Revolution im Dudelfunk

Interview: D. Bouhs, A. Milz

In der Radiobranche wird „in den nächsten 24 Monaten nichts so bleiben, wie es einmal war“. Das war Ihre Prognose Ende 2006. Sind Sie zufrieden mit dem bisherigen Revolutionstempo?

Hans-Dieter Hillmoth: Die Länder werden hoffentlich noch im Sommer darüber entscheiden, welche digitale Technik die bisherige analoge Ausstrahlung unserer Programme mittelfristig ablösen wird. Damit werden schon bald viel mehr Sendeplätze zur Verfügung stehen. Das birgt völlig neue Chancen, zieht sich aber leider länger hin als gedacht: Die Länder und der Bund wissen bei diesem komplexen Thema nämlich nicht genau, was sie wollen. Tatsache ist aber: Wir bekommen eine völlig neue Programmvielfalt.

Mal unabhängig von den technischen Möglichkeiten: Wie viele Sendeplätze könnten denn mit Inhalt gefüllt werden?

Ideen gibt es viele, aber sie müssen auch bezahlbar sein. Die technische Verbreitung eines nationalen Kanals – über welche Technik er auch immer ausgestrahlt wird – kostet jährlich zwischen 1,5 und 4 Millionen Euro. Da ist noch kein Programm gemacht. Letztlich schätze ich, dass sich die Zahl der ausgestrahlten Sender verdoppeln wird. Mehr ginge vermutlich auch. Aber da stellt sich natürlich die Frage – schon bei einer Verdopplung -, wie soll das alles bezahlt werden. Mit Werbung alleine wird’s sicher nicht gehen. Bei den „neuen Geschäftsmodellen“ warne ich vor Euphorie.

Im Projekt „Big 4 Digital“ entwickeln Sie seit Kurzem bereits mit anderen Sendern neue Formate. Was haben Sie da genau vor?

Wir haben uns mit Antenne Bayern, ffn und Hitradio Antenne Niedersachsen zusammengeschlossen und wollen im Internet neue Musikformate auszuprobieren. Das soll bis zum Ende des ersten Halbjahres realisiert sein. Weil neue Programme teuer sind, wollen wir uns die Kosten teilen. Dafür wird jeder Partner einzelne Sender produzieren, die wir dann untereinander austauschen. Damit wird jeder sowohl die fünf Sender, die er betreut, als auch die 15 der anderen Partner ausstrahlen können – und das unter seiner eigenen Marke. So wird der Aufwand für die einzelnen Programme für jeden überschaubar sein. Diese Internetsender sollen uns helfen zu sehen, wie die Leute auf spezielle Kanäle wie ein Lounge-Format, ein Programm für Kinder oder ein Eventradio reagieren. Und das könnte eine gute Grundlage für die Ausschreibung der neuen digitalen Frequenzen sein.

Was bedeuten neue Sendeplätze und neue Formate für den Kampf um Marktanteile und Hörer, die sich ja nicht proportional zur neuen Sendevielfalt vermehren?

Die Deutschen haben ja beschlossen, sich nicht groß zu vermehren. Und das tägliche Zeitbudget des einzelnen Hörers für Radio ist bereits relativ ausgereizt – 200 Minuten sind eine ganze Menge. Insofern wird es immer eine Umverteilung geben, wenn neue Sender dazukommen. Das heißt: Auf uns kommt ein stärkerer Verteilungskampf zu. Die Sender müssen sich weiterentwickeln, wie sich auch der Markt weiterentwickelt. Wenn wir gelassen abwarten und nichts tun, wäre das eine sehr kurzfristige Strategie.

Wie verträgt sich denn ein markanter Profilanspruch mit dem Konzept eines durchformatierten Radio, das gelegentlich auch als ,Dudelradio‘ firmiert?

Dudelradios sind ja nichts Schlimmes. Wir wollen sogar, dass das Radio dudelt – und das auch möglichst den ganzen Tag. Und wir wollen, dass das Radio den Hörer durch den ganzen Tag begleitet. Deshalb sehe ich das nicht als etwas Negatives, auch wenn dass das Feuilleton gerne so darstellt.

Sie selbst haben prognostiziert, dass künftig das Wort wieder zunehmen wird, speziell das journalistische. Was verstehen Sie darunter?

Im Radio-Geschehen der letzten Jahrzehnte gab es verschiedene Phasen. Bei den Öffentlich-Rechtlichen gab es früher sogenannte Full-Service-Programme, die rund um die Uhr Information und Musik geboten haben. Dann haben vor allem die Privaten das Wort sehr stark ausgedünnt. Dabei hat man sein Heil nur in Gewinnspielaktionen und Musik gesucht. Die ARD-Popwellen sind dem Trend blind gefolgt, obwohl sie nicht von den „Quoten“ leben. Derzeit befinden wir uns aber in einer Phase der Rückbesinnung: Man hat gesehen, dass ein großer Teil der Zuhörer nur zu gewinnen ist, wenn ein gewisser Rund-um-Service geboten wird. Und wenn sich bald die Zahl der Formate erweitert, muss es auch Wortkanäle im weitesten Sinne geben. An einen solchen Trend glaube ich nicht nur, ich sehe ihn auch. Deshalb sind auch wir als Hit Radio FFH gut beraten, den Weg eines Full-Service-Radios weiter zu verfolgen. Auf nur flotte Sprüche und Image-Phrasen haben wir nie gesetzt.

Ein Kopf von FFH ist „Schlaumeier“ Wolfgang Büser, der für Wissensformate steht. In Print und TV erleben Wissensformate wahre Blütezeiten. Lässt sich das auch auf das Radio übertragen?

Radio wird anders als Fernsehen oder Zeitung genutzt. Es läuft relativ lange pro Tag und das nicht selten auch noch parallel zu anderen Tätigkeiten. Reine „Wissensformate“ leben davon, dass ich mir etwas gezielt anhöre. Wenn die Differenzierung voranschreiten wird, dürfte es solche Formate auch im Radio häufiger geben. Bis jetzt leben wir gut davon, die Büsers und andere in das beliebte Unterhaltungs-und Informationsangebot aus der Region zu integrieren.

Wie wichtig ist Service im Radio?

Eine Ecke des Programms, aber sicher nicht ihr Kern. Denn wie bei den Wissensformaten muss man auch bei reinen Servicerubriken die Finanzierbarkeit im Auge behalten. Weil diese Formate sehr viel Geld kosten, wird es wahrscheinlich auch niemals ein privates Inforadio geben. Dieses Genre bedienen die Öffentlich-Rechtlichen, und das ziemlich gut. Das können die natürlich auch, weil sie über die Gebühren finanziert werden und eigentlich nicht mehr auf die Werbeeinnahmen angewiesen sind. hr-info beispielsweise hat laut der aktuellen Media-Analyse 12.000 Hörer, der Sender wäre durch Werbung nicht finanzierbar.

Private Sender lösen das Problem der teuren Wortformate teilweise, indem sie Nachrichten einkaufen oder im Verbund produzieren. Wird das noch zunehmen?

Das sehe ich in Ansätzen, je kleiner der Sender, desto größer ist sicher der Kostendruck. Allerdings haben Sender immer ein Plus, wenn sie Nachrichten mit regionalem Akzent – im übertragenen Sinne – haben. Außerdem macht es Sinn, für unterschiedliches Publikum auch unterschiedliche Nachrichten zu produzieren: Ein älteres Publikum hat eben andere Interessen als ein jüngeres. Damit haben wir in Hessen bei Hit Radio FFH und planet radio begonnen, der Hessische Rundfunk ist später nachgezogen, der zuvor noch eine einzige Nachrichtensendung auf allen Kanälen ausgestrahlt hat.

Kleine Sender, in Hessen sind das beispielsweise Main FM und Sky Radio, müssen sich aber natürlich überlegen, wo sie ihre Nachrichten herbekommen. Das ist bei uns mit Harmony FM nicht anders: Wenn die Redaktion mit ihren fünf Mitarbeitern jetzt noch drei für Nachrichten einstellen müsste, wären die tot. Das lösen wir, indem der Sender auf seine Zielgruppe angepasste Nachrichten von FFH übernimmt. Und das ist auch die Stärke eines solchen Hauses wie dem unseren, das drei unterschiedlich ausgerichtete Sender unter einem Dach vereint. Das merken inzwischen auch die Landesmedienanstalten bei der Vergabe der Lizenzen: Früher wurde jede neue Frequenz an einen anderen Sender vergeben. Die Folge: Alle sind in die Mitte gerückt, haben sich daran orientiert, wie sie die meisten Menschen erreichen konnten und sich deshalb kaum noch unterschieden.

Die Digitalisierung bedeutet auch bisher ungeahnte Möglichkeiten für das Bewegtbild im Internet. Welche Rolle spielt das künftig für Sie als Radiomacher? Auf der Internetseite Ihres Senders können inzwischen ja auch kurze, selbst produzierte Videos, sogenannte Videocasts, abgerufen werden.

Wir müssen alle diese Dinge nutzen, Internet, Podcasts, jetzt eben Videocasts und bald auch der Auftritt in „Second Life“. Wir suchen gerade jemanden, der sich hau
ptamtlich darum kümmern soll. Bisher war das alles in unserer Kommunikation angesiedelt. Mitte des Jahres werden wir aber „Mobile“ und „Online“ in einer eigenen Abteilung zusammenführen. Dort wollen wir auch die Aktivitäten unserer beiden anderen Sender steuern, um schlagkräftiger zu sein.

Wie visuell muss das Radio der Zukunft insgesamt sein?

