„Ich muss noch viel lernen“

Frau van Almsick, seit einiger Zeit halten Sie sich mit Aussagen über Ihr Privatleben sehr zurück. Warum?

Franziska van Almsick: Weil ich mir, nachdem ich mit dem Leistungssport aufgehört habe, ein Privatleben aufbauen möchte, von dem nichts in der Zeitung steht.

Was hat Sie an der Berichterstattung gestört?

Zum Beispiel Urlaubsbilder, die heimlich aufgenommen wurden. Man kann sich als normaler Mensch nicht vorstellen, wie das ist, eine Zeitung aufzuschlagen und zu erkennen: ,Moment, da hat mich ja jemand fotografiert!‘ Eventuell noch in intimen Situationen, in denen du halbnackt am Pool liegst oder jemanden umarmst. Das ist ein schlimmes Gefühl: Es beobachtet dich jemand, und du weißt es nicht. Hinzu kommt, dass Paparazzi heute aus weiter Entfernung gestochen scharfe Bilder schießen können. Diese Aufnahmen wirken auf viele Leute so, als hätte man für den Fotografen posiert. Im vergangenen Jahr gab es beispielsweise eine Fotogeschichte in der „Bunten“: Franziska van Almsick im Liebesurlaub. Da waren Fotos dabei, auf denen ich – ohne es zu wissen – in Richtung der Kamera schaue. Ich wurde verfolgt, abgeschossen, und die Fotos wurden ohne mein Einverständnis gedruckt. Es wurde der Eindruck erweckt, ich hätte den Fotografen bestellt, um mein Image ein bisschen aufzupolieren.

Was tun Sie, um sich dagegen zu wehren?

Ich prozessiere gegen solche Fotos. Ich klage, weil ich Privatsphäre will. Und vor mir sitzen Anwälte großer Verlage und sagen: „Privatleben? Das haben Sie doch schon lange nicht mehr, Frau van Almsick.“ Nach deren Meinung bin ich im Besitz der Journalisten der Bundesrepublik Deutschland, weil ich mich vor Jahren auf das Spiel mit den Medien eingelassen habe.

Zählt vor Gericht nicht, dass Sie in letzter Zeit zugeknöpfter sind?

Doch, das wird durchaus positiv aufgenommen. Mittlerweile bin ich beim Schutz meiner Intimsphäre so konsequent, dass mir schon vorgeworfen wird, mich lächerlich zu machen. Aber nur so kann ich meinen Wunsch nach ein bisschen mehr Privatleben unterstreichen – und habe damit hoffentlich bessere Chancen vor Gericht.

Das mag manche wundern, die sich noch gut daran erinnern, wie ausführlich Sie etwa über Ihre mittlerweile beendete Beziehung zu dem Handballer Stefan Kretzschmar Auskunft gegeben haben.

Ich war früher sehr offen. Zum Beispiel habe ich bei der Verleihung des Medienpreises Bambi öffentlich meinem damaligen Freund gedankt und gesagt, dass ich ihn liebe. Da dachten wohl viele, das sei ein abgekartetes Spiel – aber es war einfach ein Gefühl, das mich überkommen hat. Ich stand dort oben auf der Bühne, musste eine Dankesrede halten und das lag mir eben auf den Lippen. Heute weiß ich: So etwas darf ich nicht mehr tun.

Sicher eine Umstellung für einen Menschen, der schon sehr früh im Rampenlicht stand. Während Sie 1992 an den Olympischen Spielen teilnahmen, ließen Ihre Eltern eine Live-Schalte aus dem Wohnzimmer zu, kurz darauf wurden Sie einem Millionenpublikum in „Wetten, dass …?“ präsentiert.

Sie müssen sich die damalige Situation vor Augen führen: Wir wurden von den Medien überrollt. Meine Eltern, die damals die Entscheidungen für mich trafen – ich war ja erst 14 – hatten keinerlei Erfahrungen im Umgang mit Journalisten. Deshalb haben sie auch bald einen Profi für diese Aufgabe gesucht: Werner Köster, der viele Jahre bei der „Bild“ gearbeitet hat.

„Der Spiegel“ nannte Köster einen „professionellen Abfangjäger“. Wie wichtig war er für Sie?

Er war sehr wichtig für mich, und ich habe mich auch sofort super mit ihm verstanden. Er war ein Raubein und gleichzeitig sehr cool. Er hat die Angebote ausgesucht, die zu mir passten, und alles andere von mir ferngehalten. Und er hat mich – das war mein Glück mit ihm – so gelassen, wie ich bin. Er hat mich beispielsweise nicht, wie heute bei Sportlern üblich, rhetorisch ausbilden lassen. Ich habe auch nie das Training wegen irgendeines Werbe-Auftrags ausfallen lassen müssen. Es ging immer zuerst um mich und den Sport – sonst wäre meine Karriere als Schwimmerin vermutlich auch schnell zu Ende gewesen.

Hat Ihr Manager allein über Ihre Medienauftritte entschieden?

