?Die Chancen des Traditionsmediums Zeitung stehen schon seit Jahren zur Diskussion. Haben wir bisher womöglich die falschen Fragen und Antworten diskutiert?
Heinrich Meyer: Persönlich halte ich es mit dem Hinweis, dass Prognosen den Nachteil haben, dass man erst bei Eintreten der Zukunft weiß, ob man richtig gelegen hat. Wenn wir die Diskussionen der letzten Jahrzehnte werten, müssen wir zu der Erkenntnis kommen, dass oft die gleichen Fragen gestellt worden sind und – mit leichten Variationen – die gleichen Antworten gegeben wurden. Deshalb machen wir mit der ITZ jetzt den Versuch, gemeinsam mit jüngeren Kolleginnen und Kollegen Zukunftsforschung zu betreiben. Vielleicht – und ich betone vielleicht – kommen wir dabei zu Erkenntnissen und Ergebnissen, die wir in der etablierten Diskussion bei Kongressen, an den Hochschulen oder bei den sogenannten Experten nicht mehr finden können.
An welche Themen denken Sie dabei?
Zum Beispiel das Klagen der Zeitungshäuser über die Tatsache, dass Kinder und Jugendliche nicht gerade die Hauptnutzer des Mediums Zeitung sind. Kinder- und Jugendseiten haben zwar eine Wirkung, die zwangsläufige Bindung an das Medium funktioniert aber offensichtlich nicht oder nicht mehr.
Wir wollen wissen, ob die sicherlich sinnvollen Aktivitäten wie „Zeitung in der Schule“ ausreichen. Müssen wir unsere Online-Angebote anders gestalten? Oder auf mobile Kommunikation setzen? Oder müssen wir in den Zeitungshäusern offen und ehrlich feststellen, dass junge Menschen für das Medium zu einem großen Teil verloren sind? Können wir sie allenfalls als Leserreporter oder bei Events erreichen? Was heißt das dann für die Werbung, die sich auf jüngere Zielgruppen konzentriert? Haben wir die Kraft, die Werbungtreibenden davon zu überzeugen, dass unsere hohe Reichweite in älteren Zielgruppen wesentlich attraktiver für ihre Werbebotschaften ist?
Stichwort Alter und Demografie. Auch die Alternsstruktur in den Redaktionen wird seit Jahren mit Stirnrunzeln zur Kenntnis genommen.
Ein großes Problem mit Blick auf die jungen Leser. Wir haben nahezu in allen Zeitungshäusern einen Altersdurchschnitt, der in etwa dem der Leser entspricht. Wenn aber eine Redaktion gemeinsam mit ihren Lesern alt wird, woher sollen dann neue Ideen und der innovative Ehrgeiz kommen?
Gründe für diese Entwicklung gibt es bekanntlich viele. In den Verlagen, speziell in den Redaktionen, hat es häufig keine konsequente Personalentwicklung gegeben. Auch die Weiterbildung ist oft nicht optimal organisiert. Hinzu kommt der Eindruck, dass viele Redakteurinnen und Redakteure durchaus weiterbildungsresistent sind.
Nicht wenige in diesem Beruf neigen gelegentlich dazu, ihre Fähigkeiten zu überschätzen. Besonders deutlich wird das immer, wenn ein Redakteur aus dem Team heraus in eine Führungsposition berufen wird. Hier müssen beide Seiten aktiv werden: Die Verlage müssen potenziellen Führungskräften geeignete Trainings anbieten. Und die Redaktionsleiter von morgen sollten zur Kenntnis nehmen, dass Chef-Sein harte Arbeit ist, für deren Erfolg man viel lernen muss.
Vielleicht war es auch ein Fehler, dass jahrelang nur Frauen und Männer mit Mitte, Ende 20 und einem abgeschlossenen Hochschulstudium die Chance auf ein Volontariat hatten.
Auch hier brauchen wir die richtige Mischung. Wir brauchen die Jungen, die voller Leidenschaft ihre Arbeit in der Lokalredaktion machen, die ihre Sicht auf relevante Themen einbringen.
Müssen die Zeitungen verstärkt „Leserreporter“ einsetzen und auf „User Generated Content“ setzen?
Dies kann allenfalls eine ergänzende Funktion haben im Sinne eines zusätzlichen und schnelleren Themenangebots. Aber auch hier bleibt die Redaktion in der Verantwortung. Auch Veröffentlichungen aus diesem Angebot müssen den redaktionellen Qualitätskriterien genügen. Ich sehe die traditionellen Medienmacher nicht bedroht, solange sie auf Qualitätsjournalismus setzen. Kompetenz und Glaubwürdigkeit, die mit Zeitungen verbunden werden, sind die Basis für eine Strategie, die auch in der digitalen Zukunft Erfolg haben wird. Genau wie in anderen Branchen müssen die Verlage jetzt darauf achten, dass ihnen nicht die besten Leute abhanden kommen – sei es durch Abwanderung in vermeintlich attraktivere Medien oder durch innere Kündigung. Wir müssen es schaffen, das Wissen und die Erfahrung der Älteren besser zu nutzen und gleichzeitig die Jungen ranzulassen, natürlich auch in Führungspositionen. Vielleicht sind neue Wege und neue Methoden nur durch zeitlich begrenzte Rotationen durchzusetzen. Und wir müssen aufpassen, dass die Alten nicht gleich dafür sorgen, dass die Jungen genau das machen, was sie selbst schon immer getan haben. Die Sozialisierungsgeschwindigkeit in den Redaktionen ist manchmal schon erstaunlich.
Erschienen in Ausgabe 6/2007 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 68 bis 69 Autor/en: Susanne Schaefer-Dieterle. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.