?! Sind die Dialoge Dichtung oder Wahrheit, Herr Feldenkirchen?

* Sie vollziehen die Entstehungsgeschichte des „Gesundheitsfonds“ nach, der auf der Idee eines Dortmunder Professors gründet. Kam von ihm der Hinweis, dass sein Konzept von der Politik verdreht und verbogen wurde?

Markus Feldenkirchen: Nein. Auf Wolfram Richter und seine Idee vom „Sonderhaushalt GKV“ bin ich erst im Laufe der Recherche gestoßen. Sie begann im Juli 2006, als die Große Koalition die Eckpunkte zur Gesundheitsreform vorlegte und sich abzeichnete, dass diese Reform alle selbst gesteckten Ziele verfehlen würde. Ich fragte mich damals: Wie konnte es dazu kommen? Welche Mechanismen wirken in einem politischen System, dass dieses ein Ergebnis produziert, das es nicht produzieren wollte? Diese Fragen wollte ich beantworten.

* Ein anspruchsvoller Zugang zu einem sperrigen Thema. