Aus dem Dickicht

Döpfnerkurven

Aufmerksamkeitsmarktführer unter den Medienkonzernen: Axel Springer. Im Januar erzeugte der geplante ProSiebenSat.1-Kauf täglich Aufregung, bis ihn der von Kartell-und Konzentrationsrecht zermürbte Mathias Döpfner absagte. „Der gescheiterte Eroberer“ („SZ“) gab sich unverdrossen und brach auf acht „Spiegel“-Seiten die Springer-Sprechpause mit Günter Grass (was später wegen eines anderen Grass-Gesprächs in der „FAZ“ ziemlich in Vergessenheit geriet …). Versuche, den Fachausdruck „Döpfnerkurve“ aus Döpfners nicht so glücklichen Chefredakteurs-Zeiten wieder einzuführen, scheiterten („taz“). Nur selten war etwas zu lesen wie: „Dass diese Personen geachtete Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft bleiben können, das ist das eigentlich unfassbare Skandalon“ (Gustav Seibt in der „SZ“ über die Springer-Verantwortlichen Döpfner und Friede Springer, nachdem er eine Woche „Bild“ gelesen hat).

Döpfner wurde in den Time Warner-Aufsichtsrat („Handelsblatt“: „medialer Ritterschlag“) berufen, kaufte Springer-Aktien (er „mutiert immer mehr zum Verleger“, schrieb Ulrike Simon im „Tagesspiegel“, und unterstellte ihm die in Verlagen leider wenig verbreitete Meinung: „Manager zu sein, das ist in seinen Augen kein Beruf, zumindest kein seriöser“), verkaufte sie. Sein Verlag Springer kaufte allerlei zwischen Polen und der Türkei und bedroht Frankreich mit einer „Bild“-Zeitung.

Was daraus wurde:

Später Triumph im November: Kaum taucht mal wieder Silvio Berlusconi als ProSiebenSat.1-Interessent auf, entlockt die „SZ“ Politikern die Frage, ob nicht Springer „für einen neuen Anlauf gewonnen werden könnte“. „Ob man mit Springer nicht doch den Spatz in der Hand gehabt hätte“, fragt die „FAZ“. Am steilsten geht das Wirtschaftsressort der „Zeit“, dem man eigentlich nicht vorwerfen kann, nicht den freien Markt zu propagieren: Medien gehörten in eine Reihe mit „Kriegswaffen, Rüstungsgüter und Verschlüsselungs-Software“, dann hätte die Bundesregierung „ein Vetorecht … beim Verkauf an Ausländer“. Leider hatte die „Zeit“ Pech beim Timing. Als sie gedruckt war, war das Schreckgespenst Berlusconi schon wieder entschwunden. Mittlerweile steht fest: KKR/Permira ist neuer Hauptgesellschafter der ProSiebenSat.1 Media AG.

ARD-Trubel

Die Macher des Gewohnheitsmediums Fernsehen erzeugen für die Quote Aufmerksamkeit bei ihren Zielgruppen und arbeiten sonst gern ruhig. Selbst Roger Schawinskis überraschender Abschied bei Sat.1 – weil „man aufhören soll, wenn es am schönsten ist“ (Schawinski zur „FAZ“) oder weil „teure Fehler“ noch unentdeckt waren („Die Zeit“) – machte wenig her. Die Medien schauten vor allem auf die ARD. Mitunter wegen des laufenden Programms: Der im Hauptabendprogramm geplante Film „Wut“ wurde auf einen kritischen „Spiegel“-Artikel hin panisch verlegt. Öfter ging es um schon gelaufene Sendungen (der „Becel Deutschland Walk“ aus dem September brachte im Oktober den ewig umstrittenen Sportkoordinator Hagen Boßdorf zu Fall) oder um kommende: Eine Medienblase ohnegleichen erzeugte im Juni 2006 die Meldung, dass ab September ’07 Günther Jauch den Sendeplatz von „Queen Blabla“ („Spiegel Online“), „Politplapper-Lady“ („Focus“) Sabine Christiansen übernehmen soll.

Viel Hallo gab es, wann immer die Herren und die Dame der Intendantenkonferenz tagten – und am Kandidatenkarussell gedreht wurde. Auf Fritz Pleitgen folgt mit Monika Piel die zweite Dame – „eine kleine Sensation“ („taz“).

