Seiltanz mit der Kamera

Es war reiner Zufall“, sagt Robert Lebeck über die Entstehung des Fotos, „aber es war leider auch einfach gut.“ Über den Köpfen staunender Gäste pflückt die junge Jayne Mansfield während der Berliner Filmfestspiele Trauben von einem Zweig an der Decke. Obwohl Dutzende Fotografen auf die Auslöser ihrer Kameras drückten, wurde gerade Lebecks Momentaufnahme der schwebenden Blondine eine seiner berühmtesten. „Nur ich stand so, dass man den Busen auch noch sieht“, sagt er heute, und schelmisch meint er das eigentlich nicht. Er hatte einfach die bessere Perspektive. Heute hängt das Bild in seinem Arbeitszimmer, und auch wenn er es Lieblingsfoto nicht nennen will, deutet er gelegentlich da—rauf und sagt: „Das ist ein echter Lebeck.“

Fotografisches Gedächtnis. Auf „echten Lebecks“ sieht man immer etwas mehr. Sie sind lebendiger, beiläufiger und intimer als die Bilder der meisten anderen Fotografen. Viele von ihnen haben das schwarz-weiße Fotogedächtnis der Nachkriegsgenerationen geprägt: Willy Brandt auf dem Esel. Elvis Presley als Soldat. Khomeini ohne Turban. König Baudouin ohne Säbel und immer wieder Romy Schneider so, wie sie in den Illustrierten nicht lächelte. „Du gingst nicht mit dem Rudel“ sagte die Kollegin Herlinde Koelbl in ihrer Laudatio bei der Verleihung des Henri-Nannen-Preises im Hamburger Schauspielhaus und offenbarte damit ein Lebecksches Erfolgsgeheimnis. „Wie beim Schach dachtest du immer einen Zug voraus.“ Wohl deswegen hat Lebeck nie inszeniert, wie viele seiner Kollegen, und sich gerade dadurch einen Namen gemacht. Er selbst beschreibt es so: „Meine Fotos sollten nie nach Arbeit aussehen. Ich wollte ein Seiltänzer sein, mühelos nach außen und innen konzentriert.“

Ein Bilderbuch-Leben. Als der 78-Jährige im Smoking zu den Bildern seines Lebens die Bühne betrat, um die in Bronze gegossenen bronzene Büste seines einstigen Förderers Henri Nannen entgegenzunehmen, tönte aus den Lautsprechern die Stimme Louis Armstrongs mit „What a wonderful world“, und so mancher Kollege im Saal fragte sich, wie er diesem immer lächelnden Schelm, diesem unverschämt attraktiven Kosmopoliten nur nacheifern könnte. Ein Reporterleben wie aus dem Bilderbuch liegt hinter Lebeck. Afrika, Asien, Amerika und Europa sowieso hat er bereist und fotografiert. Er war Korrespondent in New York und in Moskau genauso zu Hause wie in Tokio. Kann man heute noch ein Lebeck werden? „Es ist schwer geworden“, sagt der Altmeister, „ich würde nicht gerade zuraten. Aber befriedigend kann es immer noch sein.“ Den jungen Reportern von heute rät er zu Unbefangenheit. „Man braucht keine große Technik. Das Wichtigste ist, dass man weiß, wann ein Bild gut ist, dass man sehen lernt.“

Das „Sehen“ hat sich Lebeck selbst beigebracht. Mit seiner Kodak Retina 1a mimte er für die „Rhein-Neckar-Zeitung“ Anfang der 50er-Jahre den rasenden Reporter, ausgestattet nur mit dem Wissen aus der Bedienungsanleitung, so will es die Legende. Schnell erregten die Bilder des jungen Berliners Aufsehen in der ebenso jungen Zeitschriften-Branche. Nach „Revue“, „Kristall“, „Stern“ und wieder „Kristall“ landete er 1966 endgültig beim „Stern“, dem er dreißig Jahre treu blieb, unterbrochen von einem Chefredakteurs-Jahr beim Reportagemagazin „Geo“. Ein rastloses Leben: „Ich konnte keine Freundschaften pflegen, es kamen immer Telefongespräche dazwischen.“ Wie das mit „Stern“-Gründer Henri-Nannen: „Der ist für Amerika allein zu schade“, soll der Chefredakteur erklärt haben, als er Lebeck von New York zurück nach Hamburg beorderte.

Auch nach dem Ausscheiden aus dem aktiven „Stern“-Dienst mehr als zwanzig Jahre später bleibt Lebeck ständig in Bewegung: Mit seiner vierten Frau Cordula und den ein- und zweijährigen Kindern Oscar und Linda zog er Mitte der Neunziger nach Frankreich an den Atlantik, seit 2001 hat ihn seine Heimatstadt Berlin wieder. Von seinem Atelier in Schöneberg, über dem er mit seiner Familie wohnt, zieht er immer noch los. Ausfotografiert hat ein Lebeck nie.

