Warum wird um die Wahl der „Spiegel“-Mitarbeiter KG diesmal so ein Bohei gemacht?
Dr. Med.: Tatsächlich hat es vor drei Jahren außerhalb des „Spiegel“ niemanden so recht interessiert, wer von den „Spiegel“-Redakteuren in die Geschäftsführung der Mitarbeiter-KG (besetzt mit je 2 Redaktions-und Verlagsvertretern und 1 Vertreter der Dokumentation), gewählt wird – was vor allem daran lag, dass die Mitarbeiter KG damals trotz ihres 50 Prozent-Anteils am „Spiegel“ nicht so mächtig war, wie sie es heute ist. Damals musste sie sich noch mit den anderen beiden Gesellschaftern abstimmen – Gruner + Jahr und der Erbengemeinschaft Augstein. Nachdem die Erben des Herausgebers jeweils ein halbes Prozent an G+J und die Mitarbeiter KG abgeben mussten, haben sie nun nichts mehr zu sagen. Die Mitarbeiter KG und G+J können die Bestellung von Chefredaktion oder Verlagsleitung unter sich ausmachen.
Wie viel Einfluss hat es, dass Stefan Aust geht?
Dr. Med.: Aust ist so etwas wie eine lame duck. Er wird das nicht gern hören, aber de facto ist es so, seit allen klar ist, dass er den „Spiegel“ verlässt. Eigentlich ist es egal, wann das passiert: ob noch dieses Jahr, oder irgendwann bis 2010. Fakt ist: Die Redakteure, die jetzt gewählt werden, bestimmen die wichtigste Personalie der Zukunft mit.
Geht es auch um potenzielle neue Magazine aus dem Spiegel-Verlag?
Dr. Med.: Das ist eine Frage, die alle bewegt: Ob der Verlag Beiboote des „Spiegel“ benötigt oder ob er sich ganz auf das Nachrichtenmagazin konzentrieren soll. Thomas Darnstädt, Noch-Sprecher der Mitarbeiter KG, dürfte eher für eine Ausweitung des Angebots stehen, Gabor Steingart dagegen ist fest an Austs Seite und hat im Wahlkampf mehr oder weniger die Parole „Der Spiegel zuerst“ ausgegeben. Das einzige, was er und Aust wollen, ist eine englischsprachige Version des „Spiegel“, nach dem Vorbild von „Newsweek“, das mit mehreren Welt-Ausgaben hohe Gewinne macht. Wen in Amerika die Sicht des „Spiegel“ interessieren soll, ist den Gesellschaftern bislang aber nicht klar geworden.
Die Nerven liegen total blank, oder?
Dr. Med.: Es gab auf jeden Fall eine Menge Ärger in letzer Zeit. Ständig konnte man von Streitereien innerhalb der Redaktion oder zwischen Geschäftsführung und Redaktion lesen. Dass Gabor Steingart Geschäftsführer Mario Frank, der vom G+J-Blatt „Sächsische Zeitung“ kam, laut „Kontakter“ und „FAZ“ als Mann aus der Provinz bezeichnete, war sicherlich nicht klug, ebenso wenig, dass Frank anschließend beleidigt auf eine Abmahnung von Steingart gedrängt haben soll. Für zusätzliche Irritationen sorgte Frank mit der Aussage, dass Auflagenverluste beim „Spiegel“ so lange nicht schlimm seien, wie man sie mit anderen, neuen Magazinen auffangen könne. Das klang vielen verdächtig nach Inflation der Marke und wenig Liebe zum Mutterblatt.
Braucht der „Spiegel“ überhaupt andere Blätter?
Dr. Med.: Wenn man sich anschaut, wie viel Geld G+J gerade mit „Park Avenue“ versenkt, kann man die Zurückhaltung gut verstehen. Andererseits hat der „Spiegel“-Verlag genügend Geld und womöglich eine, im kollektiven Bewusstsein gefühlte, verlegerische Verpflichtung, mal wieder eine publizistische Innovation zu liefern. Bisher aber waren alle Überlegungen in diese Richtung ziemlich sinnlos. Zuletzt fiel das von Markus Peichl entwickelte monatliche Kulturmagazin „Momo“ durch, dessen Sinn sich nach Ansicht einer Art Nullnummer niemandem mehr erschloss. Auf die Frage, wer denn eigentlich ein monatliches Feuilleton braucht, fiel anscheinend keinem mehr eine Antwort ein. Richtig dürfte Aust auch mit der Abneigung gegenüber einem angedachten Wissensmagazin liegen. Erstens macht der „Spiegel“ genügend Wissensthemen selbst, und zweitens zeigen die Ableger von „Zeit“ und der „Süddeutschen Zeitung“, dass das Thema Wissen kein Riesenpotenzial mehr hat.
