Gott und die Welt

Argentinien

Gute Lügen

Karen Naundorf, Buenos Aires

Die Interviews, die der argentinische Präsident Néstor Kirchner und seine Frau Cristina – möglicherweise Präsidentschaftskandidatin – in den letzten Jahren gegeben haben, kann man an einer Hand abzählen. Medienstar in diesem Monat ist deshalb die 16-jährige Florencia Kirchner: Es ist ein Ereignis, wenn einer der „K’s“, wie die Kirchners in Argentinien genannt werden, mit der Öffentlichkeit spricht – was auch immer er sagt. Florencia hat seit Ende Januar ein Fotoblog, für das sie sich selbst interviewt. Die Zeitungen druckten erhellende Auszüge des Fragekatalogs: „Familienstand: Alonealone.“ „Getränk: Cola light.“ „Sprachen: yeah yeah yeah i’m speak in english man! do you know who i am?“ „Hast du schon mal gelogen? Wir lügen alle mal, es gibt zwei Arten von Lügen, meine sind gut, haha.“ Immerhin, zwei der Antworten dürften Papa „K“ in Ruhe schlafen lassen: „Vorbild: Nelson Mandela.“ (In Argentinien gilt diese Antwort ebenso politisch korrekt wie in Europa.) und: „Glückliche oder traurige Kindheit? Glücklich =.“ Wenn Sie mich fragen: Ich möchte nicht mit den argentinischen Kollegen tauschen. Dann müsste ich über das Blog der 16-Jährigen mehr schreiben als diese 1000 Zeichen.

Internet: www.fotolog.com/florkey

Vietnam

Die Regierung entert die Chatrooms

Christina Schott, Jakarta

Es war der erste Chat seines Lebens: Im Februar ging Vietnams Premierminister Nguyen Tan Dung online, um zweieinhalb Stunden lang die vorsortierten Fragen von rund 20.000 Internet-Benutzern zu beantworten. Dabei ging es um die Pressefreiheit, um Landenteignungen und um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit dem Vatikan – allesamt eher heikle Fragen im kommunistischen Ein-Parteien-Staat. Die vietnamesische Presse bejubelte ihren Premier für seine fortschrittliche Haltung. Die internationalen Medien kritisierten jedoch, dass trotz des chattenden Staatsoberhaupts die vietnamesische Regierung immer noch zu viele Websites zensiere, um ernsthaft vom offenen Meinungsaustausch im Internet reden zu können. Vor dem Regierungschef hatten bereits der ehemalige Vize-Premier sowie der Bildungsminister im World Wide Web geplaudert. Weitere Chats mit Regierungsmitgliedern sollen folgen. In Vietnam, wo mehr als die Hälfte der Bevölkerung unter 35 Jahren alt ist, ist das Internet die angebrachte Form zur Kommunikation mit den Bürgern.

Internet: http://english.vietnamnet. vn/politics/2007/02/663485/

Kanada

US-Einreise als Glücksspiel

Markus Gärtner, Vancouver

Es sollte eine kurze Angelegenheit werden, der Grenzübertritt zwischen Kanada und den USA beim „Peace Arch“, eine halbe Autostunde südlich von Vancouver. Es war der 26. Februar, ich war auf dem Weg nach Seattle, für Interviews zu einem Bericht über den prosperierenden Immobilienmarkt in jener Stadt, wo Boeing, Microsoft, Starbucks und Amazon residieren. Sechs Mal in drei Jahren wurde ich auf dieser Strecke durchgewunken, keine lästigen Fragen, nur die beiden Fingerabdrücke und der Blick in die Kamera, das war’s. Doch diesmal gab es Ärger. „Sie können so nicht rein“, sagte mir der um Freundlichkeit bemühte, aber leicht angespannt wirkende Grenzbeamte, nachdem er mich um halb sechs Uhr morgens 30 Minuten ohne Kommentar warten ließ. Dann hielt er mir einen Ausdruck von der Webseite des US-Außenministeriums unter die Nase. „Als deutscher Journalist fallen Sie unter das Visa Waiver-Programm und brauchen ein I-Visum“, war seine kurze Auskunft – „entry denied“. Und dann der Zusatz „Verstehen Sie das?“-in einem Ton ausgesprochen, als habe es der Grenzer mit einem Debilen zu tun. Meinen Hinweis, dass sechs seiner Kollegen mich in den vergangenen drei Jahren ohne Probleme durchlassen haben, beantwortet der Mann lapidar: „Beamte können irren, das hier ist ein ziemlich kompliziertes Gesetz“. Sechs zu eins Fehlentscheidungen also. Ein Beleg, wie sehr die wuchernde Gesetzesflut in modernen Industriestaaten die Beamten in wachsendem Maße überfordert. Die US-Grenze, ein Bollwerk gegen Terroristen, ein nervtötender Akt für Geschäftsreisende und ein Glücksspiel für Journalisten? Bei der Wiedereinreise nach Kanada wenige Minuten nach dem verwehrten Grenzübertritt hat die junge Einwanderungsbeamtin am Schlagbaum vor dem Ahornland nur einen kurzen Kommentar zu dem ganzen Vorgang auf der US-Seite: „Ja, ja, hängt immer davon ab, an wen Sie geraten“.

