Killing fields

Journalistenmorde können, man glaubt es kaum, sogar das Thema von Gedichten sein. William Carlos Williams, einer der Väter der modernen amerikanischen Lyrik, hat einem seiner Gedichte den Titel „To a dead journalist“ gegeben. An einer Stelle heißt es dort: „But rumors of the news, / unrealizible, / cling still among those / silent, butted features, / sort of wonder at this scoop“. Hans Magnus Enzensberger übersetzt die Zeile: “ Doch geht die Nachricht, / ungreifbar, um / wie ein Gerücht in den / verstummten und geschlagenen Zügen, / als spürten sie zu spät / die große Story“.

Eine große Story war im letzten Jahr die Ermordung der russischen Journalistin Anna Politkowskaja, die ein grelles Schlaglicht warf auf den Zustand der Pressefreiheit im Russland Vladimir Putins (s. a. Seite 16). Es gab und gibt auch weiterhin in vielen europäischen Ländern Protestaktionen gegen diesen Mord, vor allem aber gegen den skandalösen Umgang regierungsamtlicher Stellen mit unabhängigen Journalisten. Im Schatten dieser „großen Story“ um Anna Politkowskaja wurden weltweit jedoch noch weitere Mordkomplotte gegen Journalisten geplant und durchgeführt, die nur von „Reportern ohne Grenzen“ und anderen Menschenrechtsorganisationen wahrgenommen wurden. Wen interessierten beispielsweise in den letzten Monaten noch die Nachrichten über ermordete Journalisten im Irak? Seit dem Einmarsch der amerikanischen Truppen 2003 sind dort 123 Journalisten und Medienmitarbeiter während ihrer Arbeit getötet worden. Allein in der ersten November-Hälfte wurden hier sieben Journalisten Opfer von Anschlägen. So wurde Qussai Abass, Reporter von „Tariq Al-Shaab“, auf dem Weg zu seiner Redaktion erschossen und Muhammed Al-Ban, Reporter und Kameramann der irakischen Fernsehgesellschaft „Al-Sharqiya“ in Mossul auf offener Strasse ermordet. Alle im November getöteten Journalisten arbeiteten im Auftrag irakischer Medien. Vielleicht ist das ein Grund, warum das öffentliche Interesse in Europa verschwindend gering war.

Krisenherd Mexiko. Weitere Morde an Journalisten jenseits der „großen Story“ ereigneten sich 2006 vor allem in Mexiko. Betroffen waren hier bis auf eine Ausnahme Journalisten, die im Milieu der Rauschgiftbanden recherchierten. Misael Tamayo Hernàndez zum Beispiel, Herausgeber der Tageszeitung „El Despertar de la Costa“ im Süden Mexikos, wurde Anfang November brutal hingerichtet-vermutlich von Auftragskillern eines lokalen Rauschgiftsyndikats. Roberto Marcos GarcxECa, ein anderer, im Milieu der organisierten Kriminalität recherchierender Reporter, wurde laut Polizeiangaben von seinem Motorrad gerissen und dann mit zwölf Schüssen hingerichtet. Auch ein amerikanischer Bildreporter ist unter den 2006 in Mexiko ermordeten Journalisten: Im Oktober wollte Bradley Will den Protest der Bevölkerung in Oaxaca gegen ihren autoritären Gouverneur dokumentieren. Es wird vermutet, dass Will dabei von korrupten paramilitärischen Banden erschossen wurde. In Europa wird die in den letzten Monaten zu verzeichnende massive Zunahme der Gewalt in Mexiko, der immer öfter auch Medienmitarbeiter zum Opfer fallen, kaum zur Kenntnis genommen. Wahrscheinlich sind das eben keine Nachrichten und „großen Storys“, mit denen man hier einen Scoop landen kann. Viele werden sich auch sagen, dass die Möglichkeiten europäischer Journalisten, auf den „killing fields“ im Irak oder in Mexiko helfend zu intervenieren, eh begrenzt sind. Das mag auch der Wahrheit entsprechen. Und dennoch könnten Journalisten als Profis der Wahrnehmung wenigstens versuchen, auch jenseits der „großen Storys“ die „kleinen dramatischen Geschichten“ in der eigenen Berufswelt nicht ganz aus den Augen zu verlieren.

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Erschienen in Ausgabe 1/2007 in der Rubrik „Chronik“ auf Seite 13 bis 13 Autor/en: Carl Wilhelm Macke. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.