Respekt!

Der Verleger ist optimistisch – und das bedeutet in diesen Zeiten von grassierenden Auflagenverlusten in der Zeitungsbranche nicht wenig: „Lesen Sie Ende Mai die „Frankfurter Rundschau“ und Sie werden entzückt sein“, verhieß Alfred Neven DuMont gut gelaunt der versammelten Prominenz, die zu seinem Geburtstagsempfang Ende April in Berlin erschienen war. Der neue Mehrheitseigentümer der „FR“ ist geradezu enthusiastisch, wenn es darum geht, der Umwandlung der traditionellen „FR“ in ein Tabloid das Wort zu reden. „Wir werden in Bälde einen Sprung nach vorne machen“, beschwört er den Erfolg eines Experiments, von dem er stolz sagt, dass das „in Deutschland noch niemand gewagt hat.“

 

Letzteres stimmt tatsächlich: Die Rigorosität, mit der sich die „Frankfurter Rundschau“ neu erfinden und positionieren will, ist beispielslos in der deutschen Zeitungslandschaft. Ohne Übergangsfrist und ohne Alternative – wie es „Welt Kompakt“ mit der „Welt“ praktiziert – will sie ihr Format um die Hälfte verkleinern. „Wir werden die Ersten, aber nicht die Einzigen sein“, ist sich Chefredakteur Uwe Vorkötter sicher (siehe Interview Seite 20ff). „Einen Rescueplan zurück zum alten Format gibt es nicht“, sagt Sönke Reimers, Projektleiter Tabloid im Verlag der „FR“ (siehe Seite 24 ff.). Eine Alternative zu dem „Befreiungsschlag“, mit dem die „FR“ ihren existenzbedrohenden Leserverlust der letzten Jahre wenigstens stoppen, im Idealfall ins Gegenteil umkehren will, hat sie kaum. Darin sind sich auch die Skeptiker weitgehend einig. Für den Mut gebührt den Machern Respekt.

 

Die große Frage ist nur: Was ändert sich noch – außer dem Format? Mit einem neuen Layout ist es schließlich längst nicht getan. Die eigentliche Schwierigkeit, vor der die „FR“ steht, ist der Spagat, den sie wagen will: die alten Leser – strukturkonservativ mit links-politischem Profil – durch allzu modernistische Inhalte nicht verprellen, neue Leser – vor allem junge und weibliche – durch einen modernen Auftritt gewinnen. Nun hat kein Leser – ob alt oder jung, männlich oder weiblich – etwas gegen mehr Leserfreundlichkeit und Handlichkeit einzuwenden. Und dass das Tabloid-Format dieses Kriterium erfüllt, ist längst bewiesen. Überall in Europa hat es sich bereits durchgesetzt, nur eben bisher nicht in Deutschland. Das liegt auch daran, das hierzulande die Zeitungsformate ohnehin erheblich vielfältiger sind als anderswo, das Berliner Format, das viele Regionalzeitungen traditionell praktizieren, erfüllt durchaus das Kriterium der Handlichkeit, ohne dass sich das Problem mit der fehlenden Buchstruktur eines Tabloid stellt. Doch die „Rundschau“ will in einer anderen Liga spielen, der überregionalen, und da sieht es, noch, ganz anders aus. Alle nationalen meinungsführenden Blätter halten bisher am großen Nordischen Format fest, weil es – so die gängige These – dem Leser national bedeutsame Inhalte signalisiere.

 

Die „Rundschau“ geht ein hohes Risikio ein, dass sie sich in dieser Liga neu positionieren – und auf regionale oder lokale Aufmacher auf dem Titel verzichten will. Denn der Deutschlandausgabe wird weder das neue Lokal-noch die Regionalbücher beiliegen. Sie muss es also umso mehr schaffen, wichtige Debatten der Republik deutlich stärker und profilierter als bisher ins Blatt zu bringen, mehr noch: sie zu initiieren. Die Marktforschung hat ergeben, dass für „FR“-Leser letztlich nicht das Format die erste Rolle für die Kaufentscheidung oder das Abonnement spielt: Es kommt, wie beruhigend für uns Journalisten, immer noch zu allererst auf den Inhalt an. Wenn die „FR“ es schafft, mit dem kleinen Format große, relevante Themen zu setzen, kann das Experiment gelingen. Dazu braucht es nicht nur ein stärker ausgeprägtes visuelles Denken der Blattmacher für das neue Format. Es braucht vor allem intellektuellen Mut. Gefragt ist jetzt die Fähigkeit der Verantwortlichen, diesen Mut in der Redaktion nach den demoralisierenden Verlustjahren wieder zu wecken und zu fördern. Gefragt ist auch das Vermögen des Verlags für einen langen Atem, denn mit Verlusten nach einer solch rigiden Umstellung ist zunächst zu rechnen. Ein langfristiger Erfolg wäre der „Rundschau“ zu wünschen . Für schnelle Urteile über Misserfolg wie Erfolg taugt das Experiment Tabloid nicht.

In eigener Sache:

Alexander Hüsing, bislang Redaktionsmitglied von „medium magazin“ und freier Journalist in Berlin, hat ein neues internetportal entwickelt, das er nun als Chefredakteur und Co-Gesellschafter leitet: www.deutsche-startups.de ist Anfang Mai an den Start gegangen. Ein spannendes Projekt! Wir wünschen ihm und seinem Portal viel Erfolg.

Annette Milz

Erschienen in Ausgabe 5/2007 in der Rubrik „Editorial“ auf Seite 3 bis 3. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.