Sind Sie auch ausgebrannt?

Um vier Uhr morgens ist die Nacht für Daniela F. vorbei. Die 39-jährige Redakteurin liegt im Bett und grübelt über die drei Artikel, die morgen fertig werden müssen. Dann fällt ihr die Redaktionskonferenz ein – und ihr Chef, der ihre Themen irgendwie nie gut genug findet. Erst in den frühen Morgenstunden kann sie wieder einschlafen – nur wenig später klingelt der Wecker. So geht das schon seit Wochen. Und es ist nicht das erste Mal, als eine Kollegin sie am nächsten Morgen auf dem Redaktionsflur fragt: „Bist du krank? Du siehst ganz schön blass aus.“

Die Erschöpfungsspirale. Schlafprobleme, Kopfschmerzen, Rückenprobleme oder Dauererkältung – fast jeder Journalist kennt solche Beschwerden und weiß, dass sie irgendwie mit der Arbeitsbelastung zusammenhängen. Was die meisten nicht wissen: Die Beschwerden sind häufig Anzeichen einer beginnenden psychischen Erschöpfung, die man ernst nehmen sollte. „Wer im Frühstadium der Erschöpfung nicht handelt, sondern weitermacht wie bisher, läuft Gefahr, nach und nach in eine Erschöpfungsspirale zu trudeln, die auf Dauer ernsthafte psychische Probleme bis hin zur Depression zur Folge haben kann“, warnt Dr. Hans-Peter Unger, Psychiater und Psychotherapeut in Hamburg. Denn Dauerstress ist ein echter Krankheitsfaktor: Die Blutfettwerte steigen an, die Konzentration lässt nach, die Muskeln verspannen, Immunsystem und Psyche machen schlapp. Die Gefahr eines Herzinfarkts, Hörsturzes, Infektes und psychischer Probleme steigt an. Die Erschöpfungsspirale hat in drei Stufen:

1. Wenn der Rücken schmerzt: Die erste Stufe zeigt sich mit Rücken-, Kopf-oder Zahnschmerzen, grippalen Infekten, Schlafstörungen, dem Gefühl von Energielosigkeit. Wer solche Anzeichen nicht ernst nimmt, sondern weiterarbeitet wie bisher, gerät tiefer in den Erschöpfungsstrudel.

2. Wenn die Emotionen verrückt spielen: Auf der zweiten Erschöpfungsstufe leidet auch die Seele: Trotz und Resignation machen sich breit. Männer reagieren häufig mit Irritierbarkeit, Reizbarkeit und aggressiven Ausbrüchen, Frauen ziehen sich eher innerlich zurück, fühlen sich verletzt und gekränkt. Die körperlichen Beschwerden werden stärker. Gleichzeitig spielt die Arbeit eine immer größere Rolle – im paradoxen Bemühen, damit gegen Erschöpfung und die nachlassende Leistungsfähigkeit anzukämpfen. Partner, Familie, Freundeskreis, persönliche Interessen werden vernachlässigt. Fast unbemerkt kommt es zu einem totalen Rückzug von den Mitmenschen.

3. Wenn der Lebensmut schwindet: Die Arbeitsleistung wird deutlich schlechter, Fehler schleichen sich ein, was den inneren und äußeren Druck weiter steigert, nicht selten droht der Partner mit Trennung. Die dritte Stufe der Erschöpfung ist erreicht. Die Arbeit macht keine Freude mehr, die Motivation sinkt. Andere Menschen und was man sonst liebt – alles scheint weit weg. Der Körper ist schlapp, der Schlaf gestört. Apathie oder quälende Unruhe machen sich breit. In dieser Phase treten häufig Suizidphantasien auf. Die Depression ist da.

