Gibt es ein Journalisten-Gen?

Kennt jemand noch Stefan Beckenbauer? Nee, aber das muss doch der Sohn des Kaisers sein. Kann der auch Fußball spielen? Ja, konnte er, brachte es immerhin bis in den Bundesligakader des FC Bayern München. Höhepunkt seiner Karriere: die Deutsche Meisterschaft – als Trainer, mit der B-Jugend von Bayern München. Die meisten Sprösslinge berühmter Fußballer treten nie aus dem Schatten des Vaters heraus. Im Gegenteil: Sie spüren eher den Fluch bekannter Vorfahren. Jens Rehhagel bspw. wurde mal in einem Amateurspiel des Platzes verwiesen, da brüllte ihm der Schiedsrichter hinterher: „Und richten Sie Ihrem Vater (Otto) einen schönen Gruß von mir aus.“

Männliche Vorbilder. Es sind keine Leserbriefe oder Anrufe in Zuschauerredaktionen mit ähnlichem Grundtenor überliefert. Der Nachwuchs deutscher prominenter Journalisten publiziert meist unbehelligt und wird verschont mit Anspielungen auf die Ahnen. Und wenn doch, vertieft das manchmal sogar den Berufswunsch. „Dass ich für den Beruf wohl irgendwie geeignet sein muss“, erzählt Susanne Kronzucker, „wurde mir klar, als ich mal wieder mit dem Vortragen eines Textes in der Schule dran war und ein anderer Schüler sagte: „Na klar kann die das fehlerfrei. Die ist ja die Tochter von Dieter Kronzucker.“ Der erinnert sich, wie seine Tochter mit großem Ehrgeiz eine „Tanzshow“ entwickelte, „die dann tatsächlich 1982 in einer lokalen Townhall nahe Washington aufgeführt wurde, allerdings vor beklagenswert kleinem Publikum.“ Diese Enttäuschung habe sie aber eher angespornt als abgeschreckt, „wie das zu einem hartnäckigen Entertainer und späteren Journalisten gehört“, sagt Dieter Kronzucker. Heute ist Susanne Kronzucker Moderatorin des RTL-Nachtjournals und nur eins von vielen „Journalisten-Kindern“, die den Beruf, meistens des Vaters oder Großvaters ausüben.

Manchmal scheint es so, als gäbe es ein „Journalisten-Gen“, das den eigenen Nachwuchs zwangsläufig in die Publizistik treibt. Frederik Pleitgens Schwester ist Cutterin, sein Bruder bei der Nachrichtenagentur Reuters. Der Sohn des scheidenden WDR-Intendanten Fritz Pleitgen selbst arbeitet seit Jahresbeginn als neuer „Bureau Chief“ und Berlin-Korrespondent für CNN – ein rascher Aufstieg vom Trainee im Berliner Hauptstadtstudio des ZDF bis Ende 2006. „Als Jugendlicher habe ich nie viel darüber nachgedacht, was ich werden will“, sagt Pleitgen, „allerdings konnten wir Kinder in den ARD-Studios Washington und New York hautnah miterleben, wie unser Vater Beiträge produzierte. Diese ganze Logistik beim Fernsehen fand ich super. Die Bildsprache liegt mir auch mehr als das Schreiben“, gibt Pleitgen freimütig zu.

Stephanie Nannen, der Enkelin des „stern“-Gründers Henri Nannen, war dagegen schon mit 15 klar, dass sie in den Journalismus gehen will. „Aber ich habe meinem Großvater nie nachgeeifert“, sagt die heutige „Park Avenue“-Redakteurin. Dass er der „Mr. Stern“ war, wusste sie schon immer, „dass er Zeitung macht, das war ein Teil unseres Lebens. Aber welche Bedeutung seine Arbeit hatte und dass nicht alle Journalisten ihre Arbeit so machen wie er, wurde mir erst mit 13 oder 14 Jahren bewusst“, sagt Stephanie Nannen. Sein journalistisches Erbe bestellte der 1996 Verstorbene nicht gerade offensiv. Er war der Ansicht, die Enkelin solle was „Vernünftiges“ machen. Ausgehend von eigenen Erfahrungen hatte er die Vorstellung, dass man in einem anderen Job glücklicher werden könne. „Aber er hat mich auch nicht davon abgehalten“, sagt Stephanie Nannen. Ganz konsequent war für sie Großvater Henri auch nie Ratgeber in journalistischen Fragen. Sie habe mit ihm selten über den Job geredet, erzählt die 35-Jährige, eher über Kunst. Für ihn war sie eine Leidenschaft und ich habe Kunstgeschichte studiert.“

