Lob & Tadel

Sie waren die „Journalisten des Jahres“ 2005: „medium magazin“ fragte, was für sie die journalistischen Höhepunkte und Tiefpunkte des vergangenen Jahres waren und was sie sich für 2007 erhoffen:

Alice Schwarzer, „Emma“

Höhepunkt 2006:

Ein Höhepunkt war die Berichterstattung während der Fußball-WM. Wg. Offenheit.

Tiefpunkt 2006:

Ein Tiefpunkt war die Berichterstattung vor der Fußball-WM. Wg. Voreingenommenheit.

Hoffnung für 2007:

Meine auch für 2007 andauernde Hoffnung ist, dass meine lieben KollegInnen sich nicht vollends im Schwadronieren & Personalisieren verlieren, sondern sich wieder auf ihre Kernaufgabe des Informierens & Analysierens besinnen.

Alexander von Schönburg, Publizist

Höhepunkt 2006:

Die Wiedereinführung von „Bilder und Zeiten“ in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Tiefpunkt 2006:

Das inhaltslose und eitle Harald-Schmidt-Interview in der „Zeit“, siehe: Hagiographie.

Hoffnung für 2007:

Ein Erfolg der neuen Wochenzeitschrift „Vanity Fair“ und womöglich die Markteinführung einer dritten überregionalen Sonntagszeitung.

Jens Bergmann, „brandeins“

Höhepunkt 2006:

Henning Sußebachs Geschichte in der „Zeit“ über ein nie gedrucktes Interview mit Oliver Kahn („Die Angst des Torwarts“, 12.4.06). Ein starkes Stück, das viel über Kahn und noch mehr über die ungeschriebenen Regeln bei der Berichterstattung über Prominente verrät.

Tiefpunkt 2006:

Die Nebentätigkeit etlicher Redakteure und Mitarbeiter der „Süddeutschen Zeitung“ als Werbetexter für das expandierende hauseigene Versandgeschäft – von mittelmäßigen Krimis bis hin zu exotischen Weinen. Erstaunlich, wie leichtfertig eine Qualitätszeitung ihren Ruf aufs Spiel setzt.

Hoffnung für 2007:

Antworten auf die Frage, ob und wie Medien ihre Glaubwürdigkeit in einer Zeit bewahren können, in der sich die Grenzen zwischen Journalismus und PR auflösen.

Inge Klopfer, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“

Höhepunkt 2006:

Jeder exzellent geschriebene und gut recherchierte Artikel ist für mich ein journalistischer Höhepunkt. Davon gab es mehrere. Spontan fällt mir die Reportage in der „Zeit“ über „Das falsche Geschlecht“ vom Juni dieses Jahres ein.

Tiefpunkt 2006:

Als journalistischen Tiefpunkt habe ich persönlich die mediale Präsentation des Entführungsopfers Susanne Osthoff Anfang des Jahres empfunden. Ihre Geschichte wurde ausgeschlachtet. Das Ausschlachten hinterließ nichts als große Verwirrung auf allen Seiten. Um einen Erkenntnisgewinn ging es dabei kaum.

Hoffnung für 2007:

Für die Medienszene erhoffe ich mir in 2007 mehr Seriosität und weniger Boulevard – zugegeben ein naiver Wunsch.

Tom Jacobi, „stern“/“view“

Höhepunkt 2006:

Das Interview mit Murnat Kurnaz im „stern“.

Tiefpunkt 2006:

Die manipulierten Fotos der Bildagentur Reuters aus dem Libanon-Krieg.

Hoffnung für 2007:

2007 wird das „Jahr des Bildes“.

Philipp Köster, „11 Freunde“

Höhepunkt 2006:

Viertelfinale der WM 2006, Berliner Olympiastadion, der Argentinier Cambiasso verballert seinen Elfmeter gegen Jens Lehmann, das Stadion explodiert, auch auf der Pressetribüne liegt sich die komplette Journaille in den Armen. Nur einer steht inmitten der überschäumenden Freude vor seinem Sitz und verzieht keine Miene: Thomas Kistner von der „Süddeutschen Zeitung“. Eine Szene, die in seltener Klarheit die Gretchenfrage des Sportjournalismus bebilderte: Wie halten wir es mit der Distanz zum Objekt unserer Berichterstattung? Oder anders formuliert: Ist Kistner einfach verklemmt? Oder sind viele Sportjournalisten nur Fans mit Kugelschreiber? Weiß nicht.

