Wohin mit den Rauchern?

Für Journalisten war die Zigarette in der Vergangenheit ein Glücksfall. Sie erzählte Geschichten von Macht (Altkanzler Schmidt), Sex („danach“) und Geld („Steuermillionen“). Und die meisten Redakteure steckten sich selbst eine nach der anderen an – immer dort, wo es ihnen passte. In Werner Höfers „Internationalem Frühschoppen“, dem Vorläufer der heutigen ARD-Sendung „Presseclub“, saßen „Sechs Journalisten aus fünf Ländern“ (Höfer) und qualmten vor Millionenpublikum bei Moselwein das Studio zu.

Verehrung für Raucher. Das traut sich heute niemand mehr. Niemand, außer Helmut Schmidt. Der Altkanzler pafft seine Reynos Menthol in den „Zeit“-Konferenzen und auf dem Flur, in seinem Büro und auf dem Weg dorthin. „Selbst wenn es ein Rauchverbot in der „Zeit“ gäbe, bin ich sicher, dass Helmut Schmidt sich nicht daran halten würde“, seufzt der nicht rauchende Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. Aber weil sich die Hamburger darauf verstehen, aus der Not eine Tugend zu machen, wird es im „Zeit-Magazin Leben“, das im Mai wiederbelebt wird, eine wöchentliche Kolumne geben: „Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt“. Denn, so hat Magazin-Entwickler Christoph Amend herausgefunden: „Gerade jüngere Leser verehren Helmut Schmidt dafür, dass er sich nicht verbiegt und keine falschen Rücksichten nimmt. Dazu gehört auch, dass er mit sichtlichem Vergnügen öffentlich raucht.“

Dieser Vorbild-Charakter ist heute allerdings ziemlich singulär. Selbst in Zeitungsredaktionen – den traditionellen Horten für qualmende Köpfe – wird es immer enger für die Qualmer. Vorbei die Zeiten, in denen der rasende Reporter mit der Fluppe im Mundwinkel auf die Gabriele einhämmern konnte, wo immer er wollte und arbeiten musste. Im neuen Jahrtausend sitzt der moderne Redakteur vor seinem Rechner am Newsdesk oder mit Dutzenden Kollegen im Großraumbüro. Häufig arbeiten Autoren im Team – Rauchschwaden mit negativen Nebenwirkungen sind da höchst unerwünscht.

Letzte Inseln. Gequarzt wird natürlich trotzdem. Nur wo? Erfahrungsberichte aus über vierzig Redaktionen bestätigten den Verdacht der schleichenden Raucher-Gettoisierung: Feuerleiter, Treppenhaus und Notausgang heißen die wenig gemütlichen Orte, an denen Journalisten heute Nikotin inhalieren:

Bei Gruner + Jahr in Hamburg haben rauchende Redakteure die luftige Architektur der Verlagszentrale direkt am Hafen für sich entdeckt und bevölkern die Balkone, auf denen sonst nur die Fensterputzer balancieren. Die Kollegen der „Frankfurter Rundschau“ gar tummeln sich zum Schmauch auf der Feuertreppe. Mangels solcher Austritte trickst man im NDR-Hochhaus in Hamburg-Lokstedt gerne den Rauchmelder aus, indem der Qualm direkt durchs Fenster einfach in die Hamburger Luft hinausgeblasen wird. Nur beim lokalen Fernsehsender „Hamburg Eins“ zünden sich Redakteure auch heute noch gerne mal eine im Großraumbüro an, bevorzugt in der Sportredaktion.

Das attraktivste Raucher-Getto aber bevölkern die Autoren der „Zeit Leben“-Redaktion in Berlin: Wenn es nicht gerade schneit, genießen sie die Zigarettenpause auf der Dachterrasse ihres Büros in Berlin-Mitte. Von dort eröffnet sich ein grandioses Panorama über die Dächer Berlins bis hin zur Reichstagskuppel.

Unweit davon, im benachbarten Kreuzberg an der Kochstraße, die bald nach Rudi Dutschke benannt werden wird, ist der Rauchgenuss dagegen deutlich getrübt. Als bei der eigentlich rauchfreien „taz“ die friedliche Koexistenz von Rauchern und Nichtrauchern zu kippen drohte, weil sich immer wieder einzelne Redakteure auf dem Flur eine ansteckten, brach redaktionsintern ein „E-Mail-Krieg“ (ein Redakteur) los, der über den Redaktionsverteiler geführt wurde. „Es kann doch nicht sein, dass …“ begannen viele Mails – und zwar von beiden Lagern: Die Raucher sahen ihre Autonomie bedroht, die Abstinenzler ihre Gesundheit. Chefredakteurin Bascha Mika enthielt sich weise und so schwelt der Streit immer noch. Mittlerweile tragen ihn die Redakteure im eigenen Blatt aus. Die Rubrik heißt „Raucherecke“.

Triebfeder. Den einen hartnäckigen Nikotinverfechtern geht es um ihren Individualismus, den anderen um Trotz und wieder anderen einfach um die Machtdemonstration. So gesehen hält Rauchen jung, weil es einen schlagartig in die Pubertät zurückversetzen kann: Wenn Rauchen mal cool war, dann ist Rauchen trotz Verbot noch eine Spur cooler. Aufklärung hilft da auch nicht wirklich weiter. Denn mit Vernunftargumenten allein ist Journalisten nicht beizukommen. Niemand in der Medienszene hat vermutlich mehr Raucherlungen gesehen als die Mitarbeiter der „Stern-Gesund Leben“-Redaktion und trotzdem zündet man sich dort gerne eine an. In der Wissenschaftsredaktion der „Süddeutschen Zeitung“ arbeiten Krebs-Experten, die vor dem Aufzug im ersten Stock immer wieder eine durchziehen.

Bei der Wirtschaftszeitschrift „Capital“ in Köln hingegen herrscht striktes Rauchverbot – von Montag bis Donnerstag. Am „Casual Friday“ lockert man in der Redaktion nicht nur den Krawattenknoten, sondern pafft bei leichtem Weißwein auch mal eine im Büro. Und wenn in der Nachrichten-Redaktion der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ nach getaner Arbeit belichtet wird, nuckeln einige Redakteure gern an ihren Zigarillos. Sozusagen zur Belohnung.

Warum rauchen eigentlich so viele Ressortleiter? Für Verschwörungstheoretiker eine leichte Antwort: Raucher schustern sich gegenseitig die Jobs zu. Mal abgesehen davon, dass schlechtes Gewissen („Ja, ja, wir wissen ja, dass Rauchen schädlich ist, aber …“) ungemein solidarisch machen kann, ist eins zudem offensichtlich: Wer zur Raucherclique gehört, ist besser informiert. „Wer wird eigentlich der Nachfolger von Meyer aus der Wirtschaft“, fragt sich beim gemeinsamen Zug an der Kippe einfach leichter als offiziell im Büro. Zumal im hektischen Newsroom-Betrieb die kleinen Auszeiten für die zwischenmenschliche Kommunikation immer weniger werden. Und der Reaktionsbote, der dereinst mit der Post auch die kleinen Klatsch-und Trasch-Interna von Büro zu Büro trug – ist im E-Mail-Zeitalter fast überall wegrationalisiert. Bleiben die Raucher-Keimzellen für die Geschichten und Geschichtchen.

Mobile Keimzellen. Solche Keimzellen gibt es sogar mittlerweile als mobile Einheiten: Ein schwedisches Unternehmen mit Herz für diskriminierte Raucher und Riecher fürs Geschäft hat ein Gerät erfunden, dass in Form einer Art Klimazelle belästigungsfreies Rauchen garantiert. Die „Financial Times Deutschland“ hat in ihrer Hamburger Redaktion seit Ende März mitten in der Redaktion eine solche Raucherkabine installiert. Bei der „Rheinischen Post“ in Düsseldorf hat es schon mit der Neugestaltung des Newsrooms 2006 Einzug gehalten – als Leasinggerät, in der Hoffnung des nichtrauchenden Chefredakteurs, dass sich das bald von selbst erledigen würde, weil sich kein Raucher derart auf den Präsentierteller stellen würde. Doch weit gefehlt, in der Zwischenzeit hat die Station, die an „Beam me up, Scotty“-Raumschiff Enterprise erinnert, in Düsseldorf schon einen Spitznamen: „Bushaltestelle“. Die wird sehr gerne frequentiert.

In der Starkrauchzone „Bild“ übrigens stehen die Redakteure schon an vier solchen Standorten unter der Haube. Das „Smokefree System“ wie auch sein Pendant „smoke&talk“ aus dem hessischen Gründau saugt den Zigaretten-Rauch an, filtert die gefährlichen Stoffe heraus und gibt die gereinigte Luft in den Raum ab. In die offenen Kabinen passen je nach Modell zwei bis zwölf Raucher gleichzeitig. Sogar das heimlich schwelende Thema Rauchen als Arbeitszeit-Killer vermögen die Dunst-Abzugshauben zu lösen: Auf Wunsch gibt es sie sogar mit Stechuhr.

Doch das ist bei der „Zeit“ ohnehin kein Thema. Und selbst wenn es eine Raucherkabine dort geben würde: Helmut Schmidt würde sich nicht reinsetzen. Der fast Neunzigjährige raucht überall-ohne Filter.

Erschienen in Ausgabe 4/2007 in der Rubrik „Leben“ auf Seite 62 bis 63 Autor/en: Jochen Brenner. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seit
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