Mord als Zensur

Die Menschen, die unter Armut oder Gewalt leiden, werden leise und wir können sie nicht mehr hören. In unserer lauten Mediengesellschaft ist kein Platz für sie.“ Jean Marie Etter, Präsident der Schweizer Journalistenorganisation „Fondation Hirondelle“, kennt viele Krisengebiete der Welt, die in den westlichen Nachrichten nicht auftauchen. Doch selbst die Bilder und Meldungen aus bekannten Brennpunkten, etwa aus dem Irak oder vom Gaza-Streifen, sind mit Vorsicht zu genießen. So meint etwa Elke Schäfter, Geschäftsführerin der deutschen Sektion von „Reporter ohne Grenzen“ (ROG): „Aus dem Irak kann kaum noch berichtet werden, es sind nur noch wenige ausländische Journalisten im Land, wir wissen letztlich nichts über den Irak.“ Wer sich mit Fachleuten über die Lage der Journalisten in und die Berichterstattung aus Kriegs-und Krisengebieten unterhält, bekommt Einschätzungen wie diese: „Die Nachrichten sind einseitig, gefiltert und vermitteln bestenfalls einen kleinen Teil der wahren Lage vor Ort“, „Wir blenden einen großen Teil der Krisen dieser Welt aus“ und „Journalisten werden immer häufiger zur Zielscheibe kämpfender Gruppen, von Militärs, Guerillas, Warlords, Drogenbaronen. Sie werden eingeschüchtert, unterdrückt, eingesperrt oder ermordet“.

Kein Beobachterstatus. Die Bilanz des „International Press Institute“ (IPI) Wien, das sich seit 1950 weltweit für Pressefreiheit einsetzt, ist unverändert kritisch. „Die Lage für Journalisten in Krisengebieten ist verheerend“, sagt Michael Kudlak, IPI-Berater für Pressefreiheit. Egal, ob in Gaza, Kolumbien, Mexiko, auf den Philippinen oder in Russland – Repressionen und Gewalt gegen Journalisten seien an der Tagesordnung. Das Hauptproblem ist für Kudlak: „Die Regeln haben sich geändert. Früher galten Journalisten als neutrale Beobachter, heute glauben viele der kriegführenden Parteien, die Journalisten gehören einer Seite an.“ Auch die Menschenrechtsorganisation „Reporter ohne Grenzen“, seit 20 Jahren Beobachter der weltweiten Entwicklung von Presse-und Meinungsfreiheit, schlägt Alarm. „Gerade im Irak spiegelt sich die Lage der Kriegsberichterstattung wider“, so Schäfter. Seit Beginn des Krieges 2003 wurden dort 139 Journalisten und Medienmitarbeiter getötet, 51 wurden entführt, so die traurige Statistik von „Reporter ohne Grenzen“. Für die Medien ist das der blutigste Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg.

Nur noch wenige internationale Reporter befinden sich im Irak und die, so Kudlak, seien meist in der „Green Zone“, dem von US-Militärs schwer bewachten Komplex in Bagdads Stadtmitte. Die größte Gefahr bestehe für die lokalen Journalisten oder „Stringer“, also die Informationsbeschaffer vor Ort, so Kudlak. Kaum ein westlicher Korrespondent kommt jedoch ohne Stringer aus. Sie beherrschen die Sprache, kennen die Lage, schaffen Kontakte – und sie stehen in der Schusslinie. Die Statistik von „Reporter ohne Grenzen“ ist eindeutig: Die meisten getöteten Kollegen sind lokale Journalisten. Das gilt übrigens nicht nur für den Irak, sondern für alle Krisengebiete weltweit. Kudlak: „Diese Zahlen steigen, weil es ziemlich risikofrei ist, einen Journalisten zu ermorden. Die Täter kommen meist ungestraft davon, und andere Journalisten werden dadurch eingeschüchtert. Es ist eine Form von Zensur.“ Hinzu kommt, dass sich die Konflikte verändert haben. Heute ziehen oft Druglords oder Guerillas die Fäden, das macht den Job gefährlich. Elke Schäfter hat festgestellt: „Die Akteure lassen sich nicht mehr auf Schutzbestimmungen festlegen.“ Das bedeutet, Journalisten, die unangenehme Wahrheiten aussprechen, werden in vielen Ländern zu Freiwild. Nach einer ROG-Statistik wurden 45 Prozent der Journalisten getötet, weil sie abweichende Ansichten veröffentlichten, 30 Prozent, weil sie über Korruption berichteten. Schäfters Fazit: „Wir haben es mit einer Erosion der Menschenrechte zu tun.“