Tiefpunkt 2006:

Dass der b&d-Verlag keinen Mut hatte, das Magazin „Player“ weiterzuführen. Es verband Fußball & Lifestyle, hatte Mut zur fotografischen Opulenz und war keine hasenfüßige Kopie von irgendetwas. Meine Vorstellung von Fußball ist eine ziemlich andere als die der „Player“-Macher, gleichwohl: das Magazin war eine Blutauffrischung für den ansonsten oft erschreckend einfallslosen Fußballzeitschriftenmarkt. Nun wird „Player“ zum 140. Männermagazin umgeformt – das wiederum braucht kein Mensch.

Hoffnung für 2007:

Dass es junge, aufregende, neue Magazine gibt, denen man das Herzblut, die Begeisterung, die Leidenschaft am Zeitschriftenmachen anmerkt. Magazine, die nicht an den Reißbrettern der Großverlage auf Marktdurchdringung getestet wurden. Und die nebenbei solch verschnarchte Seniorengazetten wie Peichls „Tempo“ noch älter aussehen lassen, als diese ohnehin schon sind.

Gert Scobel, 3sat

Höhepunkt 2006:

Fußball-WM? Große Koalition? Der Streit um den Heine-Preis? Der Film über Marcel Reich-Ranicki? Ich glaube, am Ende war es für mich der Coup, den die Kollegen vom österreichischen Fernsehen landeten, indem sie das (gut geführte) Interview mit Frau Kampusch ausstrahlten, die bei allen Zugeständnissen zeigte, wie man intelligent etwas sagen – mit den Medien kooperieren – und sich zugleich auch entziehen kann.

Tiefpunkt 2006:

Ich neige dazu, Tiefpunkte zu verdrängen. Es muss sie gegeben haben, denn ich habe mich mehrfach geärgert. Weil die Tiefpunkte meist in Reihe auftreten. Ich denke, zumindest eines der Highlights war die gereiht schlechte Berichterstattung über das Anti-Phänomen Eva Hermann, die am Ende trotz aller Berichterstatterei dennoch im Buchverkauf weit unter den Erwartungen blieb. Es zeigte sich eine gewisse Hilflosigkeit, jenseits von Polemik gut mit einer höchst komplexen Problemlage umzugehen (Testfall für Politik und Wissenschaft).

Hoffnung für 2007:

Dass die Wende hin zum „intelligenten“ Journalismus, d. h. so konservativ-hausbacken es auch klingen mag: Der Wille zu Aufklärung und dazu, die Urteilskraft der Leser/Innen und Zuschauer/Hörer/Innen zu stärken, an Kraft gewinnt.

Andrian Kreye, „Süddeutsche Zeitung“

Höhepunkt 2006:

Die Hartnäckigkeit, mit der die Presse weltweit ihre Rolle als vierte Macht wahrnahm (BND-Affäre/Rauchverbotsdebatte in Deutschland, CIA-Geheimgefängnisse/NSA-Abhörskandal in den USA).

Tiefpunkt 2006:

Die Annährungen von CNN an den demagogischen Meinungsjournalismus des rechtskonservativen Hetzkanals Fox News.

Hoffnung für 2007:

Dass der momentane Boom deutscher Printmedien nicht nur eine Blase ist.

Harald Martenstein, „Die Zeit“/“Tagesspiegel“

Höhepunkt 2006:

Die Arbeit von „BILDblog“.

Tiefpunkt 2006:

Kein Tiefpunkt, sondern eine Tiefebene: der fast nicht mehr vorhandene Unterschied zwischen Boulevard-Journalismus und der übrigen Presse, der immer sabberndere Umgang mit den Opfern von Entführungen und Vergewaltigungen.