Bis zu meiner Volljährigkeit hat er die Entscheidungen getroffen. Damals hat mich der ganze Rummel nicht interessiert: Ob ich für diese oder jene Joghurt-Marke werbe, ob ich damit eine Million oder nur 500.000 Mark verdiene. Alles, was mich interessiert hat, war mein Sport. Werner Köster hat sich auf mich eingelassen, er wusste irgendwann, wie ich ticke. Er hat sogar Pressetermine zwischen zwei Trainingseinheiten so nett verpackt, dass sie für mich angenehm waren. Zum Glück waren seine Entscheidungen alle vertretbar. Vielleicht waren es alles in allem ein bisschen zu viele Medienauftritte.

Auch ein bisschen zu viele private?

Ich denke, das ist nicht der Punkt. Zum einen haben Kinder und Jugendliche nicht so viel Privatleben. Genau das ist das Problem für Leute wie mich, die schon in ihrer Kindheit populär werden. Die Presse hat mich in einem Alter erwischt, in dem es noch keine Privatsphäre gab, in dem man im Fernsehen über Mutti und Vati und seine Haustiere plaudert. Dann wird man erwachsen und baut sich ein Privatleben auf, das man schützen möchte. Diese Umstellung ist schwierig. Von Günther Jauchs Kindheit wissen wir zum Beispiel sehr wenig, weil er erst als Erwachsener bekannt geworden ist. In diesem Alter ist man weitsichtiger und kann seine Familie eher vor den Auswirkungen der Popularität schützen, so wie Günther Jauch es konsequent tut. Zum anderen kann man sich als Schwimmerin in der Regel nur zwei Mal im Jahr der Öffentlichkeit bei großen Wettbewerben präsentieren. Wenn ich im Jahr nur zwei öffentliche Auftritte gehabt und ansonsten nur über das Schwimmen geredet hätte, hätte ich keinen einzigen Werbevertrag bekommen. Normalerweise bekommt eine Schwimmerin ein paar hundert Euro vom Verein, und ein paar hundert Euro Sporthilfe. Wenn man also nicht mit der Presse kooperiert, dann trifft man die Entscheidung: Ich bleibe arm. Darüber habe ich damals allerdings nicht nachgedacht.

Aber denken Sie nicht trotzdem zuweilen: ,Hätte ich weniger Interviews gegeben, müsste ich mich jetzt vielleicht nicht über Urlaubsfotos von mir in der „Bunten“ ärgern?‘

So einfach ist das nicht: Entweder du spielst das Spiel mit den Medien mit, oder du lässt es ganz. Ich hätte mich als Sportlerin also hinstellen müssen und sagen: ,Ihr dürft mich nichts Persönliches fragen, ihr dürft nur berichten, dass ich beim Wettkampf gewonnen habe.‘ Aber ich wollte, dass über mich und meinen Sport berichtet wird und habe mich über die Anerkennung gefreut – so bin ich in den Strudel der Medien geraten.

Wie wählen Sie bei Interviewanfragen aus?

Ich versuche immer, so normal wie möglich mit Presseanfragen umzugehen. Es passt oder es passt nicht, da gefällt mir eine Nase, und dort gefällt mir eine nicht. Was ich allerdings immer gehasst habe, waren Illustrierte, bei denen man schon am Titelblatt erkennt, dass sie sich ihre Geschichten ausdenken. Und Blättern, die ich weder mag noch lese, gebe ich auch kein Interview. Wenn ich einem Journalisten eines gebe, versuche ich mir nicht allzu viele Gedanken zu machen nach dem Motto: ,Was schreibt der Mann wohl? Wer bekommt den Text in die Hände? Welches Bild von mir könnte durch den Beitrag entstehen?‘ Viele Jahre habe ich mich bei Negativ-Schlagzeilen mit der Devise über Wasser gehalten: ,Reg dich nicht auf, morgen wird in der Zeitung Fisch eingewickelt.‘ Heute weiß ich allerdings, dass manches hängen bleibt. Etwa die Berichterstattung über mein Abschneiden bei den Olympischen Spielen 2000 und mein Gewicht. Bis heute gibt es Menschen, die mich auf der Straße ansprechen: „Ach, ich dachte, sie wären viel pummeliger, ich hatte mir sie viel dicker vorgestellt.“ Wenn du sechs Jahre damit konfrontiert wirst, dann siehst du, welche Macht die Medien haben.

Vom damaligen „BZ“-Chefredakteur Franz Josef Wagner stammt die Schlagzeile „Franzi van Speck – als Mo
lch holt man kein Gold.“ Haben Sie das persönlich genommen?

… vielleicht zu persönlich. Das Problem war nicht nur Franz Josef Wagner, es waren all die Journalisten, die auf den Zug aufgesprungen sind und seine Geschmacklosigkeit übernommen haben. Das war für mich eine große Belastungsprobe. Ich habe deshalb damals eine Auszeit genommen, bin bestimmt für ein halbes Jahr nicht mehr ins Wasser gesprungen und habe in dieser Zeit viel über meine Karriere nachgedacht. Und dann habe ich mich entschieden, dass ich sie so – und unter Druck von außen – nicht beenden will. Ganz tief in mir drin war ein Fünkchen Hoffnung, dass ich es noch einmal schaffen kann – was ich 2002 bei der Europameisterschaft auch bewiesen habe.

