„Immer anders, täglich neu“

Die flämische Zeitung „De Morgen“ erhält am 5. März in Wien den Preis für das beste Layout und Konzept einer überregionalen Zeitung. Vor zwei Jahren bereits gewann „De Morgen“ mit einem anderen Layout denselben Preis. Was war der Grund für die Veränderungen? Waren sie wirklich notwendig? Chefredakteur Yves Desmet: „Wir möchten jeden Tag ein paar Artikel haben, von denen der Leser sagt: ,Das habe ich in keinem anderen Blatt gelesen‘.“

Yves Desmet ist Chefredakteur der schönsten Zeitung Europas. Aber wissen seine Landsleute das? „De Morgen“ ist nämlich eine Zeitung mit einer bescheidenen Auflage: Etwas mehr als 50.000 Exemplare werden täglich gedruckt. Desmet: „Flandern ist mit fünf Millionen Einwohnern ein kleiner Markt. Und ,De Morgen‘ hat hier in den vergangenen Jahren die größte Steigerung der Auflage zu verzeichnen. 1994 wurde ich Chefredakteur, damals hatten wir eine Auflage von 22.000 Exemplaren und wir fingen mit dem ersten Restyling an. Seitdem hat sich unsere Auflage mehr als verdoppelt.“

Junge Leser. Desmet nennt weitere Zahlen: „Wir haben die jüngsten Leser in Flandern, durchschnittlich etwas unter 40. Unsere Leserschaft ist zu 85 Prozent gut ausgebildet und wohnt in den Städten. Wir sind ein ,liberal newspaper‘ im angelsächsischen Sinne. Wir stehen zwischen dem ,Guardian‘ und ,The Independent‘. So etwas wie die ,New York Times‘ im flämischen Maßstab. So ehrgeizig sind wir!“

Aber warum dann schon wieder ein neues Layout? Wenn doch die Anzahl der Leser wächst. Wenn die Redaktion zufrieden ist mit dem vorherigen Layout. Die Antwort ist banal: Eine neue Druckerpresse, auf der in einem anderen Format gedruckt werden kann.

„De Morgen“ (gehört zur flämischen Persgroep) stieg von einem kleinen Broadsheet-Format aufs Berliner Format um. Die bedeutet also nur eine minimale Verkleinerung. Desmet: „Wir dachten erst, dass es möglich wäre, unser Layout einfach zu verkleinern, passend zum Berliner Format. Aber das funktionierte nicht. Die Seiten sahen überladen aus. Als ob man einen Liter Bier in ein viel zu kleines Glas zu gießen versucht.“

Modernste Presse. Außerdem bot die neue Druckerpresse – die erste wasserfreie Rotationspresse der Welt – seit April 2006 die Möglichkeiten einer viel besseren Druckqualität:

Fotos konnten schärfer gedruckt werden, die Farben wurden prägnanter, die Raster feiner und beim Lesen bekommt man keine schwarzen Finger. „Wir können jetzt 48 Seiten vollfärbig in einem Druckvorgang produzieren. Die Qualität ist beinahe die einer Zeitschrift. Und abfallendes Drucken, über den Bund, ist jetzt auch möglich.“

Die Redaktion arbeitete zusammen mit dem Designer Mario Garcia vier Monate an der neuen Zeitung. „Damit meine ich, dass wir in vier Monaten aus weißen Seiten eine fertige Zeitung entwickelten.“ Mario Garcia war laut Desmet vor allem überrascht von der Bereitwilligkeit der Redaktion, über sehr weitgehende Vorschläge nachzudenken, „während Garcia die Erfahrung gemacht hatte, dass seine Pläne meistens abgeändert wurden.“

Desmet hat einen eindringlichen Rat für Kollegen, die diese Probleme auch zu bewältigen haben: „Man braucht nicht in Panik zu geraten, wenn Vorschläge gemacht werden, man muss empfänglich sein für Dinge, die einem erst lächerlich erscheinen.“

Kern des neuen Layouts ist das, was Desmet „Wallpaper“ nennt: ein leicht pastellfarbiges Raster beispielsweise unter Artikeln auf der Seite 1. „Meines Wissens sind wir die erste Zeitung der Welt, die das tut.“ „De Morgen“ besteht laut Desmet aus vier einfachen „Bausteinen“: „Specials“ in der Länge von 120 Zeilen, „kopstukken“ (größere, vertiefende Artikel), Nachrichten (80 Zeilen) und „kortjes“ (kurze Artikel) . Mit diesen vier Formen darf experimentiert werden. Auf diese Art und Weise entsteht eine einfache hierarchische Struktur. „So versuchen wir jeden Tag, der Zeitung einen anderen ,Look‘, ein anderes ,Feeling‘ zu geben.“

Desmet äußert, wann immer sich ihm die Möglichkeit bietet, seine Abscheu gegen das, was er den „Gratis-Hype“ nennt. „Ich habe noch immer keinen vernünftigen Buisiness-Plan für eine Gratiszeitung gesehen. Was man jetzt überall sieht, erinnert mich an den ersten Internet-Hype, der wie eine Seifenblase platzte. Das Rendement dieser ,Freesheets‘ ist immer noch zweifelhaft. Ich fahre nicht mehr zu europäischen Kongressen, auf denen schlecht gestylte Blätter von Mini-Redaktionen präsentiert werden. Ich glaube nicht daran. Stattdessen müssen wir die eigene Qualität immer weiter verbessern. Der Leser will Einsicht, Kenntnis, Weisheit, Meinungen, Humor und Unterhaltung. Und ich finde, dass in vielen Zeitungen zu wenig an den hedonistischen, genießenden Menschen gedacht wird.“

Hässlichste Zeitung. Nach Vorbildern sucht Desmet nicht. Dennoch: Welche Zeitung gefällt Ihm: „Den ,Guardian‘ finde ich gut, kurz nach dessen Restyling. Aber ich finde jetzt, dass sie dort zu schablonenhaft arbeiten. Die hässlichste Zeitung? ,The Times‘ gefällt mir nicht. Allerdings bekomme ich hier (in Flandern) nur die kontinentale Ausgabe, bei der die Farbe fehlt. Und ,Liberation‘ ist seit 20 Jahren unverändert. Die müsste man auch restylen!“

Erschienen in Ausgabe 3/2007 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 38 bis 38 Autor/en: Theo Dersjant. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.