Hoffnung für 2007:

„Tempo“ soll wieder regelmäßig erscheinen.

Hermann Unterstöger, „Süddeutsche Zeitung“

Höhepunkt 2006:

Als mir im März die Leserin Dr. H. auf ein – wie immer anonymes – „Streiflicht“ schrieb, dass es Autoren wie ich seien, die sie noch und weiterhin an das literarisch Gute im Journalismus glauben ließen.

Tiefpunkt 2006:

Als mir im August die nämliche Leserin auf ein anderes „Streiflicht“ schrieb, sie wundere sich, wie es eine Zeitung vom Rang der „Süddeutschen“ über sich bringe, Leute zu beschäftigen, deren literarische Unbedarftheit so offenkundig sei.

Hoffnung für 2007:

Gerechtigkeit von Frau Dr. H.

Roland Zorn, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“

Höhepunkt 2006:

Die von Anfang bis Ende besonnte Fußball-Weltmeisterschaft im hellauf begeisterten Deutschland.

Tiefpunkt 2006:

Die lächerliche Wichtigkeits-Inszenierung rund um den letzten Faustkampfversuch des Box-Opas Axel Schulz und die medial orchestrierte kölsche Gefühlsoper um den zum FC heimgekehrten Fußballtrainer Christoph Daum.

Hoffnung für 2007:

Mehr Gelassenheit, mehr Souveränität, mehr Unvoreingenommenheit.

Uwe Vorkötter, „Frankfurter Rundschau“

Höhepunkt 2006:

Jürgen Klopp und Johannes B. Kerner im ZDF bei der Fußball-WM: Spielanalysen, hoch professionell und leicht verständlich zugleich, mit Hightech und Filzstift.

Tiefpunkt 2006:

Der Umgang des Brachial-Boulevards, „Bild“ voran, mit Natascha Kampusch und ihrem privaten Umfeld.

Hoffnung für 2007:

Dass der journalistische Nachwuchs in den Redaktionen endlich wieder eine Chance bekommt – nach all den Sanierungs-, Entlassungs-, Sozialauswahl-und Sonstwas-Runden.

Volker Lilienthal, epd

Höhepunkt 2006:

Der Höhepunkt war im Grunde kein journalistischer: eine ARD-Reportage am 8. Dezember, kurz vor zwölf ohne Ankündigung ausgestrahlt. Thema: „Das tägliche Sterben“ im Al Yarmouk Hospital in Bagdad, Autor: kein Journalist, sondern ein irakischer Arzt, der die bewegliche Kamera führte, der anonym bleiben muss, weil es im Irak lebensgefährlich ist, die Schrecken des Terrors zu zeigen. Harte Bilder, manche unerträglich – und doch: notwendige Erinnerung an eine grausame Eskalation nach einer irrwitzigen Invasion.

Tiefpunkt 2006:

Die gnadenlose Anprangerung, mit der das Münchener Boulevardblatt „tz“ im März drei Fußballprofis, darunter Nationalspieler Bastian Schweinsteiger, der Verwicklung in einen „Wettskandal“, des Versinkens in einen „Spendensumpf“ bezichtigte. Versunken ist am Ende die Zeitung selbst: in Scham und Schande, weil nichts davon stimmte. Ein blamabler Schnellschuss, der nach hinten losging. Der Sportchef musste gehen, Widerruf und Gegendarstellung auf Seite eins.

Hoffnung für 2007:

Schweinsteiger wehrte sich zu Recht. Es gibt aber auch zahlreiche Fälle, in denen die Objekte unserer Berichterstattung zu schnell zum Anwalt laufen. Mit teuren Drohgebärden rechtlicher Art wird die freie Presse eingeschüchtert. Schon kleine kritische Reize können eine Druckspirale aus Unterlassungsaufforderung, EV, Urteil und im Resultat eine Kostenlawine auslösen. Deshalb wünsche ich der Medienszene für 2007, dass die maßlose Juristifizierung unseres Gewerbes nicht überhand nimmt und dass statt des Paragrafenkrieges wieder mehr Dialogkultur gepflegt wird. Heißt aber auch für uns Journalisten: hinhören, wenn unsere Arbeit kritisiert wird – mit guten Argumenten.

