Entdecker gesucht

Interview Jochen brenner

Was macht einen guten Reporter aus?

Cordt Schnibben: Ein guter Reporter sieht Themen, die andere nicht sehen. Er durchstreift die Wirklichkeit nach Geschichten. Unter Reportern gibt es zwei Typen: den Entdecker und den Tautologen. Der Tautologe glaubt, so gut zu schreiben, dass er keine neuen Geschichten entdecken muss, er glaubt, mit seiner Sprache auch Bekanntes so toll erzählen zu können, dass ihm der Leser von Anfang bis Ende folgt und gar nicht merkt, dass die Geschichte nicht neu ist. Den Entdecker schätze ich. Er erzählt mir eine neue Geschichte, die ich noch nicht kenne.

Sie haben jetzt das Reporter-Forum gegründet. Braucht die Reportage besondere Pflege?

Sie braucht keine Pflege, aber sie braucht Erfahrungsaustausch, sie braucht Anregung, sie braucht die Diskussion darüber, was die besondere Leistung der Reportage ist, und dass es nicht genügt, einfach nur schön zu schreiben. Mir ist in den vergangenen Jahren aufgefallen, dass es diese Diskussion gibt, aber dass sie sehr zufällig ist, meist von Akademikern inspiriert, nicht von Reportern.

… deshalb machen Sie also jetzt jährlich einen Reporter-Workshop. Der erste findet Anfang Juni kurz nach der Vergabe des Henri-Nannen-Preises statt. Kritisieren Sie damit die Preis-Verleihung?

Das ist keine Kritik am Henri-Nannen-Preis, wir versuchen nur auszugleichen, was mit dem Aufgehen des Kisch-Preises im Henri-Nannen-Preis verloren gegangen ist. Der Kisch-Preis war jahrelang das Treffen der besten deutschen Reporter. Neben der Preisverleihung war das Wesentliche die Diskussion am Abend über Texte, ein Branchentreffen deutscher Reporter. Der neue Henri-Nannen-Preis soll eher ein Glamour-Ereignis sein. Das Verlorengegangene wollen wir in anderer Form wieder auferstehen lassen.

Das Reporter-Forum will auch das Essay-Schreiben fördern. Wo hat der Essay heute noch Platz?

Eigentlich überall. Nur gibt es wenige junge Journalisten, die diesen Weg gehen. Man braucht eine gewisse gedankliche Reife, bevor man sich zutraut, essayistische Texte zu schreiben. In Deutschland sind die Essayschreiber aber leider meist schon über siebzig. Die Gedankenmüdigkeit ist weit verbreitet.

In deutschen Printmedien herrscht ihrer Meinung nach ein „eklatanter Nachwuchsmangel“. Wie ist der entstanden?

Auf den Journalistenschulen werden Reportagetalente nicht so richtig entdeckt oder spezifisch ausgebildet. Noch schlimmer ist, dass es keine richtige Fortbildung für Reporter gibt. Wir beim „Spiegel“ machen das intensiv, setzen erfahrene Reporter mit einem jüngeren auf ein Thema an. Wir diskutieren viel über Texte vor und nach deren Erscheinen und erreichen dadurch, dass die guten Leute, die wir haben, ihr Know-how weitergeben. Unter den Nominierungen der Vorjurys des Henri-Nannen-Preises sind in diesem Jahr von 16 Reportagen zehn vom „Spiegel“. Auch bei der „Zeit“ wird die Reportage sehr gefördert.

Können Reportagen auch im Internet funktionieren?

Im Internet müssen Reporter eine schnellere Form finden, mit Tönen, mit bewegten Bildern arbeiten. Im ersten Workshop wird die Online-Reportage noch keine Rolle spielen, danach aber sicherlich. Die Print-Reportage ist ein modernes Genre, sie verbindet Anschaulichkeit mit Hintergründigkeit, sie ist Journalismus, der zur Erfahrung wird und nicht zur Meinung schrumpft. Sie befriedigt das Bedürfnis der Leser nach dem „Dabeisein“, nach Authentizität und Zeitzeugenschaft, sie befriedigt dieselben Bedürfnisse, die sich in Formen des „Citizen Journalism“ austoben.

Wie sehen Sie eigentlich die nähere Zukunft des „Spiegel“?

Wechseln wir jetzt das Thema? Meinetwegen. Wir befinden uns hier beim „Spiegel“ in einer hoch spannenden Zeit. Seit einem Jahr begreift die Redaktion: Das ist unser Blatt. Sie ergreift auf verschiedenen Ebenen Besitz vom Blatt. Die Konferenzen sind lebendiger, wir diskutieren darüber hinaus einmal im Monat in einem eigenen Blattforum über die Frage: Was ist eigentlich der „Spiegel“? Wie muss er sich verändern? Und die Redaktion beschäftigt die Frage: Wie gehen wir mit unserer Macht um, mehr als die Hälfte des „Spiegel“ zu besitzen? Können wir weiterhin alle drei Jahre fünf Leute wählen, die wir dann machen lassen oder brauchen wir in diesem Laden nicht ein Eigentümerdenken, das dieser Verantwortung gerecht wird? Da ist die Redaktion gefragt. In Zeiten, in denen andere Verlage Angst vor Heuschrecken haben, ist der „Spiegel“ eine Insel der Selbstbestimmung.

Erschienen in Ausgabe 4/2007 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 52 bis 53. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.