Unerlaubte Konkurrenz?

Erst tönt die Fanfare, dann kommt Insa Müller: „Herzlich Willkommen zu News am Morgen“, sagt das neue Gesicht der genauso neuen TV-Nachrichten auf „Welt-Online“. Je nach Übertragungskapazität des Internetzugangs piepst ihre Stimme zwar noch etwas unnatürlich, Aber was folgt, sind derzeit noch fast vollständig von Reuters-TV zugelieferte, professionell gemachte Kurznachrichten von gut zwei Minuten Länge. Es geht an jenem Mittwochmorgen unter anderem um den Kandidaten der islamischen Partei für das Amt des türkischen Ministerpräsidenten, einen neu entdeckten erdähnlichen Planeten und den kommenden fünften Film der „Harry-Potter“-Reihe. Ganz aktuell moderieren Insa und ihre Namensvetterin Melanie Müller dreimal täglich direkt aus dem Groß-Newsroom im Berliner Springer-Hochhaus. Setting und Studio sind natürlich im Standard-Nachrichtenblau gehalten, im Hintergrund werkeln je nach Tageszeit mal mehr, mal weniger Redaktionsmitglieder von „Welt“, „Welt am Sonntag“ oder „Berliner Morgenpost“.

Web-TV für die Zeitung. Seit dem Relaunch von Welt.de gilt hier das Prinzip „Online First“ (s.a. „medium magazin“ 4/2007), dem Videoangebot der Website kommt dabei große Bedeutung zu. Neben den „News“-Sendungen gibt es weitere Filmchen zu den wichtigsten Themen von anderthalb bis zwei Minuten Länge. Zuständig für das TV-Angebot ist der frisch gegründete Geschäftsbereich Axel Springer Digital TV (ASDTV), den seit Jahresanfang der ehemalige RTL-Regionalkoordinator Klaus Ebert leitet.

Das Online-TV-Angebot via Internet-Protokoll (IPTV) soll als Teil der von Springer-Chef Mathias Döpfner bei der jüngsten Bilanzpräsentation verkündeten „Gesamt-Bewegtbildstrategie“ des Konzerns in nächster Zeit noch kräftig ausgeweitet werden. „Wir werden IPTV als von regulatorischen Auflagen völlig unbehindertes Geschäft aufbauen“, gibt Döpfner den Kurs voraus – um irgendwann damit auch „Einzug auf die neuen Flachbildschirme der deutschen Wohnzimmer zu halten“.

Fließende Grenzen. Doch diese ganz neue Art von Internet-Angebot hat längst die Regulatoren auf den Plan gerufen: Solange es Döpfner und anderen Verleger im Internet um elektronisch verbreitete Zeitung gehe, stimme das schon mit der Regulierungsfreiheit, sagt zum Beispiel der Medienaufseher Norbert Schneider. Doch „wer über Internet-Protokoll Fernsehen verbreitet“ spielt nach Ansicht des langjährigen, einflussreichen Chefs der Landesmedienanstalt NRW „in einer anderen Klasse“. Sein Argument: Rundfunk definiere sich nicht danach, wie das Signal technisch verbreitet weder – und daher könnten Verleger ihre Online-TV-Angebote „nicht mit dem Argument von Regulierung ausnehmen, es handele sich ja bloß um eine Zeitung mit anderen Mitteln“. Schneider appelliert daher an alle Radio- und TV-Angebote im Internet, sich „ehrlich zu machen“. Für künftige, vielleicht mit weniger Aufwand zu bestreitende Lizenzverfahren wären dann ohnehin nicht mehr die heute noch 15 einzelnen Landesmedienanstalten zuständig, sonder eine für 2008/2009 geplante nationale Kommission, in der auch das bisherige Konzentrationskontroll-Gremium KEK aufgehen soll (siehe Kasten).

Dennoch bleibt die Bewertung kompliziert – beim „Spiegel“ erst recht: Auch hier gibt es auf „Spiegel-Online“ längst eigene Videobeiträge und Kurznachrichten. Das Material stammt ausweißlich der Einblendungen von der Unternehmensschwester „Spiegel TV“, die wiederum über eine Rundfunklizenz verfügt. Vorbild sind natürlich auch hier die klassischen Nachrichtensendungen im traditionellen Fernsehen – und so wird im „Thema des Tages“ auch schon mal der öffentlich-rechtliche Vorruheständler Ulrich Wickert ganz korrekt als ehemaliger ARD-Korrespondent in Paris und „Tagesthemen“-Moderator eingeführt – und in einem soliden, fast vierminütigen Interview zu den Präsidentschaftswahlen in Frankreich befragt. Bei der „Süddeutschen“, die wie der „Focus“ in ihren Online-Angeboten aktuell ihre „Bewegtbildflächen“ ausbauen, läuft dagegen noch überwiegend das schon von der „Welt“ bekannte Reuters-Material.

Frage der Pressefreiheit? Und nicht nur die großen Magazine und überregionalen Blätter setzen auf solch eigene TV-Angebote via Internet. Der „Kölner Stadtanzeiger“ beispielsweise hat mittlerweile sein ksta.tv etabliert. Das überregionale Angebot liefert die niederländische Firma Zoomin auf der Basis von Filmmaterial der Nachrichtenagentur AP, doch die „Stadtanzeiger“-Redaktion macht längst auch selbst Programm: „Rheinblick“ heißt eines der Formate, bei denen lokale kölsche Tön zu Hause sind. Es ist montags bis freitags ab 16.00 Uhr auf der „Stadtanzeiger“-Homepage abrufbare und beschäftigt sich zum Beispiel mit den Problemen der Stadtbäume wegen des heißen, trockenen Aprils, Warnungen des Fundbüros vor Trickbetrügern und Werbekampagnen bei Gaffel-Kölsch.

Genau solche Angebote rufen schon heute weitere Begehrlichkeiten auf den Plan. So weißt der Privatsenderverband VPRT schon einmal prophylaktisch darauf hin, dass auch die neue EU-Fernsehrichtlinie eine Regulierung vorschreibt, sobald im Internet ein dem klassischen Rundfunk vergleichbares, lineares Angebot veranstaltet wird. „Es kann doch nicht sein, dass Ableger des heutigen Rundfunks im Internet weiter reguliert bleiben, und andere Angebote wie die der Zeitungen einfach so laufen“, sagt VPRT-Präsident Jürgen Doetz. Springer-Chef Mathias Döpfner bleibt dagegen bei seinem Optimismus: IPTV-Angebote dürften „im Internet dann nicht reguliert werden“, wenn sie „von Medien wie Zeitungen kommen, die als solche auch keiner Regulierung unterliegen.“ Ein regulierungsfreier Raum im Internet sei eine „wesentliche Form der Freiheit“ für Printpresse wie bewegtes Bild, so Döpfner.

Für Medienregulator Schneider ist das allerdings der falsche Bezugsrahmen. Er will künftig viel mehr die Machart und Reichweiten der Sendungen als Maßstab heranziehen. Heute sei das zwar noch relativ unproblematisch. „Aber es könnten ja auch Marken entstehen, die irgendwann in das Image-Segment der ARD-„Tagesschau“ aufrücken – mit entsprechender Verbreitung“, so Schneider. Und das wäre dann nun einmal „klar Rundfunk“.

Linktipp

www.welt.de

www.spiegel.de

www.ksta.de oder http://ocs.zgk2.de/mdsocs/mod_movies_kategorie/ocs_ausgabe/ksta (führt direkt auf TV-Angebot von ksta.tv)

Erschienen in Ausgabe 5/2007 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 32 bis 33 Autor/en: Steffen Grimberg. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.