Internet: http://www.travel.state.gov/visa/temp/types/types_1276.html

Jemen

Angst vor Gesichtsverlust

Birgit Svensson, Amman

Es ist schon gewöhnungsbedürftig. Da sitzen bis auf die Augen schwarz verschleierte Frauen und brüten über Papier und Stift, lernen, wie man Nachrichten formuliert, eine Reportage aufschreibt. Kein Mann in der ganzen Runde. Nicht etwa, weil im Jemen nur Frauen Journalisten werden – wie so vieles im täglichen Leben ist auch ein Trainingskurs für Journalisten streng nach Geschlechtern getrennt. Die meisten Frauen im Jemen zeigen sich in der Öffentlichkeit nur mit Schleier. Fotos oder gar Filmaufnahmen lehnen sie grundsätzlich ab. Die Angst, „das Gesicht zu verlieren“, ist groß. Dementsprechend wenige Frauen finden den Weg in die Medien. Dabei garantiert die Verfassung des Jemen den Frauen zahlreiche zivile Rechte. Sie können studieren, sämtliche Berufe ergreifen, wählen und bei Wahlen kandidieren. Im Vergleich zu vielen anderen arabischen Ländern haben Jemenitinnen relativ viele Möglichkeiten, am Demokratisierungsprozess ihres Landes aktiv teilzunehmen. Doch die Praxis sieht anders aus. Die größten Hindernisse auf dem Weg in die Gleichberechtigung sind wirtschaftliches Elend, mangelhafte Ausbildung und alte Traditionen und Tabus. In seinem Buch „Frauen zwischen Legislative und Doktrin“ kommt der Rechtsanwalt Ahmed Al-Wadai zu einer deutlichen Aussage: „Was die Situation der Frauen im Jemen anbelangt, befinden wir uns in einer katastrophalen Situation.“ Allein dass es ein Mann ist, der ein derartiges Buch schreibt, spricht Bände.

Internet: www.derjemen.de

Usbekistan

Eine Millionen Euro für den Pressefeind

Marcus Bensmann, Baku

Die EU und die Konrad-Adenauer-Stiftung geben ab Februar über eine Millionen Euro für die „Capacity building for social and political reporting in Uzbekistan“ aus. In den nächsten drei Jahren sollen in dem zentralasiatischen Staat über 1000 Journalisten, Studenten, Pressesprecher und Politiker ein spezielles Medientraining durchlaufen. „Das Recht zur freien Meinungsäußerung soll als Eckstein einer demokratischen Entwicklung in Usbekistan gestärkt werden“, heißt es in dem Projektantrag der CDU-nahen Stiftung. Nur: in dem zentralasiatischen Land gibt es bisher nicht mal Ansätze einer freien Medienlandschaft. „Journalisten werden systematisch verfolgt und von einer Pressefreiheit kann man nicht sprechen“, sagt Elke Schäfter von „Reporter ohne Grenzen“. Das Internet unterliegt einer harschen Zensur. Dutzende usbekischer Journalisten und Menschenrechtler wurden in den letzten Monaten verprügelt, verhaftet oder in Psychiatrien zwangsbehandelt, viele mussten aus dem Lande fliehen. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Seit dem 21 Januar sitzt Umida Nijsaowa in Taschkent hinter Gittern. Die 32-jährige Usbekin hatte mit internationalen Menschenrechtsorganisationen zusammengearbeitet und Dossiers von „Human Rights Watch“ auf dem Computer gespeichert. Seit dem Massaker von Andischan, als usbekische Sicherheitskräfte am 13. Mai 2005 von Panzerwagen aus einen Volksaufstand niederschlugen, bekämpft die usbekische Regierung „die freie Meinungsäußerung“ mit allen erdenklichen repressiven Mitteln.

Internet: www.reporter-ohne-grenzen.de

Dänemark

Steinwurf als „teilnehmende Beobachtung“

Clemens Bomsdorf, Kopenhagen

Am Geschehen möglichst nah dran zu sein, ist wichtig; für Reportagen bietet sich die sogenannte teilnehmende Beobachtung an – Lehrs
ätze wie diese lernt man auf den Journalistenschulen. Nicht ganz so nüchtern hört sich das Ganze an, wenn man Hunter Thompsons Reportagen liest. An dessen Ideen mag sich ein dänischer Journalist orientiert haben, der für das Gratisblatt „Nyhedsavisen“ über die Randale in Kopenhagen Anfang März berichtete. Nachdem die Polizei ein alternatives Jugendzentrum geräumt hatte, war es zu friedlichen Demonstrationen, aber auch gewaltsamen Ausschreitungen gekommen. Pflastersteine und Molotowcocktails wurden in Schaufenster und auf Polizisten geschmissen. „‚Hier, schmeiß den.‘ Und ich nicke und versuche, den mehrere Kilo schweren Stein zur Jyske Bank zu schleudern, die ohnehin schon zerschmettert worden ist“, beschreibt der Journalist seine „teilnehmende Beobachtung“ an den Ausschreitungen. Ob der Einsatz die Auflage des Blattes gesteigert hat, ist nicht bekannt, der Autor jedenfalls musste das Blatt nach der ungewöhnlichen Reportage verlassen und der Chefredakteur sich im Blatt entschuldigen.

Internet: http://avisen.dk/nyhedsavisen-beklager-030307.aspx

Weltreporter

Serie: Die Nachrichten rund um den Globus aus verschiedenen Ländern werden regelmäßig im „medium magazin“ veröffentlicht. Die Autoren sind Mitglieder von Weltreporter.net. Homepage: www.weltreporter.net, eMail: cvd@weltreporter.net.

Erschienen in Ausgabe 4/2007 in der Rubrik „Weltreport“ auf Seite 56 bis 79. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.