Hingucker

Wir Deutschen können gute Autos bauen, bekömmliches Bier brauen, solide Fußball spielen, wie aber sieht es mit der Qualität unserer Werbung aus? Nicht gut, meint Michael Conrad, einer der erfolgreichsten deutschen Reklamemacher in „Dummy“. Das „Gesellschaftsmagazin“ kommt aus Berlin, erscheint zweimonatlich und kämpft mit jeder Ausgabe trotzig gegen die am Kiosk grassierende Langweile. Im aktuellen, dem 13. Heft, geht es um „Werben und Verkaufen“. Es geht um das alltägliche Anwerben und Umwerben, um Versprechungen und Verführungen. Der Leser darf sich freuen. Erstens: Endlich mal Interviews mit klugen Fragen und schlauen Antworten – Werbeguru Conrad ist hier eine verlässliche Größe, aber auch Daisy, Sandra und Katharina, drei Hamburger Prostituierte, entpuppen sich als alltags-kompetente Gesprächspartnerinnen und klären uns über Kundenbindung und „Miles&More“-Rabatte für Stammfreier auf. Zweitens: Endlich mal Geschichten und Reportagen, die den gängigen Rahmen des Informations-Journalismus sprengen: überraschend, eigensinnig und subjektiv. Drittens: Eine wunderbar-irritierende Angie-Jungmädchen-Collage auf dem Titel, die sogar Merkel-Skeptikern das Herz bricht. Kurzum ein Mix aus Texten, Bildern und Illustrationen, ebenso spielerisch wie souverän. Die „Dummy“-Macher glauben an die Kraft der Erneuerung, weshalb mit jeder Ausgabe die Art-Direction – damit das Logo, die Typo, kurz das gesamte Erscheinungsbild – wechselt. Diesmal sind Paul Snowden und Ana Lessing für den grafischen Auftritt verantwortlich. Meinen Glückwunsch an die beiden Herausgeber Jochen Förster und Oliver Gehrs (Letzterer hält sich erfreulicherweise auch als Autor nicht zurück …): „Dummy“ strotzt auch nach dreizehn Ausgaben noch voller Kreativität und Vitalität. Also, lesen! www.dummy-magazin.de.

Der Trend ist unübersehbar: immer mehr Magazine aus dem klassischen Corporate Publishing-Segment drängen an den Kiosk. Motto: Jeder Leser ist ein potenzieller Kunde. „Colors“ (Benneton) und „Mini International“ haben exemplarisch gezeigt, wie das funktioniert. Auch „air“, herausgegeben von der kleinen, aber feinen Blue Wings Fluggesellschaft, hat alle Chancen, im Handel nicht abzustürzen. Es erscheint vierteljährlich, kostet 5,90 Euro, hat gerade mal 80 Seiten – und ist eine Entdeckung! Klares, unaufgeregtes Layout, moderner Typo-Mix; dazu eine moderne Bildsprache, die Opulenz ebenso gekonnt einsetzt wie Minimalismus. Verantwortlich dafür ist das Düsseldorfer „Formwechsel“-Team. Und auch die Kölner Redaktion um die beiden Chefredakteure Frank Lorentz und Antonia Loick leistet exzellente Arbeit: Reportagen und Reisegeschichten aus Kapstadt, Kasachstan und Bulgarien, spannende Interviews (u. a. mit Vadim Glowna) und nutzwertiger Travel-Service – so wünscht sich der Globetrotter sein Reisemagazin. Alles ohne sprachlich-zeitgeistigen Firlefanz, was allein schon Lob verdient. Und als literarische Zugabe gibt es noch einen Tucholsky-Text über Menschen in der Hotel-Lobby – ich bin begeistert. www.air-magazine.de.

Kennen Sie „huck“ – das Magazin für Surfer und Skater? Zugegeben: nicht unbedingt Lesestoff für die Riester-Generation. Das Original kommt aus England und so wechselt die Redaktion wie selbstverständlich deutsch-und englischsprachige Beiträge nach Belieben. Das Magazin ist eigenständig, intelligent und wild, ganz nah dran an der jungen Community. Man spürt, dass die Redaktion Spaß am Blattmachen hat. Ungewöhnliche Recherchen, Interviews, und Reportagen (… wer weiß, dass Wellenreiten eine Sache des Jazz ist), opulente Bildstrecken (wie die geradezu mystischen Unterwasserfotos von der Küste Tahitis), dazu originäre Text-Typo-Inszenierungen – kurzum: bestes gedrucktes Infotainment! Ein kreativer dramaturgischer Mix, der den Leser auch mal ermutigt, das Heft einfach zu drehen, damit die Bilder ihre Wirkung optimal entfalten können. Einziges Manko: eine Trennung zwischen Anzeigen-Optik und redaktioneller Anmutung ist mitunter nur schwer auszumachen. Macher und Leser scheint das nicht zu irritieren. Die Lektüre jedenfalls ist beinahe so schön wie surfen. www.huckmagazine.com.

Erschienen in Ausgabe 1/2007 in der Rubrik „Ortners Blattkritik“ auf Seite 36 bis 37. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.