft alles nichts. Und Commerzbank und Kollegen ärgern sich wieder gelb und grün.

Und, ach ja, die PR-Branche wird auch weiter mit ihrem Selbstbewusstsein hadern, wird weiterhin alles tun, um geliebt zu werden, um ihren strukturellen Minderwertigkeitskomplex ein wenig zu lindern, will sich – ausgerechnet – von Journalisten Antwort geben lassen à la „Schatz, wie war ich?“ und dann wie ein Hund leiden, wenn von dort schmallippig und doch huldvoll eine knappe „4 -“ kommt, wird sich in 2010 wieder anbiedern und anschmusen und viel hehres Papier und noch mehr Diskussions-Ausfluss produzieren, statt mannhaft zu ihren Aufgaben zu stehen. Hallo, liebe Kollegen: Herr Oeckl funktioniert heute nicht mehr. PR als Mutter der heilen Gesellschaft kann in einer in Interessengruppen aufgespaltene Anspruchsgesellschaft nicht mehr funktionieren. Interessen und deren Durchsetzung müssen professionell organisiert werden – die Presse macht es ja vor. Das ist die Aufgabe der PR, und nicht Gänseblümchen pflücken. Der gemeinsame Nenner sind die demokratische Gesellschaft und die Regeln der Ethik, und das ist gut so!

Aber es besteht Hoffnung: Selbst der deutsche PR-Rat hat sich reformiert und den hochverdienten, aber auch hochbetagten Horst Avenarius in den verdienten finalen Ruhestand geschickt. Seinen Möchtegern-Nachfolger Jürgen Pitzer haben weise Kollegen im letzten Moment verhindert – abgefangen durch den weit moderneren Ex-BMW-PR-Chef Richard Gaul. Der hat zwar in 2009 noch nicht wirklich hart durchgegriffen, aber das soll, so ist zu hören, nun kommen.

Und weil dies alles so ist, ist diese Branche so wunderbar und spannend, und genau deshalb – das ist absolut sicher – wird 2010 wieder ein spannendes PR-Jahr! Alles Gute in 2010!

Dr. Who ist das Pseudonym einer bekannten Führungskraft der PR-Branche. E-Mail: autor@mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 01+02/2010 in der Rubrik „PR“ auf Seite 48 bis 49. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.