Immer mehr Journalisten passiert genau das: „Ein Fünftel leidet unter hohem Burnout“, also völliger körperlicher und seelischer Erschöpfung, hat Diplomjournalistin Judith Pfeuffer in ihrer Studie „Macht der Journalistenberuf krank?“ herausgefunden, für die sie 152 Fragebögen auswertete, in denen Journalisten über ihre Arbeitsbedingungen, Schwierigkeiten im Beruf, ihre Gesundheit und ihr Gesundheitsverhalten Auskunft gaben. Der Grund für die völlige Verausgabung scheint bei den meisten vor allem die Kombination aus dem eigenen hohen Anspruch und den schlechten Arbeitsbedingungen zu sein. Besonders der ständige Zeitdruck, das Gefühl von Unsicherheit – bei Festangestellten ebenso wie bei Freien – sowie schlechte Aufstiegsmöglichkeiten bzw. miese Bezahlung gehen den Journalisten an die Nerven. „Journalismus könnte ein Traumberuf sein, wenn man für die Verantwortung, die man trägt, entlohnt würde …“, „Für freiberufliche Journalisten hat sich die Situation in den letzten Jahren extrem verändert. Meine Kollegen und ich sind nicht mehr durch zu viel Arbeit und zu enge Termine gestresst, sondern dadurch, dass es zu wenige Aufträge gibt und dass die Honorare nicht zum Leben reichen“ – lauten einige der Antworten auf den Pfeuffer-Fragebogen. Weibliche Journalisten, Freie und Ressortleiter scheinen besonders gestresst. Elf Prozent der Befragten waren wegen Stress sogar in ärztlicher oder therapeutischer Behandlung.

Dennoch: „Mit der Berufswahl sind die Befragten sehr zufrieden“, so Pfeuffer. Journalisten akzeptieren in der Regel die Widrigkeiten ihres Jobs als typisch. Viele bezeichnen sich sogar selbst als Workaholic – und sind stolz darauf. Das zeigt nicht nur Pfeuffers Studie, sondern auch die Umfrage „Journalismus in Deutschland 2006“ von Siegfried Weischenberg, Leiter des Instituts für Journalistik/Kommunikationswissenschaft der Uni Hamburg.

Paradebeispiele. In gewisser Weise sitzen die Journalisten deshalb in der Klemme: Sie lieben ihren Job und zugleich frisst er sie auf. Gesund ist diese Arbeitssituation nicht. Denn auch, wenn viele Journalisten die Belastungen in ihrem Beruf einfach ausblenden oder akzeptieren, reagieren Körper und Psyche auf den Dauerstress. „Die Schmerzen waren das Schlimmste“, erzählt Daniela F. Eines Tages fingen sie an. Sie wollte ihre Finger gerade auf die Tastatur legen, da schoss ihr ein stechender Schmerz in die Schulter und bis in die Fingerspitzen. Sie zuckte zurück. Ab da kamen die Schmerzattacken immer häufiger. Manchmal hatte sie richtiggehend Angst vor den Tagen, an denen ein Artikel unbedingt fertig werden musste. Irgendwann ging sie zum Arzt, weil sie nicht mehr weiter wusste – und wurde erst mal für zwei Wochen krankgeschrieben. „In meinen schlaflosen Nächten habe ich schon immer gedacht: Ich muss da raus! Als ich krankgeschrieben war, wurde das dann konkret.“ Alles schien plötzlich klar. Was sollte sie in einer Redaktion, die vielleicht demnächst abgewickelt wird? Wo selbst dem Chefredakteur egal ist, ob die Themen im Heft originell und interessant sind. Wo jeder nur noch ackert, um sein Pensum zu erledigen. Die Alternative, ein neuer Job innerhalb des Hauses, war für sie keine wirkliche: Für ihre Vorstellung vom Traumberuf als neugierige, unabhängige Journalistin war in diesem Verlag einfach kein Platz. Nach der Arbeitspause fädelte sie ihre Kündigung ein – und es ging ihr schlagartig besser.

„Ein wichtiger Schritt aus der Stressfalle ist, der Realität ins Auge zu schauen“, weiß Eva Pertzborn, Coach und Supervisorin aus Hamburg, die viele Medienschaffenden berät. „Erst, wenn man sich eingesteht, was man am Job, den man so liebt, ganz furchtbar findet, kann man etwas ändern.“ Nicht immer muss der nächste Schritt eine Kündigung sein, wie bei Daniela F. Im Gegenteil. Oft bringen schon kleine Schritte große Veränderungen: „Eine Redakteurin hatte das Gefühl, sie müsste immer erreichbar sein. Dabei quälte es sie sehr, dass sie nie Feierabend hatte“, erzählt Pertzborn. Nach dem Coachinggespräch fasste sich die Journalistin ein Herz und sagte Kollegen und Informanten, dass sie ab 21 Uhr und am Wochenende nicht mehr zu erreichen sei. Seitdem fühlt sie sich sehr viel weniger gestresst von ihrem Job. Eine freie Journalistin entdeckte dagegen im Coaching, dass sie ihre Arbeit regelrecht selbst sabotierte: Kam ein interessanter Auftrag rein, nahm sie sich alle Zeit der Welt für die Recherche, weil der „Job ja eher Vergnügen als Arbeit“ ist. Nach der Abgabe und dem kleinen Honorar ärgerte sie sich trotzdem, weil sie sich für die vielen Stunden Arbeit schlecht bezahlt fühlte. „Journalisten tun gut daran, zu lernen, ihre Arbeit nicht zu verklären und vor sich selbst als Vergnügen zu deklarieren“, weiß Pertzborn. Schließlich kommt immer der Moment, wo ein Artikel schwierig wird, die Abgabe naht und der Stress steigt – und spätestens da hört das Vergnügen auf und man schaut auf die Euros, die man für den Job bekommt.