Neue „Wackelbilder“. Wenn er heute den Auslöser drückt, dann bewegen sich allerdings keine Menschen mehr vor der Linse. „Mit 78 kriegt man als Fotoreporter keine Aufträge mehr. Einen Oli Kahn würde in dem Alter auch niemand mehr ertragen“, sagt er gelassen. Das „neue Berlin“, wie Lebeck seine alte Heimatstadt nennt, hat es ihm angetan. Mit einer digitalen Lumix streift er durch die Hauptstadt, oft zu Fuß, gerne auch mit dem 100er-Bus, dessen Route direkt an den Orten vorbeifährt, die Lebeck festhalten will. Dabei lässt er die Blende so lange offen, bis Potsdamer Platz oder Brandenburger Tor leicht verschwimmen, aber gerade noch gut zu identifizieren sind. „Wackelbilder“ nennt Lebeck diese Aufnahmen und auch sie werden zum Erfolg. Eine Plakatserie für die Berliner Festspiele entsteht, das Sonntags-Magazin „Berliner Illustrierte“ druckt seine Bilder. „Da wollt‘ ich unbedingt mal rein“, sagt Lebeck, „denn die hab‘ ich komplett.“ Damit meint er aber nicht die aktuellen Ausgaben des Magazins, das es seit 1984 als sonntägliche Beilage der „Berliner Morgenpost“ wieder gibt, sondern die Jahrgänge von 1892 bis 1945, als das damalige Ullstein-Blatt noch so etwas wie die gedruckte Stimme Berlins war. In seinem Archiv stapeln sich die Jahrgänge Dutzender Zeitschriften. „Le Monde Illustré von 1858 bis 1944“ ist nur eine davon. Seine Sammlung aus der Pionierzeit der Lichtbildkunst hat er zwar verkauft, die Kollektion der Reportagefotografie birgt jedoch noch viele Schätze. Dem Fotografen Alfred Eisenstaedt fühlt er sich nahe („Wir sind beide Preußen“), weshalb er an einem Buch über den berühmten Kollegen arbeitet. Neben der Herkunft verbindet die beiden eine Geisteshaltung: Weggefährten beschreiben Eisenstaedt als charmant und optimistisch.

Regelbruch mit Charme. Genauso empfanden viele auch Lebecks Art zu arbeiten. Und während ihm die Herzen zuflogen, knipste er die Fotos, die er haben wollte. Was das betrifft, war er immer ehrgeizig und kompromisslos. „Ich habe schon gemerkt, dass ich gut bin. Aus jeder Situation würde ich das Beste rausholen, das wusste ich.“

Dafür leistete er sich, wenn es sein musste, so manche Unverschämtheit. Ob er sich im Flugzeug einfach neben Khomeini setzte oder Churchill als Kellner verkleidet auflauerte. „Es gibt die, die Regeln aufstellen, und es gibt uns Journalisten, die wir uns darum nicht zu kümmern haben.“ Ärger hat er nie wirklich bekommen, das Auftreten eines aggressiven Paparazzi war nie seins. „Ich hätte immer wieder kommen können“, sagt er heute.

Lebeck war stets charmant, aber nicht moralisch. In Debatten, die nach dem „Wie weit darf ein Fotograf gehen“ fragten, vertrat er die Meinung „draufhalten“, etwa bei Barschel und Lady Di und auch den sterbenden Hussein hätte er fotografiert, wie er heute sagt. „Ob das Bild veröffentlicht wird, kann man immer noch hinterher entscheiden.“ Nur den Krieg verabscheut er. „Den hätten die Amerikaner im Irak niemals anfangen dürfen.“

Zum Krieg hat er ein spezielles Verhältnis. Dort, sagt er heute, seien die Bilder entstanden, die ihn heute nicht mehr loslassen – ohne Kamera, vor seinen Augen. Mit gerade 15 Jahren kämpfte er als Luftwaffensoldat in Hitlers Armee bei Stettin. Er erhielt Rotwein- und Zigarettenrationen wie ein Großer, doch als er während eines Ausgangs auf dem Kudamm ins Kino wollte, musste er draußen bleiben. Der Film war erst frei ab 16. „Totschießen lassen durfte ich mich aber“, sagt er heute und das ist das einzige Mal, dass ihn ein Hauch von Zynismus umweht, den er aber gleich wieder weglächelt. „Seitdem habe ich Probleme damit, Regeln ganz ernst zu nehmen. Das ist gut fürs Fotografieren, denn Fotografieren heißt, die Regeln zu verletzen.“

Als Lebeck zu Ehren die Bilder aus seinem fünf Jahrzehnte währenden Schaffen über die Leinwand des Schauspielhauses flackerten und sich das Publikum erhob, war ein Gast ganz besonders berührt: Lebecks 15-jährige Tochter Linda. Fast so nebenbei erzählt der Vater: „Da ist Linda klar geworden, dass schon vor ihrer
Zeit ein großes Leben stattgefunden hat.“

Jochen Brenner ist freier Journalist in Hamburg.

Kontakt: autor@mediummagazin.de

Lesetipp

Das „Stern“-Portfolio Nr.14 ist Robert Lebeck gewidmet. Bezug: versandkostenfrei für 15 Euro über den Stern-Aboservice stern-service@guj.de oder 0 18 05/8 61 80 00.

Ende Juni erscheint ein neues Buch von Robert Lebeck: „Sylt Stories“ (Murmann Verlag).

Linktipp

Die Homepage von Robert Lebeck:

http://www.lebeck.de

Erschienen in Ausgabe 6/2007 in der Rubrik „Leben“ auf Seite 84 bis 87 Autor/en: Jochen Brenner. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.