Subtiles Förderprogramm. Als Frederik Pleitgen sich nach dem Abitur um ein Praktikum beim „Kölner Stadtanzeiger“ bewarb, hielt Vater Fritz das für eine gute Idee. Er las auch die ersten Artikel des Sohnes gegen und kritisierte. „Er hat mich immer unterstützt, indem er meine Arbeit beobachtet hat, mich ermutigte“, erzählt Pleitgen, „auch dadurch, dass wir sehr intensiv über Journalismus und Ethik gesprochen haben.“ Darin liege der größte Einfluss des Vaters. „Halte immer zu den Schwachen!“ Das sei seine wichtigste Lektion gewesen. „Respekt vor den normalen Leuten haben, sich nicht nur unter den Großkopferten tummeln. Das ist der Arbeitsethos meines Vaters“, sagt Frederik Pleitgen.

Ein subtileres Journalisten-Förderprogramm war offensichtlich im Hause Kronzucker angesagt. Vater Dieter hatte die „unangenehme Angewohnheit, mich und meine Schwester zu bestimmten Zeiten oder an bestimmten Orten mit Fragen zu konfrontieren, die beantworten zu können ihm wichtig erschienen“, erzählt Susanne Kronzucker. Dieter Kronzucker ist rückblickend mit dieser Strategie ganz zufrieden: „Susanne hat sich bei ihrer Berufswahl offenbar nicht von den Schattenseiten beeindrucken lassen, wie unstetes Leben, unregelmäßige Dienstzeiten, Vernachlässigung des Privatlebens“, erzählt der ehemalige ZDF-Reporter und-Moderator, „das hätte ich ihr gerne erspart. Ich bin stolz auf ihre Leistung und schon ein wenig neidisch darauf, dass sie begabter ist als ich in meinen besten Jahren.“ Leidenschaft und Wissbegierde nennt Tochter Susanne als die wichtigen Charaktereigenschaften, die der Vater ihr in die Wiege gelegt hat. Macht sich das im Stil bemerkbar? „Ich versuche Gegensätze herauszuarbeiten und suche nach Details für meine Texte, von denen ich meine, dass sie dem Zuschauer neu sein dürften und ihn packen – schließlich sende ich als Letzte des Tages“, berichtet die Moderatorin aus der Praxis.

Vererbte Leidenschaften? Stephanie Nannen kennt die Arbeitsweise ihres Großvaters nur aus Erzählungen. Als stur und aufbrausend, aber immer um die Sache bemüht, charakterisieren viele den „stern“-Gründer rückblickend. Seine Enkelin erkennt ähnliche Züge bei sich: „Ich weiß manchmal aus dem Bauch heraus, wie eine Sache laufen muss – und da kann ich auch mitunter sehr, sehr stur bleiben“, sagt Stephanie Nannen. Auf den Journalisten-Chromosomen sitzen Beharrlichkeit, Leidenschaft und Haltung offenbar nah beieinander. „Ich glaube nicht, dass ich besonders talentiert bin, wie mein Vater bringe ich aber die Energie auf, mich in Themen einzuarbeiten“, sagt Frederik Pleitgen. WDR-Intendant Fritz Pleitgen hat es aber immer wieder mit Experten und Akademikern zu tun, denen er auf Augenhöhe begegnen muss. Ohne Abitur blickt er auf ein Lebenswerk zurück, an dem der Nachwuchs zwangsläufig gemessen wird. Eine Bürde für den Sohn? Derlei Fragen nerven: „Ich halte mich nicht von der ARD fern, weil mir der lange Schatten meines Vaters unangenehm ist, sondern weil uns sonst leicht unterstellt werden könnte, dass ich meine Beziehungen spielen lasse“, sagt Frederik. „Der Name – der öffnet am Anfang vielleicht mal eine Tür, aber dann sind auch viele Türen wieder zu“, hat Stephanie Nannen erfahren. „Mein Großvater ist für mich einfach mein Großvater.“

Ob Journalismus wirklich vererbt wird, ob tatsächlich ein Journalisten-Gen existiert, könnte übrigens in den nächsten Jahren in Potsdam erforscht werden. Dort, in einer Villa am See, wachsen zwei leibliche und zwei adoptierte Kinder miteinander auf. Ihr Vater: Günther Jauch, und bereits er ein Journalisten-Spross.

Erschienen in Ausgabe 3/2007 in der Rubrik „Leben“ auf Seite 60 bis 63 Autor/en: Stefan Jäger. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.