Rückschläge. Nachdem die Idee mit der Kündigung geboren war, hat
te Daniela F. plötzlich wieder Platz in ihrem Kopf für ihren wirklichen Traum: Ein paar Monate zu reisen, Asien, Sri Lanka, Indien zu sehen. Ausführlich und ohne Hetze. Und dann als Selbstständige endlich die Reise-Themen zu schreiben, die sie schon immer schreiben wollte. Doch es kam anders: Als Daniela F. frei war, hatte sich die Reiselust plötzlich verflüchtigt. Stattdessen verbrachte sie ihre Tage zu Hause und grübelte über ihre Zukunft. Manchmal versuchte sie zu schreiben, rief lustlos Redaktionen an. Dann wieder lag sie apathisch im Bett. Erst Wochen später ging es wieder bergauf: Freunde schleppten sie mit zum Sport, ihr Freund entführte sie für ein Wochenende ans Meer. Daniela F. spürte ihre Lebensgeister wieder – und kann jetzt plötzlich wieder schreiben. „Ich bin da wirklich durch eine Krise gegangen. Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich durch den Job so erschöpft war, dass da gar keine Kraft für einen Neuanfang blieb. Das habe ich total unterschätzt“, weiß Daniela F. heute.

Alleine mit Unterstützung ihrer Freunde ist die Journalistin aus der Krise gekommen. Viele schaffen das nicht so einfach. Dann kann ein Coaching dabei helfen, die Arbeit gesünder zu sortieren und die große Krise zu verhindern. Doch gerade, wenn die körperlichen und seelischen Symptome der Erschöpfung bereits heftig sind, sollte man auch einen Arzt aufsuchen. Gemeinsam mit ihm kann man herausfinden, wie tief man schon in der Erschöpfung steckt, und ob man eher medizinische oder therapeutische Hilfe benötigt (s. a. Selbsttest Seite 78).

Danielas Fs. Leben ist inzwischen wieder im Lot – ihr Redaktionsbüro läuft und sie ist zufriedener als sie es als Redakteurin war. Ihre nächste Reise hat sie bereits geplant. Bis es so weit ist, nimmt sie sich die Zeit, in Ruhe potenzielle Abnehmer für ihre Reisereportagen zu finden. Bei allem Engagement achtet sie aber auch auf Pausen. Daniela F. macht regelmäßig Sport, nimmt sich Zeit für Freunde und ist mit sich selbst im Lot. Bis auf den Gedanken, der sie immer noch zum Grübeln bringt: „Manche Leute würden mich deshalb vielleicht gar nicht als Journalistin bezeichnen. Selbst für mich sind Journalisten Leute, die stets im Job sind, total engagiert, immer auf der Suche nach der besten Story. Doch das mache ich nicht mehr.“

Lesetipp:

Hans-Peter Unger/Carola Kleinschmidt: „Bevor der Job krank macht. Wie uns die heutige Arbeitswelt in die seelische Erschöpfung treibt und was man dagegen tun kann“, Kösel Verlag, München 2006 (evt. mit Cover-Illu)

Judith Pfeuffer: „Macht der Journalistenberuf krank?“, Diplomarbeit an der Katholischen Universität, Eichstätt 2005

Linktipp:

Siegfried Weischenberg: „Journalismus in Deutschland 2006“: Beitrag in Media-Perspektiven 7/2006: http://www.journalistik.uni-hamburg.de/jouridmp.pdf

G. Erdmann, W. Janke und K. Breitlin: Forschungsbericht „Stressverarbeitung (Stressbewältigung) bei Berufen mit hoher Belastung: Journalisten“: http://www.gp.tu-berlin.de/Biopsychologie/Forschung/kabre.php

Eva Pertzborn im Netz: www.evapertzborn.de

Erschienen in Ausgabe -1/2007 in der Rubrik „Leben“ auf Seite 78 bis 81 Autor/en: Carola Kleinschmidt. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.