„Delete“ ist der falsche Weg

Der deutsche Journalismus tut sich schwer mit seinen Blogs. Dies zeigt jüngst wieder ein Vorfall um den „WamS“-Kommentarchef und aktiven „Welt“-Blogger Alan Posener. Anlässlich einer Buchankündigung hatte Posener in seinem „Welt“-Blog „Apocalypso“ gegen „Bild“-Chef Kai Diekmann polemisiert, dabei die Pinups der „Bild“ „Wichsvorlagen“ genannt und dem Boulevardblatt vorgeworfen, „auf fast allen Seiten die niedrigsten Instinkte“ zu bedienen.

Der Beitrag verschwand schnell von „Welt.de“, war jedoch längst an anderer Stelle im Internet dokumentiert, unter anderem beim „Bildblog“. Eilig wird eine Pressemeldung verfasst, in der sich der Verlag von dem „höchst unkollegialen“ Beitrag seines Mitarbeiters distanziert, und wenige Tage später gibt „Welt.de“- und „WamS“-Chef Christoph „sueddeutsche.de“ ein Interview, in dem er die Verträglichkeit von professionellem Journalismus und Weblogs bezweifelt und ankündigt, die „Welt“-Weblogs künftig unter strikte redaktionelle Kontrolle zu stellen.

Missachtete Spielregeln. Kaum jemand wird bestreiten, dass Poseners Beitrag eine Entgleisung darstellt. Journalisten arbeiten nicht im luftleeren Raum, sie sind zugleich Mitarbeiter ihrer Unternehmen, es gelten dort ähnliche Spielregeln der Loyalität und Kollegialität wie anderswo.

Auch wenn etwa „Focus“ seinen Weblogs einen distanzierenden Disclaimer anhängt, der alle Verantwortung auf die Autoren abschiebt – redaktionelle Blogs werden immer auch mit der Marke identifiziert und wirken auf diese zurück. Insofern ist es völlig legitim, ihnen einen gewissen Rahmen vorzugeben und im Grenzfall auch einmal sanktionierend einzugreifen. Dies tun im Übrigen auch die meisten Blogautoren bei ihren Kommentaren mit großer Selbstverständlichkeit.

Dennoch ist Keeses Reaktion auf den Vorfall ein Armutszeugnis. Blogs, selbst wenn sie professionell und mit journalistischer Zielsetzung betrieben werden, leben nun einmal von Subjektivität, spontaner Artikulation, von starken Meinungen. Und wenn man wie die „Welt“ eigens eine Plattform für Online-Debatten einrichtet, dann aber bei der ersten Konfrontation gleich einen fundamentalen Rückzieher macht, muss man sich den Vorwurf gefallen lassen, seine Hausaufgaben nicht gemacht zu haben. Statt mit autoritärer Attitüde über Bande zu spielen (Pressemitteilung, „SZ“-Interview), hätte Keese die Auseinandersetzung mit dem Vorfall zumindest teilweise auf den Seiten der „Welt-Debatte“ führen müssen, im Weblog von Posener oder im eigenen. Und etwas mehr Gelassenheit gegenüber den Positionen seines kantigen Kommentarchefs hätte ihm dabei gut zu Gesicht gestanden.

Vorbildliches Krisenmanagement. Wie man es besser macht, zeigt die BBC nur wenige Tage nach der „Apocalypso“-Episode. Dort war dem Reporter John Sweeney während einer langen Recherche zum Thema Scientology im Gespräch mit einem Funktionär der Sekte der Kragen geplatzt. Bereitstehende Scientologen hatten den Wutanfall gefilmt und das Video prompt nicht nur seinen Vorgesetzten zukommen lassen, sondern auch auf YouTube ins Internet gestellt.

Was nun folgt, ist vorbildliches Krisenmanagement: BBC gibt Sweeney die Möglichkeit, in einem Artikel auf den Vorfall einzugehen und sich zu entschuldigen. Im Redaktionsblog nimmt Sweeneys Redaktionsleiter Stellung, rügt das Verhalten seines Mitarbeiters („I’m very disappointed with John, and he’s very disappointed“) und nimmt ihn zugleich gegen Scientology in Schutz.

Online Publishing in Zeiten von Web 2.0 ist immer auch aktives Reputationsmanagement. Journalisten im Netz benötigen ebenso viel Sozial-wie Fachkompetenz, denn sie sind als Akteure sichtbarer und erreichbarer als in traditionellen Formaten. Das gilt nicht nur für diejenigen, die im Auftrag ihrer Verleger und Chefredakteure an vorderster Front den Leserkontakt erproben. Das gilt ebenso für ihre Chefs.

Notiz:

In der Blogosphäre ist es üblich, seine Quellen und Anregungen zu nennen. Dieser Beitrag verdankt wesentliche Anstöße den Beiträgen und Diskussionen im „Bildblog“ ( www.bildblog.de) sowie in den folgenden Blogs:

http:// www.blog-cj.de

http://blog.handelsblatt.de/indiskretion

http://stefan-niggemeier.de/blog

http:// www.blogh.de

http://turi-2.blog.de

Erschienen in Ausgabe 6/2007 in der Rubrik „Standpunkt“ auf Seite 13 bis 13 Autor/en: Lorenz Lorenz-Meyer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.