Schwarze Flecken. Die miserablen und gefährlichen Arbeitsbedingungen wirken sich natürlich auf die Berichterstattung aus. Offizielle Quellen versuchen, ihre Sicht der Dinge zu verbreiten, jeder der Beteiligten kämpft um die Informationshoheit, viele Informationen sind nicht nachprüfbar. Schäfter weiß: „Aus dem Irak erfahren wir keinerlei Hintergründe, aus bestimmten Regionen des Landes gar nichts.“ Dabei steht dieses Land seit Jahren im Fokus der Weltöffentlichkeit. Andere Brennpunkte nehmen wir überhaupt nicht wahr. Zum Beispiel die Zentralafrikanische Republik. Niemand weiß, wo sich die Hauptstadt Bangui befindet, und schon gar nicht, was dort geschieht. „Dieses Land gibt es einfach nicht in der öffentlichen Wahrnehmung des Nordens und unserer Regierungen, ein Niemandsland unseres öffentlichen Bewusstseins“, beklagt Jean-Pierre Husi, Mitglied im Stiftungsrat von „Fondation Hirondelle“. Die Schweizer Stiftung ist eine Journalisten-Organisation, die in Krisengebieten neue Medien aufbaut, überwiegend Radiostationen. Die Idee entstand 1994 während des Völkermords in Ruanda, so Präsident Jean Marie Etter: „Wir sagten uns, so wie Ärzte mit Medizin helfen, können wir mit dem helfen, was wir können: Radio machen und Öffentlichkeit herstellen.“

Inzwischen betreibt „Hirondelle“ (zu Deutsch: Schwalbe) Radiostationen in mehreren afrikanischen Ländern und arbeitet ausschließlich mit einheimischen Reportern. Die Stiftung stellt Know-how und Equipment und hilft beim Aufbau der Stationen. „Wir brauchen starke unabhängige Medien in diesen Ländern“, so Etter, „Radio, an dem sich jeder beteiligen kann und das die Menschen und die soziale Realität wahrnimmt.“ Oberste Ziele sind Unabhängigkeit, Offenheit und Nähe zu den Menschen. Etter: „Wir sahen, dass professionelle Informationen den Menschen wirklich helfen können. Deshalb hatten diese Radiostationen einen sehr großen Erfolg. Die Leute brauchen die Sender und hören zu. Dabei ist das Wichtigste die Glaubwürdigkeit.“ Die Arbeit jedoch ist denkbar schwierig. Regime und Kriegsparteien wollen die Medien entweder mundtot machen oder sich ihrer bedienen. „Natürlich stehen die Journalisten dort unter starkem Druck“, sagt Etter. „Manchmal werden Journalisten mit Waffen bedroht, es kam auch schon vor, dass Warnschüsse auf sie abgegeben wurden. Andere Journalisten werden ins Gefängnis gesteckt. Es gibt also tatsächlich tödliche Bedrohungen. Aber wir sind nicht die Einzigen. Die Journalisten der lokalen Medien werden noch viel mehr bedroht.“ Andererseits gewinnen die Sender schnell an Popularität, so der Stiftungspräsident: „Wenn Sie an dem Punkt sind, dass Sie sechs Monate lang gesendet und über das tägliche Leben berichtet haben, wird Ihre Radiostation sehr beliebt. Und das ist ein sehr starker Schutz.“

Linktipp:

„Reporter ohne Grenzen“: www.reporter-ohne-grenzen.de

„Fondation Hirondelle“: www.hirondelle.org

„International Press Institute“: www.freemedia.at

Erschienen in Ausgabe 1/2007 in der Rubrik „Chronik“ auf Seite 14 bis 14 Autor/en: Robert Domes. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.