Sprechstunde

Treten Matussek, Broder und Steingart jetzt im Zirkus auf?

Dr. Med.: Zumindest bei Mathias Matussek und Henryk M. Broder hat man schon länger die Vermutung, dass es sich bei ihnen nicht um Journalisten, sondern um Journalisten-Darsteller handelt: Von Matussek gibt es auf Spiegel-TV kleine Filmchen, in denen er als Hosenträger-Model brilliert, bei Broder scheint der Zufallsgenerator zu bestimmen, wer gerade als Antisemit geoutet wird. Zusammen mit Gabor Steingart traten die zwei als „die drei Redaktöre“ im Berliner Tipi-Zelt auf, einer Art Zirkuskuppel im Tiergarten. Unter dem großmannssüchtigen Titel „Deutschland-Arien“ – „Provokationen zur Lage der Nation“ gaben sie dort ihre Lieblingsthesen zum Besten. Matussek will mehr Nationalstolz, Broder weniger Islam und Steingart weniger China. Moderiert wurde das Ganze vom Schweizer Ringier-Journalisten Frank A. Meyer, der den deutschen Journalisten gern die Leviten liest, es aber im letzten „Cicero“ fertig brachte, seinem Freund Gerhard Schröder in einem großen Interview nicht eine einzige kritische Frage zu stellen. Während Meyer, Matussek und Broder also ganz gut in den Zirkus passen, fragt man sich allerdings bei Steingart, was ihn dazu treibt, in der Manege seine Seriosität zu opfern.

Apropos Steingart: „Der Spiegel“ wird 60. Wie geht’s da weiter?

Dr. Med.: Wie man hört, würde Steingart gern als Korrespondent nach Amerika gehen, um dort die nächste Präsidentschaftswahl zu begleiten. In Ruhe arbeiten könnte er dort aber nur, wenn er wüsste, dass sich in seiner Abwesenheit zumindest in der Führungsebene des „Spiegel“ nicht viel tut. Mit anderen Worten: Wenn Steingart in die USA geht, würde Stefan Aust wohl doch länger Chefredakteur bleiben als gedacht – nämlich mindestens bis 2009. Dann bliebe für Steingart genug Zeit, nach dem 8. November 2008, dem Tag der US-Wahl, zurückzukehren und sich hier als Nachfolger einzuarbeiten. Wie groß der Rückhalt für Steingart ist, wird sich zeigen, wenn er erstmals für den Vorsitz der Mitarbeiter-KG kandidiert.

Apropos „Spiegel“: Ist Markus Peichl im Verlag unten durch?

Dr. Med.: Zumindest gab es die zwei größten Verrisse seines „Tempo“-Aufgusses ausgerechnet bei „Spiegel Online“ und im „Spiegel“, obwohl Peichl doch für das Haus ein monatliches Kulturmagazin mit dem Arbeitstitel „Momo“ bastelt, das von derselben Redaktion gemacht wird wie die Otto-Katalog-dicke Jubiläumsnummer von „Tempo“, in der das Bemerkenswerteste ist, dass aus der ehemaligen RAF-Terroristin Astrid Proll ein H&M-Model geworden ist. Da Peichl in beiden „Spiegel“-Texten das blattmacherische Vermögen abgesprochen wurde, läge der Schluss nahe, darin bereits einen Abgesang auf „Momo“ zu sehen – und Peichl mag die Polemiken gegen ihn schon aus reinem Selbstschutz so deuten. Die Sache ist aber wahrscheinlich viel einfacher: Die beiden Autoren Thomas Tuma und Reinhard Mohr fanden das neue „Tempo“ einfach wirklich schlecht und haben damit so mancher Führungskraft beim „Spiegel“, die keinen Markt für ein monatliches Kulturmagazin sieht, aus dem Herzen gesprochen.

Apropos neues Blatt: Kommt das neue „FAZ-Magazin“ oder nicht?

Dr. Med.: Es soll so großformatig und opulent werden wie das „New York Times Magazine“ – eine Lifestyle-Beilage, aber auf dem Niveau der „FAZ“. „Service is just another way to tell a story“ haben die Macher der „New York Times“-Beilage erkannt und so hieven sie schon mal eine Geschichte darüber ins Blatt, wo sich New Yorker Ärzte operieren lassen würden. Wenn man sich anschaut, dass Lifestyle in Deutschland zumeist für oberflächliche Hochglanzhefte wie „Five to nine“ von der „Wirtschaftswoche“ steht, könnte dass Konzept tatsächlich eines sein, um hochwertige Anzeigen in einem hochwertigen journalistischem Umfeld zu bekommen. Dennoch ist man weiter unsicher, ob man das Blatt, das sowohl der „FAZ“ als auch der „FAS“ beigelegt werden soll, herausbringen soll, zumal noch niemand weiß, was eigentlich auf den Titel soll. Mode? Essen? Beziehungskisten? Vorsichtshalber hat Entwickler Christian Kämmerling – früher beim „SZ-Magazin“ und der „Weltwoche“ – zu allen drei Themen Nullnummern angefertigt.

Tut Roger Köppel wirklich so, als hätte er es in Deutschland geschafft?

Dr. Med.: Nach der Rückkehr von seinem erfolglosen Intermezzo als Chefredakteur der „Welt“ zur Schweizer „Weltwoche“ ist Köppels Lieblingswort „Seldwyla“ – so heißt eine Erzählung von Gottfried Keller, in der es um ein wonniges Provinznest geht. Damit meint Köppel wohl die Schweiz, die Redaktion und die für ihn kleinen Sorgen der Mitarbeiter – im Unterscheid zu sich selbst, dem weit gereisten, weltgewandten Journalisten, dem Deutschland-gestählten Chefredakteur und vor allem dem verantwortungs-und risikotragenden Neo-Unternehmer. Schließlich ist Köppel dank Tito Tettamanti zum Schnäppchenpreis Eigner der „Weltwoche“ geworden und dankt es ihm mit einem Rechtsschwung, der bereits viele verdiente Mitarbeiter vertrieben hat (Bildchef Andreas Wellnitz, Blattmacher Andreas Dietrich, Textchef Ingolf Gillmann). Sie alle hatten keine Lust mehr auf die einseitige Pro-Blocher-und Anti-EU-Berichterstattung. Rhetorischer Beleg für den Abstieg war unlängst die Überschrift: „Tragbare Speisekammern“-zu einem Artikel über Frauenbrüste. Zur Verschlechterung der Stimmung dürfte auch beitragen, dass bei der „Weltwoche“ die E-Mails ab diesem Jahr kontrolliert werden sollen. Das ist dann eher George Orwell als Gottfried Keller.

Erschienen in Ausgabe -1/2007 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 66 bis 66. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.