Was daraus wurde:

Die ARD kriegt oft harte Worte zu hören („Zeit“: Sie erinnert „fatal an den Ostblock kurz vor dem Fall des Eisernen Vorhangs. Eine alternde Führungsriege nimmt die Dimension des Verfalls um sie herum nicht mehr wahr“). Doch weil die Riege einstecken und hocken kann, gleiten alle Debatten sanft in die gewünschte Richtung. PCs gelten nun als gebührenpflichtige Radios, obwohl die Begründung „versuchte Volksverdummung“ („Welt“) ist. Verhallt ist auch „Wer wirbt, ist kein Journalist“ – das auf Johannes B. Kerner gemünzte Postulat des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender („SZ“). Nicht ob öffentlich-rechtliche Moderatoren werben dürfen, steht in Frage, sondern, in welchen Ausnahmefällen nicht.

Lebendige Totgesagte

Viel Bewegung im immer noch vielfältigen Markt der kleinen überregionalen und Großstadtzeitungen. Vom „Regen in die Traufe“ (diverse Berliner) bzw. „von der Spree an den Main“ („Frankfurter Rundschau“) wechselte Chefredakteur Uwe Vorkötter zur „FR“. Sein Nachfolger bei der „Berliner Zeitung“, Josef Depenbrock, kam von der „Hamburger Morgenpost“ und sorgte durch erste Leitartikel „für Entsetzen“ in der Redaktion (wusste die „SZ“ zu berichten). Doch das Blatt bleibt laut Statut „Autorenzeitung mit Vollredaktion“. Und der Mehrheitsbesitz an der „FR“ ging zum Verlag DuMont-Schauberg an den Rhein. „Chapeau DuMont, Viva Colonia!“ („SZ“).

Was daraus wurde:

So schlimm wie befürchtet kam es bisher nicht. Die „FR“ informiert über Einsparungen bei der „BV Deutsche Zeitungsholding“ („Berliner“, „Mopo“), die „Berliner“ über die fortgesetzte Krise der „FR“, die alles verkleinert: das Personal, vermutlich auch das Format. Aber auch „ein kleineres Büro“ als Vorkötter in Frankfurt „dürfte wohl kein Chefredakteur einer namhaften deutschen Tageszeitung haben“ („FAZ“).

Gesprächskulturen:

Das „begehrteste Interview der Welt“ (faz.net) gab Natascha Kampusch. Ob das Grass-Interview (das mit der „FAZ“ und deren Vorabmeldung über die Waffen-SS, also nicht das mit Mathias Döpfner im „Spiegel“ oder das von „Cicero“, der Grass im April auf Rang 1 der „500 wichtigsten Intellektuellen“ gewählt hatte) nun eine Win-win-Situation für einen Freundeskreis darstellte, in deren Folge mindestens „FAZ“ lesen, das Buch (Steidl) kaufen und Uli Wickerts Büchershow (ARD) sehen musste, wer mitreden wollte, oder doch ein Nullsummenspiel war, müssen Medienwissenschaftler späterer Epochen untersuchen.

Dankbarster Interviewpartner jedenfalls: „Spiegel“-Kulturchef Matthias Matussek, der übrigens auch einen Bestseller geschrieben hat („witziges und kluges Plädoyer für einen modernen Patriotismus“, „Spiegel“). Er geriet im sonst wenig beachteten sonntagmittäglichen „Presseclub“ (ARD) mit Roland Tichy aneinander. „Ich habe mich bedroht gefühlt“, zitierte die „SZ“ Tichy. „Es gibt so eine Rotte politisch-korrekter Affen, die machen Jagd auf mich“, sagte der erfreulich streitlustige Matussek der „Netzeitung“, und über den „zu kurz denkenden, mondän gewendeten Spießer“ Tichy: „Er hat … zwei unterschiedlich lange Beine und Haare auf der Brust. Ich habe gehört, er ernährt sich von Säuglingsblut und schlägt jeden Donnerstag seine Frau …“

Was daraus wurde:

Im TV ist Matussek nicht so oft wie andere Großjournalisten, aber ein Internet-Pionier. In Filmsequenzen auf „Spiegel Online“ gibt er regelmäßig „Kulturtipps“ und weist etwa auf „wunderbare Essays“ bewunderter Kollegen in neuen „Spiegel“-line extentions hin.

