Es war nicht nur Caroline!

Es hätte noch schlimmer kommen können. Der Bundesgerichtshof (BGH) hätte – wie zuvor das Landgericht Hamburg – befinden können, ob eine monegassische Fürstentochter während einer Erkrankung ihres Vaters Ski fährt, betreffe „keine Frage von erheblichem Gewicht“. Er hätte sogar wie vor drei Jahren der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof urteilen können, eine Person, die „keine offiziellen Funktionen erfüllt“, müsse keine Abbildungen dulden, die „sich ausschließlich auf Einzelheiten aus ihrem Privatleben beziehen“. Die Senatsvorsitzende Gerda Müller und ihre Richterkollegen haben das nicht getan. Sie haben aber auch nicht dem Bundesverfassungsgericht den Schwarzen Peter zugeschoben. Sie haben versucht, einen Mittelweg zu finden zwischen dem, was Straßburg im „Caroline“-Urteil sagte und dem, was von BGH und Verfassungsgericht gemeinsam über Jahrzehnte hinweg entwickelt worden war.

neue Forderung. Dass sie nun nicht mehr darauf abstellen, ob sich jemand in „räumlicher Abgeschiedenheit“ befindet, sondern auch bei Fotos auf offener Straße einen „Beitrag zu einem Thema von allgemeinem Interesse“ verlangen, bedeutet allerdings eine radikale Abkehr von ihrer bisherigen Linie. Die Verbeugung vor Straßburg reicht als Erklärung dafür nicht aus. Müller selbst wies darauf hin, dass auch die „tatsächliche Entwicklung“ eine „Überprüfung“ der bisherigen BGH-Judikatur „erforderlich gemacht“ habe, weil die „Neugier auf Prominente immer mehr zunimmt“ und inzwischen „groteske Formen“ zeige – was zweifellos vor allem auf „Bild“ und ihre Leserreporter zielte.

Solchen Exzessen wollten die Bundesrichter nun offenbar Einhalt gebieten. Dabei ist schon mal gut, dass die Richter Bilder von Caroline und Ernst August von Hannover im Skiurlaub dort akzeptierten, wo der Begleittext die gleichzeitige Erkrankung des Vaters betraf. Bedenklicher stimmt, dass sie kein legitimes Interesse erkennen wollten bei einem Stück, in dem es darum ging, dass Herr von Hannover nun seine Villa in Kenia samt Personal vermietet – dabei liefert das schon deshalb Gesprächsstoff, weil, wie es im Text heißt, ein Urlaub in der Prinzen-Villa „sicher die ungefährlichste Weise“ ist, „ihm näher zu kommen“.

Zwangsläufig hat der BGH damit ein juristisches Schlachtfeld eröffnet, auf dem in vielen Einzelfallprozessen ausgefochten werden muss, was das nun benannte Kriterium eigentlich bedeutet. Ist es etwa von allgemeinem Interesse, dass ein für sein Modebewusstsein bekannter Fußballer im Urlaub weiße Hosen trägt? Dass eine Fernsehmoderatorin einen Einkaufsbummel mit ihrer Putzfrau macht? Oder dass eine ehemalige Schwimmerin, die ihre Liebe zu einem anderen Sportler einst öffentlich zelebrierte, nun einen neuen Gefährten hat?

Nicht nur ein Boulevard-Problem. Natürlich müssen sich vor allem Boulevard und Yellow Press solche Fragen stellen. Aber auch die „Süddeutsche“ hat eine bunt bebilderte Panorama-Seite, und auch der „Spiegel“ berichtet immer wieder in Wort und eben auch Bild aus dem Leben Prominenter – sei es als gehobener Klatsch, sei es, um gesellschaftspolitische Stücke mit bekannten Beispielen zu illustrieren. Müsste man etwa in einem Stück zur Raucherdebatte künftig auf ein Paparazzi-Foto verzichten, das ein Popsternchen mit seinem Ehemann zeigt, der neben ihr im Auto sitzt und raucht, obwohl sie hochschwanger ist? Natürlich dürfte es den seriösen Blättern viel leichter fallen, ein „öffentliches Interesse“ zu belegen, zumal sie sich ohnehin meist einverständlich aufgenommener Fotos bedienen.

Dennoch: Auch in den seriöseren Häusern wäre es den Schweiß der Rechts-und Sachkundigen (Juristen und Journalisten) wert, gemeinsam zu überlegen, wie sich in den typischen Fallgruppen (Liebe, Laster, Lebensstil) ein öffentliches Interesse am Alltag Prominenter samt Abdruck ihnen unliebsamer Fotos begründen lässt – und weshalb sogar die scheinbar „bloße Neugier“, anders als der BGH nun meinte, in manchen Fällen doch ein legitimer Grund sein könnte. Mit den dabei gefundenen Argumenten sollten dann Anwälte und andere Berufene versuchen, die weitere Rechtsentwicklung mitzugestalten – und sei es, beim Bundesverfassungsgericht oder gar wieder in Straßburg. Die Redaktionen aber, vor allem die der Boulevardpresse, täten gut daran, die Grenzen, die der BGH jetzt umrissen hat, nicht allzu leichtfertig zu verletzen. Denn eines sollten alle Verantwortlichen bedenken: Es könnte noch schlimmer kommen.

Notiz:

Der BGH hat am 6. März in dieser Sache entschieden, die schriftliche Urteilsbegründung lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.

BGH-Aktenzeichen:

VI ZR 13/06, 14/06, 50/06, 51/06, 52/06, 53/06

Erschienen in Ausgabe 4/2007 in der Rubrik „Standpunkt“ auf Seite 29 bis 29 Autor/en: Dietmar Hipp. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.