Bedrohtes Leben

Der Genozid an dem armenischen Volk im Jahre 1915 liegt fast ein Jahrhundert zurück. Aber bis heute besitzt er eine politische „Sprengkraft“ – was leider sogar sehr wörtlich zu nehmen ist. Die tragische Ermordung des türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink Anfang des Jahres 2007 hat drastisch gezeigt, wie tief in die türkische Gesellschaft die „Metastasen des Hasses“ (Kai Strittmatter, „Süddeutsche Zeitung“) hineinreichen. In Deutschland ist der Genozid vom Parlament zwar explizit verurteilt worden, aber aus der öffentlichen Wahrnehmung blendet man dieses Thema offensichtlich lieber aus. Als Hrant Dink, der für die armenisch-türkische Aussöhnung kämpfte, vor fast genau einem Jahr den Henri-Nannen-Preis erhielt, rückte das Thema zwar auch hierzulande in den Focus der Medien. Ansonsten wird allenfalls über die katastrophale wirtschaftliche Situation, über die wuchernde Korruption in Armenien berichtet. Aber über den Stand der Pressefreiheit? Wie bedrohlich die Situation für armenische Journalisten ist, zeigt das Schicksal einer Fernseh-Kollegin, über das Felicitas Amler, Redakteurin der „SZ“-Lokalausgabe für Dachau, dem Verein „Journalisten helfen Journalisten“ berichtete.

Fragwürdiges Asylverfahren. Die Kollegin aus Armenien, die anonym bleiben möchte, hält sich in Deutschland nicht wegen Dreharbeiten oder einer Recherche auf. Sie lebte zum Zeitpunkt der ersten Kontaktaufnahme schon seit gut zwei Jahren zusammen mit ihrem Mann in einer „Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber“ am Rande von Dachau. Den Antrag auf Asyl hat sie gestellt, weil sie in Armenien um ihr Leben fürchtet. Mehrfach schon hatte man ihr mehrdeutige Botschaften übermittelt, die auch Verfolgungen nicht ausschließen, wenn sie weiterhin bestimmte sozialkritische Filme dreht. Vor allem aber besitzt die Kollegin das Wissen über ein Video, das die Verwicklung der aktuellen Regierungsspitze in ein Attentat aus dem Jahre 1999 belegt. Obwohl andere im Exil lebende armenische Kollegen die Glaubwürdigkeit ihrer Kollegin bestätigen und zu jeder Zeugenaussage bereit sind, vertraute der deutsche Gericht mehr dem Gutachten einer Armenien-Expertin, die eine Gefahr für kritische Journalisten als unbewiesen ansieht.

Dagegen stehen Recherchen der „Reporter ohne Grenzen“ und anderer journalistischer Hilfsorganisationen (wie etwa dem amerikanischen „Committee to protect Journalists“, die für Armenien eine erhebliche Einschränkung der Pressefreiheit konstatieren). Die von der Kollegin formulierte Angst vor einer Rückkehr nach Armenien hat demnach gute Gründe.

Drohende Abschiebung. Diese unterschiedliche Einschätzung der Menschenrechte in Armenien wird gegenwärtig noch vornehmlich auf dem Rücken der Asylbewerber ausgetragen. Bei einem negativen Ausgang des Asylverfahrens ist eine zwangsweise Abschiebung nach Armenien nicht ausgeschlossen. Derzeit arbeitet die passionierte Journalistin im Wäschedienst des Dachauer Krankenhauses. Alle mit ihr in Kontakt stehenden Personen und Institutionen stellen ihr nur beste Zeugnisse aus. Das Gericht jedoch urteilt nach anderen Kriterien, aber auch nach den Befunden eines anzweifelbaren Gutachtens. Immerhin konnte es jetzt geschafft werden, dass die Kollegin zusammen mit ihrem Mann die Gemeinschaftsunterkunft verlassen hat und in einem kleinen, vom Krankenhaus in Dachau zur Verfügung gestellten Appartement lebt. Als Beweis für ihre trotz der widrigen Lebensumstände nicht verlorene journalistische Passion produziert die Kollegin inzwischen ein Mal im Monat für einen kleinen lokalen Radiosender eine Sendung über die armenische Kultur. Ohne jedes Honorar und nur aus Liebe zu ihrem Land.

PS: Wer mit der Kollegin in Kontakt treten möchte, vielleicht für eine Sendung über Armenien, wende sich bitte an den Verein JHJ.

Kontakt

Journalisten helfen Journalisten (JhJ) e.V.

Lothringer Str. 11, D-81667 München

Tel.: 089-44 70 404, Fax: 089-68 87 789

eMail: cwmacke@t-online.de

Internet: www.journalistenhelfen.org

Erschienen in Ausgabe 5/2007 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 51 bis 51 Autor/en: Carl Wilhelm Macke. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.