In einem Interview mit dem „Playboy“ haben Sie gesagt, dass man Boris Becker nie die Chance gegeben hat, zu erkennen, wer er wirklich ist, weil er seit seiner Jugend stets mit der öffentlichen Meinung über seine Person konfrontiert war. Wenn das so ist, gilt für Sie dasselbe. Täte Ihnen deshalb eine längere Pause ohne öffentliche Aufmerksamkeit nicht gut?

Leichter gesagt als getan. Meine Erfahrung ist: Wenn ich lange nicht mehr bei Veranstaltungen auftauche, dann taucht die Presse bei mir auf. Ich hatte früher nie Probleme mit Paparazzi – aber seitdem ich keine Fragen zu meinem Privatleben mehr beantworte, tauchen ständig Paparazzi-Fotos von mir auf. Was allerdings nicht heißt, dass ich nun von einer Party zur nächsten springe, in der Hoffung, dass mich die Fotografen deshalb in Ruhe lassen. Ich versuche, einen Mittelweg zu finden. Am liebsten lasse ich mich bei irgendwelchen Wohltätigkeitsveranstaltungen sehen, die halbwegs Sinn haben.

Aber mal ganz ehrlich: Würden Sie sich vollständige Ruhe vor der Presse überhaupt wünschen?

Das ist tatsächlich mein Wunsch, und ich werde für die Zukunft an Rückzugsmöglichkeiten arbeiten – Orte, wo ich tief durchatmen und so sein kann, wie ich will.

Wie passt dieser Traum zu Ihrem beruflichen Seitenwechsel? Sie haben begonnen, als Moderatorin zu arbeiten, stehen also weiterhin im Rampenlicht.

Ich will nicht Moderatorin werden, damit ich weiter im Rampenlicht stehe, sondern weil mich Journalismus interessiert. Ich glaube, dass ich ein gewisses Talent für diesen Beruf habe, und vielleicht interviewe ich irgendwann nicht mehr nur Sportler, sondern auch Politiker, Wissenschaftler oder Manager. Vielleicht schreibe ich auch unter Pseudonym. Dann wird sich zeigen, ob ich eine gute Journalistin bin oder nicht.

Ohne Ihren hohen Bekanntheitsgrad hätten Sie allerdings gar nicht die Chance bekommen, sich als Journalistin auszuprobieren.

Das stimmt. Beispielsweise habe ich die Formel-1-Moderation in diesem Jahr auf alle Fälle bekommen, weil ich Franzi van Almsick heiße und nicht, weil ich eine wahnsinnig gute Moderatorin bin. Ich gebe gerne zu, dass ich ab und an die Möglichkeiten nutze, die sich mir auf Grund meiner Popularität bieten. Aber wenn ich den jeweiligen Job habe, will ich ihn möglichst gut machen – so wie ich als Sportlerin versucht habe, das Maximum aus mir herauszuholen. Ich war eine gute Sportlerin, aber darauf will ich mich nicht ausruhen. Das wäre auch traurig. Ich will mich weiterentwickeln und weiß, dass ich, um eine gute Journalistin zu werden, noch viel lernen muss.

Was ist guter Journalismus für Sie?

Guter Journalismus versucht, Menschen und Sachverhalte möglichst neutral einzuschätzen und zu analysieren. Er ist für mich das Gegenteil von Meinungsmache. Als Journalistin merke ich übrigens selbst, wie schwierig diese Haltung ist, denn eine Meinung hat man schnell, und man muss sich zusammenreißen, damit sie nicht in die Arbeit mit einfließt. Neutral zu sein heißt aber nicht, es allen recht zu machen und nur positiv zu berichten. Man muss als Journalist ganz bestimmt nicht immer nur nett und freundlich sein, aber man sollte sich überlegen: Was ist moralisch vertretbar und was nicht? Wer das nicht tut, ist in der Gefahr überzuschnappen, sich für den Allergrößten zu halten und bei seiner Arbeit unter die Gürtellinie zu gehen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, wenn Journalisten private Empfindlichkeiten mit in ihre Arbeit einfließen lassen, die Berichterstattung leidet. Ich habe zum Beispiel einmal einen ganzen Tag mit einem bekannten Autor vom „Spiegel“ verbracht und ein nettes Gespräch mit ihm geführt. Beim Lesen des Artikels habe ich von dem, was ich gesagt habe, nichts wiedergefunden. Viele Journalisten, auch solche von guten Blättern wie eben dem „Spiegel“, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ oder der „Zeit“ bringen ihre eigene Meinung mit ein. Damit wären wir wieder beim Punkt: Als Journalist hat man Verantwortung und viel Macht, das sollte man nie vergessen. Man kann Menschen hochloben, man kann sie kaputtmachen. Beides ist falsch. Zugegeben: Es ist nicht einfach, den richtigen Weg zu finden, aber wer noch nicht einmal bereit ist, ihn zu suchen, sollte nicht Journalist werden.

Interview Christoph Havemann / Katharina Klofat

Erschienen in Ausgabe 1/2007 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 32 bis 35. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.