Der Guerillero besetzt das Land, der Terrorist besetzt das Denken. Er besetzt das Denken in den staatlichen Apparaten und in den Braintrusts, in denen die Gesetze gemacht werden; so ist es in Washington, so ist es in Brüssel und in Berlin. Der Terrorist besetzt auch das Denken vieler Menschen, die diesen Gesetzen unterworfen sind – mit der Folge, dass fast jede staatliche Maßnahme, so sie nur mehr Sicherheit verspricht, Billigung findet. Und so kommt es, dass (seit dem 11.September 2001 zumal) jedem, der Sicherheitsgesetze kritisiert, von der herrschenden Politik vorgehalten wird, dass er sich damit unfreiwillig zum Gehilfen von Kriminalität und Terror mache.
Und was macht der Gesetzgeber? Er benimmt sich wie Schweinchen Schlau. Er will sich nun die Daten, die er früher mittels Durchsuchung suchen musste, schon vorab sichern: die Telekommunikationsunternehmen sollen sämtliche Daten des Telekommunikationsverkehrs sechs Monate lang speichern-also alle Rufnummern samt Uhrzeit, Datum der Verbindung und (bei Handys) dem Standort des Benutzers zu Beginn des Gesprächs, ebenso die Internet- und E-Mail-Daten – Zwangsspeicherung auf Vorrat also, zum späteren Zugriff des Staates bei Bedarf. Mit Hilfe der Datenberge sollen Profile vom Kommunikationsverhalten und von den Bewegungen potenziell Verdächtiger erstellt werden. Die Mehrheitpolitik in Berlin beruft sich zur Rechtfertigung auf „EU-Vorgaben“ – so, als ob das ein Freibrief für Verfassungswidrigkeit wäre (und unter Verdrängung des Faktums, dass man in Brüssel auf solche Vorratsdatenspeicherung gedrängt hat).
Aber ganz so funktioniert das Abqualifizieren von Kritik nicht mehr, seitdem Wolfgang Schäuble Sicherheitsgesetze produzieren will wie der Bäcker die Semmeln und seitdem das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber immer wieder in den Arm fällt und „Nein“ oder „So nicht“ sagt. Es gibt also Widerstand; und das höchste deutsche Gericht gehört zum Kreis des Widerstands. Das „Cicero“-Urteil, mit dem das Karlsruher Gericht am 27. Februar 2007 dem Grundrecht der Pressefreiheit neue Kraft geben wollte, ist der jüngste Versuch, an die Stelle der Maßlosigkeit in der inneren Sicherheit wieder ein rechtsstaatliches Maß zu setzen. Die Verfassungsrichter wiesen Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte an, die Normen des Straf- und Sicherheitsrechts im Licht der Pressefreiheit auszulegen. Durchsuchungen von Redaktionen und Privaträumen, um einen Informanten zu ermitteln, sind nach diesem Urteil unzulässig.
Kommunikationsüberwachung, Kommunikationsspeicherung: Journalisten können dann ihren Informanten nicht mehr garantieren, dass ihre Identitäten geheim bleiben. Die Sicherheitsbehörden werden immer auf deren Daten zugreifen können, wenn das „Verhältnismäßigkeitsprinzip“ gewahrt ist; und es wird alles „verhältnismäßig“ sein, was die Sicherheitsbehörden brauchen können. Wo bleibt da der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und Informant, der schon im „Spiegel“-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1966 für „unentbehrlich“ gehalten wird? Das „Cicero“-Urteil des höchsten Gerichts hat das wörtlich wiederholt, es hat das Redaktionsgeheimnis, es hat den Schutz des journalistischen Zeugnisverweigerungsrechts im Internet-Zeitalter sichern wollen.
Aber: Im neuen Sicherheitsstaat ist das bisher Sichere nicht sicher – die Bürgerrechte sind es nicht, die Berufsgeheimnisse sind es nicht mehr; sie werden ein Opfer der Prävention, des „Kampfes“ gegen den Terror. Der neue Präventionsstaat zehrt von den Garantien des Rechtsstaats; er entsteht, indem er sie verbraucht.
Erschienen in Ausgabe 5/2007 in der Rubrik „Standpunkt“ auf Seite 11 bis 11 Autor/en: Heribert Prantl. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.