„Österreich“ unter Druck

Täglich ab 9.30 Uhr wird darüber befunden, wie es um die Welt im Allgemeinen und Österreich im Speziellen so steht. Die Redaktionssitzung von „Österreich“ dauert in der Regel eineinhalb Stunden, manchmal auch zwei. Und damit doppelt so lang wie bei herkömmlichen Tagblättern.

Die Befunde stellt – wie fast immer – Gründer und Herausgeber Wolfgang Fellner aus, der einen sehr aktiven „playing captain“ gibt. Sie unterscheiden sich manchmal diametral von jenen des Vortags, aber dergleichen ist in einem eigentümergeführten Unternehmen nun mal zu akzeptieren.

Jede Seite wird bis ins kleinste Element durchdekliniert. Da sind dann auch Schriftgrößen in Sporttabellen selbstverständlich ein großes Thema. Denn Sport ist Fellner wichtig. Der Sport hat von den klassischen Ressorts den meisten Platz – und bespielt auch oft die „Tagesthemen“ am Blattbeginn. Dass man – mittlerweile bei der Chronik angelangt – ein siamesisches Zwillingspaar aus Pressburg am besten nach Wien zur Operation holt, ist natürlich auch eine Fellner-Idee: „Fragt doch mal schnell im AKH (Anm.: Allgemeines Krankenhaus Wien). Die können das sicher am besten. Wir holen sie. O.K.?“ Die Frage ist ein Befehl.

Tags zuvor hatte man sich die exklusiven Fotorechte von der slowakischen Boulevardzeitung „Novy´ Cas“ für den Sonntag-Aufmacher gesichert. Das berührende Thema wird die nächsten Tage weitergezogen. Das AKH sagte nicht Nein, steht bereit. Für die Zwillinge. Für Fellner. Eine Geschichte über die Plagegeister „Zecken, Gelsen und Dornfingerspinne“ wird auf das Montagblatt geschoben. „Nicht so Negatives bitte am Sonntag, die Leute freuen sich jetzt über das schöne Wetter.“

Fellner ist ruhig und entspannt, geizt nicht mit Lob. Er kam eben aus Kalifornien zurück, sehr sunny. Freut sich über die Liste der Inseratenplatzierungen, die ihm gereicht wird. Er kann auch anders. Natürlich geht es auch mal deftiger zu. Da fliegt schon mal ein „Seid ihr alle hirngefickt?“ durch den Raum, und jene, die schon dran waren, versuchen sich zu verkrümeln.

300 haben sich für die Lehrredaktion angemeldet, 60 wurden für drei Monate aufgenommen, 50 bekamen einen freien Dienstvertrag. 2.000 Euro (rund 3.300 Franken) Einstiegsgehalt klingen in Österreich nicht schlecht, wer es dann aber auf den Stundenlohn umrechnete, war weniger begeistert. 80 Wochenstunden keine Seltenheit, kein freies Wochenende – und vor allem nicht, was viele Naiven zu finden glaubten: eine Zeitung neuen Typs, journalistische Freiheit.

„Das hatte mit Journalismus nichts zu tun“, sagt einer, der jetzt glücklich bei einer anderen Tageszeitung arbeitet und dort auch schreiben darf, „das waren Hilfsarbeiten, und wehe, das Ergebnis der Recherche war nicht das gewünschte.“ Knapp über 30 der 50 sind nur noch da, bestätigt Lehrgangsleiter und Chefredakteur Claus Reitan, „das war aber bei einer Neugründung zu erwarten“.

Wie läuft „Österreich“? Wie sieht es für die Leser aus? Die bei einem Start üblichen Schülerzeitungsfehler bekam man rasch in den Griff; ebenso die Probleme mit Druck und Vertrieb – zumindest im Hauptmarkt Ostösterreich.

Verändert hat Fellner nachhaltig die Branche.

* Er hat die ÖAK (Auflagenkontrolle) gesprengt, indem er mit verbreiteter statt verkaufter Auflage wirbt. „Verbreitete Auflage“ ist ein ÖAK-Kriterium, hat nur bisher niemand verwendet. Das Boulevardblatt „Krone“ und der seriöse „Kurier“ drohen mit dem Ausstieg aus der härtesten Print-Währung wegen „Verwässerung“. Die Styria-Gruppe ebenso. Fellner feiert sich als Nummer 1 in Wien. Dass seine Exemplare vor allem am Sonntag nicht zu den Lesern gekommen sind – und das über viele Wochen -, beweist eine Foto-CD, die dem „Journalist“ anonym zugespielt wurde. Für „Österreich“-Geschäftsführer Wolfgang Zekert ärgerlich, „aber da sind nicht wir die Täter, sondern die Betrogenen – da haben halt Zuträger die Pakete nicht ausgeliefert.“

* Fellner hat das Internet-Pendant ÖWA (Webanalyse) lahmgelegt – er meldete zugekaufte Plattformen wie das zugriffsstarke wetter.at gemeinsam mit der sicher schwächeren Hausplattform oe24.at. Wurde nicht akzeptiert. Jetzt gibt es zum Leidwesen der Werbebranche vorerst mal überhaupt keine ÖWA-Zahlen.