Immer auf die Freiheit

Gestiegen ist der Wert der Pressefreiheit 2006 nicht. Er wurde oft zu Recht, aber auch zu oft bemüht. „Seit der ,Spiegel‘-Affäre 1962 ist die Staatsgewalt nicht mehr so unverfroren mit Journalisten umgesprungen“, schrieb Heribert Prantl („Der Kursverfall der Pressefreiheit“, „SZ“ ) im Mai. Zumindest erfasste die deutsche Presse mit der „BND-Affäre“ die wohl hellste Aufregung in eigener Sache seit ’62. Brisant für Nichtjournalisten hat aber selbst der Auftritt der Geheimdienste das Thema nicht gemacht: „neuer Betroffenheitsjournalismus“, kommentierte Bettina Gaus („taz“).

Weitere Pressefreiheits-Gefahrenquellen im Schnelldurchlauf: Verleger nennen sie bedroht, wenn „eine umsatzfördernde Berichterstattung über den Intimbereich von Prominenten behindert wird“ (Michael Haller im „taz“-Interview). Sie und die Werbewirtschaft (Thema Tabakwerbeverbot) stellten die Presse-als Schwester der „Werbefreiheit“ vor. „Angriff auf die Pressefreiheit“ nannte „FAZ“-Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier die Spiralblock-Attacke eines Schauspielers auf ihn. Vom global
en Karikaturenstreit und größeren Gefahren im Ausland zu schweigen. Aberwitzig oft tauchte die Journalisten-Straftat „Beihilfe zum Geheimnisverrat“ auf (deren Abschaffung „Tagesspiegel“-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff forderte – die vielleicht vernünftigste Idee). Darum war es auch bei den Razzien gegen „Cicero“ 2005 gegangen, die im November beim Verfassungsgericht landeten und 2006 den zirka drittletzten Anlass für Pressefreiheits-Kommentare bildeten. Erfrischende Abwandlung der Vergleiche: Die „SZ“ sprach statt von „Sturmgeschütz der Demokratie“ vom „Krach-Kanönchen aus Berlin“.

Was daraus wurde:

„Die Veralltäglichung des Ungesetzlichen“ beklagte Prantl etwas resigniert im Dezember (ca. vorletzter Anlass: Journalisten-Abhören im Fall El Masri). „Und der BND freut sich“, überschrieb Andreas Förster („Berliner“) einen Artikel zum Nachhall der „BND-Affäre“, in der er bespitzelt wurde.

Verstopfung

„Die Lage ist ernster als nach außen zugegeben“, schrieb Adolf Theobald im „Tagesspiegel“ zum Zeitschriften-Geschäft. Öde ist sie auch. Der Verlag Gruner+Jahr musste, obwohl er immer „theaterreife Journalisten-Preise auslobt“ („SZ“), Häme einstecken. Das Wort „Freunderl-Journalismus“ („Park Avenue“-Entwickler Holger Christmann) machte die Runde, die neuen Magazine seien „schon per Konzept kilometerweit entfernt von der gesellschaftlichen Realität“, hieß es. Der Hunderl-Journalismus, den G+J mit „Dogs“ an den Kiosk brachte, erzeugte Wortspielchen à la „Ein großes Geschäft“ („SZ“), „des Pudels Kernkompetenz“ („Welt“), „Bark Avenue“ („taz“). 2007 wird spannender: Auf „Vanity Fair“ könnte G+J durch Umstellen der „Park Avenue“ auf wöchentliches Erscheinen reagieren, meldete der „Focus“ und nannte das Konzept: „Marktverstopfung“.

Ferner lief:

Das einmalige Comeback des Pop-Journalismus. Im Dezember erschien mit der erwarteten Verspätungs-Retardierung „Tempo“. 33 Wahrheiten versprach das Cover. „Die 34. Wahrheit: ,Pop-Journalismus ist, was wir onanierend daraus machen'“ (Thomas Tuma in der vielleicht härtesten Kritik im „Spiegel“).

Erschienen in Ausgabe 1/2007 in der Rubrik „Chronik“ auf Seite 10 bis 11 Autor/en: Christian Bartels. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.