Die eine Frage

Die EU ist nicht „sexy“. Daran haben auch die schönen bunten Feiern und Reden zu ihrem 50. Geburtstag nichts geändert. Die meisten Bürger denken bei EU zuerst an Bürokratie-Irrsinn, Regelungswut und Verschwendung von Steuergeldern. Jeder Zweite meint, Brüssel gebe mehr als die Hälfte seiner Gelder für Personal und Verwaltung aus – in Wirklichkeit sind es gerade mal fünf Prozent des EU-Haushalts. Das schlechte Image ist, zugegeben, allzu oft von der EU selbst verschuldet. Es liegt aber auch maßgeblich daran, wie im Alltag Brüssel in den Medien ankommt. Ein paar Beispiele gefällig?

1. Eine neue Fabrik für Solarzellen lädt Prominenz und Presse zur feierlichen Eröffnung. Der Landrat rühmt die Schaffung von Arbeitsplätzen, das innovative Potenzial des Unternehmens. Ein Schild an der Wand weist darauf hin, dass das Projekt zu 50 Prozent aus dem Strukturfonds der EU gefördert wurde. Auf den Fotos in der Zeitung tags drauf ist das Schild nicht zu sehen, der Hinweis nicht mal erwähnt.

2. Immer wieder beliebt sind EU-Mythen. Einer aus jüngster Zeit lautet, die EU schreibe den Bauern vor, dass sie ihren Kühen aus Hygienegründen Plastikmatratzen in die Ställe legen müssen. Dabei gibt es lediglich eine europäische Richtlinie, nach der das Material für die Tiere ungefährlich sein muss. Aber wer angeblich den Krümmungsgrad von Gurken vorschreibt oder für Kondome eine Einheitsgröße einführen will (beides blanker Unsinn), dem ist alles zuzutrauen. Es ist ja auch reichlich mühsam, sich in die jeweiligen Interessenlagen von 27 Ländern zu vertiefen, die alle auf Gleichstellung ihre Produkte in der EU pochen. Bequemer ist es allemal, der EU die Schuld zu geben, wenn sie sich darum bemüht, so etwas wie Mindeststandards für Produzenten in einem gemeinsamen Markt festzulegen. Dass der Handel selbst drauf bestand, Größen für Gurken festzulegen, weil man sich europaweit auf eine bestimmte Kistengröße geeinigt hatte, danach fragt niemand.

3. Seit Jahren schon besteht die EU-Kommission darauf, dass offengelegt wird, wer welche Gelder aus dem Struktur-und Landwirtschaftsfonds erhält. Weil die Briten sich an das Transparenzgebot halten, weiß man ziemlich genau, wie viele Subventionen etwa die landwirtschaftlichen Güter des englischen Königshofs erhalten. In Deutschland dagegen beruft man sich auf den Datenschutz und legt nichts offen. Prompt wird der EU angelastet, sie fördere mit der Gießkanne und mache die Reichen nur noch reicher. Wenn der Europäische Rechnungshof der EU-Kommission jährlich bescheinigt, sie habe zu wenig kontrolliert und zu viel Geld für Überflüssiges ausgegeben, ist die Schlagzeile „Subventionsbetrug“, „Verschleuderung von Steuergeldern“ in schöner Regelmäßigkeit vorprogrammiert. Die EU-Kommission verweist jedes Mal darauf, dass 80 Prozent der Gelder von den nationalen Regierungen selbst ausgegeben werden, eine zusätzliche Kontrollbehörde für jedes Land zu teuer wäre und auch nicht akzeptiert würde. Aber den Schwarzen Peter hat in der Öffentlichkeit dennoch wieder mal die EU.

4. Oder nehmen wir den aktuellen Streit um die CO2-Grenzwerte: Alle Kommentare schelten den Kompromiss von 130 Gramm CO2/Kilometer (statt 120 g/km) als Brüsseler Kotau vor der Autolobby. War er das wirklich? Die europäische Autoindustrie hatte sich verpflichtet, auf 140 Gramm bis 2008 runterzugehen. Die nationalen Politiker hatten an dieser Verpflichtung nicht gerüttelt – bis der Druck aus Brüssel kam. Dass die EU wegen des Klimawandels ernsthaft zum Handeln aufruft, wird kaum gewürdigt.

5. „Grenzen weg – Job weg“: Die Erweiterung der EU kommt als Negativ-Schlagzeile bei den Bürgern an. Sie geben der EU die Schuld, wenn Billigarbeitskräfte ihnen den Job wegnehmen oder Firmen Arbeitsplätze verlagern. Dass die Erweiterung um zehn Staaten 2005 gerade für die Deutschen wie ein Konjunkturprogramm gewirkt hat, wird vergessen. Dass deutsche Firmen schon lange vor der EU-Erweiterung in den neuen Märkten präsent waren, wen interessiert das? Und die Frage, was passiert wäre, wenn die mittel-und osteuropäischen Staaten nicht in die EU aufgenommen worden wären, stellt sich erst keiner.

Eine nicht geringe Hürde bei der Vermittlung ist schon die Sprache des offiziellen Europa, die zum elaborierten Soziolekt degeneriert ist. „Subsidiarität“, „Kohäsion“ oder gar „Komitologie“ – den Fachjargon verstehen alle in Brüssel, sogar die Korrespondenten, die ihn oft genug auch ihren Lesern zumuten, statt das Brüsseler Kauderwelsch für ihre Hörer und Leser verständlich zu übersetzen. Das aber geschieht viel zu wenig. Genauso wenig wie die ganz alltägliche Fragen an Politiker gestellt werden: Was habe ich selbst, ich persönlich als Bürger der Union eigentlich von der EU? Eine plausible Antwort darauf bewirkt mehr für das Image der EU als jede Sonntagsrede. Diese Frage sollte aber auch von den Medien gestellt werden, nicht nur bei Geburtstagfeiern.

Erschienen in Ausgabe 4/2007 in der Rubrik „Brief aus Brüssel“ auf Seite 14 bis 14 Autor/en: Volker Thomas. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.