* Fellner sorgte für einen Wirbel im Zeitungsherausgeber-Verband, weil die dortigen Honoratioren nichts mit dem wilden Durchstarter zu tun haben wollen. Die Entscheidung über seinen Aufnahmeantrag wurde vertagt. Fellner geht es wohl vorrangig um den Zugriff zum lukrativen Lotto-Toto-Topf.

Krieg mit der „Krone“. Mittlerweile eskalieren die Auseinandersetzungen. Marktführer „Krone“ ist jedenfalls hochnervös. Am 18. März wurde in einem skurrilen Text die Bankenaufsicht (!) zum Einschreiten aufgefordert. Die Kredite eines Bankenkonsortiums wurden höchst unverblümt mit den hochriskanten, skandalumwitterten Karibikgeschäften der Gewerkschaftsbank BAWAG verglichen, die das Land im vergangenen Jahr in Atem hielt.

Die „Krone“ schrieb über „Kredite, die aus heutiger Sicht kaum zurückbezahlt werden können, weil, Österreich‘ großteils gratis verteilt bzw. zu Schleuderpreisen auf den Markt gebracht wird. Da auch das Inseratenaufkommen dieses Blattes auf Grund von Schleuderangeboten schwächelt, scheint es nur eine Frage der Zeit, bis die Banken in Form neuer Kredite nachschießen müssen. Dem „Standard“ sagte Hans Dichand, „Krone“-Herausgeber und Hauptgeschäftsführer, er selbst habe diesen Artikel „noch redigiert und einiges rausgestrichen. Was übrig geblieben ist, kommt mir verhältnismäßig harmlos vor.“

Wolfgang Fellner ist vom Typ her ein Boxer. Wenn ihn einer nur leicht anstreift, schlägt er – mit gutem Killerinstinkt ausgestattet – sofort brutal zurück. Diesmals reagierte er publizistisch nicht. Das fiel auf.

Er konterte juristisch. Vertreten von Top-Anwalt Peter Zöchbauer flatterte der „Krone“ jüngst eine 2-Millionen-Euro-Klage (3,3 Millionen Franken) ins Haus. Fellner: „Das ist wirklich eine Sache fürs Gericht. Ich könnte ja auch über die Finanzierung von, Heute‘ (Anmerkung: Gratiszeitung von Dichands Schwiegertochter Eva) schreiben, das ist aber wirklich nicht mein Stil.“

Die Beweislast liegt bei Dichand. Kann er Dumping-Preise bei Inseraten beweisen? In Verlegerkreisen ist zu hören, dass Pakete mit einem Seitenpreis von 3.000 Euro (4.900 Franken) auf dem Markt sind. „Wer auch nur das Wort Verhandeln halbwegs buchstabieren kann, kriegt 60 Prozent bei Fellner.“ Der Listenpreis liegt bei mehr als 12.000 Euro (19.700 Franken). Fellners Konter: „Schwachsinn. Wer mit über einer Million im Jahr dabei ist, kriegt 50 Prozent, das ist alles.“ Dass es am Anfang mit dem Anzeigenverkauf nicht so gut ging, ist gesichert. Die Anzeigenchefin ist entmachtet (und wahrscheinlich bald weg), bis Stand Ende März haben vier Key-Account-Manager gekündigt.

Burn rate. Alle Verlage haben natürlich gerechnet – von „Standard“ bis „Styria“. Redaktionskosten, Papier, Vertrieb etc. Die burn rate liegt – so der Schnitt der Schätzungen – bei fünf bis sieben Millionen Euro (8,2 – 11,5 Mio. Franken), plus vier Millionen (6,6 Mio. Franken) für den Markteinstieg, dazugerechnet die Vorlaufkosten. Auch das wird wohl beim Prozeß zur Sprache kommen. Fellner hingegen sagt „kein Problem“, er will im Mai den operativen Break-even schaffen. Dergleichen (unbeweisbare) Ansagen im ersten Jahr kennt man von allen Fellner-Gründungen. Hans Dichand hat nur das Problem, dass er sich seine kreditschädigenden Äußerungen, von denen sich der „Journalist“ explizit distanziert, beweisen muss. Verliert Dichand die Zwei-Millionen-Klage, wird sich die WAZ an ihm wohl schadlos halten. Über diesen nächsten Konflikt in der Mediaprint wird sich Fellner freuen.

Fellner wird – wie immer in seinem Leben – die Auflage pushen und verkaufen. Er wird aber sicher beteiligt bleiben und sich nicht ganz zurückziehen. Und ein Umstand deutet auf eine dynastische Lösung hin: In der wichtigen Morgenrunde sitzt Niki Fellner. Er wird nicht als Filius akzeptiert, sondern hat sich
durch Kompetenz bei der Koordination der Bundesländerausgaben einen guten Ruf erworben. Wie ein guter Kenner des Hauses sagt: „Er ist ein Ausnahmetalent. Er hat das journalistische Gen des Vaters und noch dazu die soziale Kompetenz der Mutter. Von ihm wird man noch viel hören.“

Erschienen in Ausgabe 5/2007 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 54 bis 55 Autor/en: Freddie Kräftner. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.