Wer gewinnt denn nun am 20. März, wenn die Urnen geschlossen werden, die Wahl?
Dr. Med.: Für den langjährigen Sprecher und von Aust-Feinden geschätzten Thomas Darnstädt wird es knapp. Zuletzt gab es um eine nach außen getragene, anschließend aber von ihm dementierte Aussage, die Auflage des „Spiegel“ werde nach oben gelogen, reichlich Ärger. Genüsslich verbreiten Darnstädt-Gegner nun, dass die ersten Anzeigenkunden schon auf Rabatte pochen. Auch seine Rolle in der Ende 2005 von Franziska Augstein entfachten Qualitätsdebatte haben viele nicht vergessen. So nötig viele Redakteure die Diskussion angesichts der vielen zu großen Nähe zu Springer und der Sprunghaftigkeit in der politischen Berichterstattung fanden, so undurchsichtig erschien ihnen Darnstädts Rolle, der – als er nach starken Sprüchen selbst in die Kritik geriet – halbherzig zurückruderte.
Die besten Chancen hat Marianne Wellershoff – weniger, weil ihr als Leiterin des Kulturspiegels kaufmännisches und blattmacherisches Know-how zugetraut werden, sondern schlichtweg, weil sie eine Frau ist. Davon gibt es zwar einige beim „Spiegel“, aber eben nicht viele, die etwas zu sagen haben. Bei Gabor Steingart etwa, der zu Hause gleich drei Frauen hat (zwei Töchter), arbeitet im Berliner Hauptstadtbüro unter 18 Redakteuren nur eine einzige Frau. Nicht nur die Frauen dürfte Wellershoff hinter sich versammeln, auch ein paar Männer, denen die Männlichkeitsrituale in den Konferenzen mächtig auf den Geist gehen.
Wohl niemand im Haus hat zurzeit so viel Kreide gefressen wie Gabor Steingart. Ausgerechnet er, der sein Ressort recht autokratisch führt, möchte als Geschäftsführer mehr Mitbestimmung für alle. Nach dem Modell des „Economist“ soll jeder Redakteur ein Vorschlagsrecht für den Chefredakteur haben, an das die Gesellschafter nicht gebunden sind, dem sie sich aber nur schwer entziehen können. Tatsächlich wird dem Schnellschreiber von Büchern mit unterschiedlichen politischen Richtungen viel zugetraut. Leider auch, dass er den Job im Gremium nur als Vorstufe zum Chefredakteursposten sieht. Selbst im Berliner Büro dürfte es Steingart schwer haben, Stimmen zu sammeln, zu groß war dort in den vergangenen Jahren die Fluktuation.
Erfolgreicher dürfte die Wahl für Armin Mahler ausfallen, den Mann aus dem Wirtschaftsressort, von dem man außerhalb des „Spiegel“ am wenigsten hört, was viele als wohltuende Bescheidenheit deuten. Er ist bereits im Gremium und hat sich an der Seite von Darnstädt als Stimme der Vernunft profiliert. Mahler steht weniger als sein ehemaliger Ressortleiterkollege Steingart für Kampagnenjournalismus, sondern für nachhaltige Geschichten. Mahler hat wohl auch bessere Chancen als der Auslandsredakteur Manfred Ertl, der vor allem damit wirbt, nicht zur Machtclique aus Ressortleitern und Chefredaktion zu gehören, sondern zu den „Indianern“. Kann aber sein, dass das manchem zu viel Bescheidenheit ist.
Was bedeutet die Wahl für die Zukunft?
Dr. Med.: Mal angenommen, das Ergebnis der Wahl sieht Marianne Wellershoff und Thomas Darnstädt vorn – dann ist kaum vorstellbar, dass Stefan Aust über das Jahr 2008 Chefredakteur bleibt. Rutscht Gabor Steingart ins Gremium, ist für Aust alles o.k. Dann bleibt er wahrscheinlich bis 2010, am Ende würde er wohl mit Macht auf Steingart als seinen Nachfolger drängen. Alle anderen Ergebnisse würden zu einer offenen Diskussion über die Bestellung der Blattspitze führen: Im Gespräch sind neben Steingart immer dieselben Namen: der Leiter des Auslands-Ressorts, Gerhard Spörl, Giovanni di Lorenzo, der für den „Spiegel“ ein wenig zu weich in der Behandlung von Themen sein dürfte. Matthias Müller von Blumencron, der erfolgreiche Online-Chef, der aber einigen suspekt geworden ist, seit er sogar eine Satireseite eingeführt hat, um noch mehr clicks zu generieren. Außerdem gibt es ja im Haus schon Realsatire genug.
Erschienen in Ausgabe 3/2007 in der Rubrik „Journaille“ auf Seite 22 bis 22. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inha
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