Das weiß kein Mensch. Das muss man ausprobieren. Allerdings sind viele junge Leute in einer Umwelt aufgewachsen, die mit unserer von damals nicht zu vergleichen ist und sehen das Online und Mobile als Standard an. Wenn man ein interaktiver Sender sein will, muss man darüber hinaus jetzt auch in Second Life präsent sein. Wir werden im April mit einem virtuellen Funkhaus in Second Life starten (s. a. Seite 38 ff.). Dort wird man unsere drei Programme und unser Funkhaus besuchen, aber auch aus vorhandener Musik und Jingles eine eigene Sendung bauen können.

Was ist Second Life für Sie: Eher ein gigantisches Experimentierfeld oder tatsächlich ein Medium mit Zukunft?

Wissen Sie es? Wir haben jedenfalls den Anspruch, bei neuen Entwicklungen immer vorneweg dabei zu sein. Das heißt aber auch: Ob wir noch in ein oder zwei Jahren in Second Life präsent sind und wie viel Geld wir dann noch in diese Welt investieren, kann niemand vorhersagen.

Immer mehr potenzielle Hörer stellen sich ihre Musik und ihr Programm mit Downloads und Podcasts selbst zusammen. Ist diese MP3-Kultur eine existenzielle Gefahr für das Radio – oder auch eine Chance?

Natürlich sehen wir, dass vor allem auf die jungen Leute eine ganze Menge an neuen Möglichkeiten einstürzt. Es wäre ein Fehler, wenn sich das Radio in dieser Situation abschotten und versuchen würde, einen Abwehrkampf gegen den MP3-Player oder das Internet zu starten. Im Gegenteil: Um stark zu bleiben, nutzt das Radio schon heute neue interaktive Techniken. Wir versuchen, ob Second Life oder Videocasts geschickt in unsere Konzepte einzubinden. Doch auch hier wissen wir nicht, was letztlich ein Erfolg wird. Zumindest in Hessen sehen wir gerade, dass die beiden jungen Sender entgegen dem bundesdeutschen Trend deutlich an Hörergunst gewinnen. Und beide Sender versuchen, solche neuen Technologien einzubinden. Das gilt für You FM vom Hessischen Rundfunk als auch für unser Planet Radio.

Wie viel Multimedia muss ein Radiosender abseits seines klassischen Programms überhaupt bieten, um eine zusätzliche Hörerbindung zu erreichen?

Gerade die Zielgruppen, die mobile Angebote oder auch Second Life nutzen, sind sehr anspruchsvoll. Die wissen sehr gut Bescheid, haben immer die neueste Technik und die neuesten Endgeräte. Und die hassen es wie die Pest, wenn man etwas ins Netz gestellt hat und dann nichts mehr passiert. Deshalb müssen wir diese Dinge, wenn wir sie machen, auch weiterentwickeln. Außerdem ist alles, was die Interaktivität des Radios stützt, sehr wichtig.

Wie lang wird die Durststrecke sein, bis sich die neue Interaktivität auch auszahlt? Derzeit hört sich das ja nach einem großen Investment in vielen verschiedenen Bereichen an, in denen an Werbeerlöse erst einmal nicht zu denken ist.

Das ist natürlich erst einmal ein ordentliches Zuschussgeschäft. Aber wir geben auf der anderen Seite ja schon immer auch ziemlich viel Geld für Werbung aus. Da muss man vielleicht einen Teil von für die neuen Technologien abziehen. Das ist ja schließlich auch eine Art von Werbung, wenn auch eine neuzeitliche.

Ein solches Investment – die Digitalisierung der Rundfunktechnik, die neue Programmvielfalt, die neuen Internettechniken und der Anschluss an digitale Welten – kann sich ja nur ein relativ großes Haus leisten. Jemand wie Sie dürfte das schon eher durchhalten als ein kleiner, unabhängiger Lokalsender. Wird es bald eine weitere Konsolidierung der Branche geben?

Da wird es zwangsläufig ein Zusammenrücken geben. Aber eigentlich sind alle Radiosender kleine mittelständische Unternehmen und nicht Größen wie Burda, Springer oder Bertelsmann oder ganz vorne weg die ARD. Mit rein zahlenmäßiger Stärke des Personals und Geld können Sie da nicht gewinnen. Was zählt, sind Pfiffigkeit, Ideen und Schnelligkeit. Das gilt auch für die neuen Entwicklungen. Und letztlich verdienen wir nach wie vor unser Geld mit den ausgestrahlten Programmen. Die Werbeerlöse, die wir dort generieren, werden uns sicher noch eine lange Zeit tragen.

Linktipp:

Radio / Tele FFH:

www.radio-tele-ffh.de

Verband Privater Rund Rundfunk und Telemedien e. V.:

www.vprt.de

Radio MA:

ma.bik-gmbh.de/rms/

Download-Hinweis:

Das ausführliche Interview, in dem sich Hans-Dieter Hillmoth noch detaillierter zu neuen Spartenkanälen, seinem Gerangel mit dem Hessischen Rundfunk, der Moderatoren-Strategie seines Hauses und auch zu dem Modell von Radio NRW äußert, ist abrufbar unter www.mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 4/2007 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 34 bis 37. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.