Jörg Lünsmann, „Wolfsburger Allgemeine Zeitung“

Höhepunkt 2006:

Die Experten-Gespräche bei den WM-Spielen im Öffentlich-Rechtlichen: Als kompetente TV-Kommentatoren haben Jürgen Klopp und Urs Meier meinen persönlichen Sympathie-Preis 2006 bekommen. Ich hab schon unendlich viel Schlechteres gesehen.

Tiefpunkt 2006:

Die Polizei-Spitzelaffäre bei der „Wolfsburger Allgemeinen Zeitung“: Privat-Anschlüsse, Dienst-Telefone und Handys von Journalisten wurden mehrfach heimlich überwacht – nach meiner Rechtsauffassung illegal. Was bleibt, sind geschockte Kollegen und die Gewissheit, es könnte jederzeit wieder passieren. Die Berichterstattung über den Skandal hat keine Freude gemacht.

Hoffnung für 2007:

Mein frommer Wunsch für 2007: Boulevard kann schön und gut sein, Berichte über das Innenleben der Kleiderschränke von Stars und Sternchen allerdings langweilen mich. In diesem Zusammenhang ein kleiner Zusatzwunsch für die Berichterstattung über Volkswagen: Die Medienszene möge sich bei der VW-Affäre nicht nur auf Lustreisen und Sex-Affären kaprizieren und dann zufriedengeben. Es geht um Korruption – auf viele spannende Fragen gibt es noch keine Antworten.

Monica Lierhaus, ARD-„Sportschau“

Höhepunkt 2006:

Einer der Höhepunkte des Jahres war die Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land. Das kann man auch auf die journalistische Leistung in Deutschland übertragen. Ich finde, dass es den Medien insgesamt extrem gut gelungen ist, die Stimmung und Atmosphäre rund um die WM zu vermitteln.

Tiefpunkt 2006:

Der kindische „Presseboykott“ der Spieler des FC Schalke 04, die wochenlang allen Medienvertretern Interviews verweigerten, ohne zu begreifen, dass sie damit letztlich nur den eigenen Fans schaden, die ihre „Helden“ nach den Spielen nur zu gern gehört hätten. Albern und dumm! Geradezu erschreckend war das Verhalten der HSV-Mitglieder, die – gegen den Willen der sportlichen Führung des Vereins – die Pressevertreter von der Mitgliederversammlung ausgeschlossen und sie unter Gegröle, Pöbeleien und Schmährufen aus dem Saal geworfen haben. Ein ebenso einmaliger wie trauriger Vorgang in der 119-jährigen Geschichte des HSV.

Hoffnung für 2007: k. A.

Klaus Schweinsberg,

„Capital“

Höhepunkt 2006:

Es gab keinen. Für die hartnäckige Recherche der VW-Affäre, die allerdings schon 2005 begann, könnte man aber Silber oder Bronze vergeben.

Tiefpunkt 2006:

Die Art und Weise, wie insbesondere von den Printmedien der Fall Kampusch ausgeweidet wurde.

Hoffnung für 2007:

Mehr Mut in der Kommentierung und Analyse.

Christoph Drösser, „Die Zeit“

Höhepunkt 2006:

Die Einführung von www.spiegel.de/spam.

Tiefpunkt 2006:

Gleich drei Beispiele dafür, wie die journalistische Meute reflexhaft auf „Aktualität“ reagiert, ohne darüber zu reflektieren, welchen Interessen die Berichterstattung über die angeblich so sensationellen Ereignisse dient: Günter Grass‘ SS-Vergangenheit, die „Totenschändung“ der deutschen Soldaten in Afghanistan – und die Diskussion über Eva Hermans Buch.

Hoffnung für 2007

Mehr Mut, Themen nach vorn zu bringen, die man für wichtig hält – anstatt sich von den (angeblichen oder tatsächlichen) Meinungsmachern die Themen diktieren zu lassen.

Erschienen in Ausgabe 1/2007 in der Rubrik „Chronik“ auf Seite 18 bis 23. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.