Was Frauen wollen

An diesem Morgen sieht die „Westdeutsche Zeitung“ („WZ“) aus wie eine ganz normale Regionalzeitung, und das war nicht der Plan. Weshalb Chefredakteur Friedrich Roeingh als Erstes sagt: „Die Zeitung von heute ist kein gutes Beispiel für das, was wir wollen.“ Dabei hat die „WZ“ scheinbar alles richtig gemacht. Aufmacher der Titelseite ist der Klimawandel, Infografik und Seite-Eins-Kommentar inklusive. Kompakte Information. Viele Fakten. Ganz seriös. Und, nun ja, ein bisschen langweilig halt. Außer, man ist ein kritischer Rationalist.

Weiche Fakten. Kritische Rationalisten, so bezeichnet Roeingh jenen Teil der männlichen Leserschaft, der Fakten, Fakten, Fakten will. Es gibt diese Leser bei jeder Zeitung. Und bisher werden Inhalte auf ihre Bedürfnisse maßgeschneidert. Der spezifisch männliche Geschmack ist unter Zeitungsmachern Stil-bestimmend. Erstaunlich, denn die Leserschaft im Lokalen ist eher weiblich als männlich geprägt. Frauen stellen die knappe Mehrheit der lokalen Leserschaft – sollten die Männer weiter wie bisher ins Online-Geschäft abwandern, werden die Unterschiede sich verstärken. Die absoluten Zahlen sind schon jetzt deutlich: Die Westdeutsche Zeitungsgruppe wird der Media Analyse 2005 zufolge von 230.000 Frauen und 180.000 Männern gelesen. Ein ähnliches Verhältnis findet sich bei allen anderen untersuchten Regionalzeitungen. Da stehen sie nun, die Zahlen. Und was macht man damit?

„Die Zeitung muss weiblicher werden“, hat Roeingh beschlossen und dem Blatt zusammen mit der Berliner Agentur KircherBurkhardt ein feminineres Konzept verpasst. Farbiger und emotionaler ist es geworden, mit einer strahlend grünen Leitfarbe auf jeder Buch-Aufschlagseite. Das neue Ressort „Leben“ bündelt Service und Nutzwert von Kino bis Kaufrausch, eine feste „Leute“-Seite gehört neuerdings ebenso zum Programm wie der Schwerpunkt Leser-Dialog – als fester Zweispalter im Blatt und in ausgesuchter Form online. Die „Männer“-Ressorts Sport und Wirtschaft müssen sich dagegen bescheiden und teilen sich den Platz im zweiten Buch.

Dann hat Roeingh Nullnummern in Gruppendiskussionen testen lassen. Durch die Aufzeichnungen der Gespräche hat er sich nächtelang durchgezappt. Vielleicht, weil er nicht glauben konnte, was er hörte: Nicht nur die Frauen waren „begeistert“ bis hin zur „Überschwänglichkeit“. Sondern auch ein Großteil der Männer. Nur die männlichen Rationalisten grummelten ein wenig und fanden das alles „nicht notwendig, aber auch nicht störend“. Am 23. Januar 2007 erschien die „WZ“ erstmals im neuen Look.

Zwischenergebnis. Gut 100 Tage später ist es Zeit für eine erste Praxisbilanz des neuen Konzepts,. Was hat sich bewährt, wo sind die Schwierigkeiten? Zurück also zum Aufmacher an jenem Märzmorgen, der den kritischen Augen des Chefredakteurs nicht standhält: Die trockene Darbietung stört den gebürtigen Westfalen. Mehr Emotionalität heißt auch weniger Zahlenwüste. Neben der politischen Agenda sollen verstärkt gesellschaftliche Themen und mehr Ganzheitlichkeit ins Blatt. „Die Zeitung weiblicher zu machen, heißt nicht, nur Frauenthemen ins Blatt zu bringen.“ Sondern? „Sondern mehr Lebensnähe zuzulassen. Themen anhand von Rollenbildern zu erzählen“. 5200 Probebesteller hat es seit dem Relaunch gegeben, 45 Prozent davon waren Frauen: „Und das, obwohl in den klassischen Familienstrukturen die Verträge häufig über den Mann abgewickelt werden.

Der Chefredakteur blättert durch die Ausgaben und setzt den Stift an. Da, ein Beispiel vom Weltfrauentag: „Die „WZ“ stellt 20 Frauen aus der Stadt und ihre Berufe vor“. Oder hier, eine weibliche Wirtschaftsgeschichte über Karrierechancen unter der Überschrift „Ganz oben sitzt selten eine Frau“. Der Dreh mit der Emotionalität funktioniert auch bei Männern: „Wann ist ein Mann ein Mann?“ ist ein Artikel über eine Jugendeinrichtung in Düsseldorf übertitelt. Im Sport bleibt er auf der zweiten Seite hängen und ärgert sich darüber, dass die Redakteure daraus ein „Frauen-Getto“ gemacht haben, anstatt Männer und Frauen über die Seiten gleichmäßig zu mischen. In einer anderen Ausgabe freut ihn der sportliche Aufmacher „Zwei Weltstars retten ihre Haut“ – die Fotos der nackten Ballack-Beckham-Oberkörper machen auch Frauen Lust auf Sport. Das ist eine eher magazin-typische Art und Weise, Zeitung zu gestalten. Aber ein bisschen Wildern gehört zum Relaunch. Und die Rückbesinnung auf alte Grundsätze.

Rollenbilder. Wie zum Beispiel, dass es beim Lesen hilft, wenn eine komplizierte Geschichte ein Gesicht bekommt. Es gehört zum kleinen 1×1 des Jobs, näher am Menschen zu sein als an der Statistik. Doch in der täglichen Praxis und ihrer Redaktionsschlusshektik geht das schon mal unter. Apropos Redakteure: Da halten sich bei der „WZ“ Männer und Frauen die Waage, unter den Blattmachern und Ressortleitern dünnt der Frauenanteil aus, ein branchenübliches Phänomen.

Verlangt das weiblichere Konzept nicht auch mehr Frauen in die Führungspositionen? „Nicht unbedingt. Ich glaube, auch viele Journalistinnen sind auf die männliche Art des Zeitungmachens konditioniert“, sagt Roeingh. Überlegt noch einmal. Und fügt dann hinzu: „Wahrscheinlich bin ich auch als Chef auf bestimmte Rollenbilder konditioniert.“ Da befördere man eher jemanden, der einen ähnlichen Stil wie man selbst pflege. Ein selbstkritischer Chefredakteur: In der obersten Redaktionsetage der „WZ“ funktioniert die neue Weiblichkeit offensichtlich schon bestens.

Erschienen in Ausgabe 5/2007 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 30 bis 31 Autor/en: Andrea Mertes. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.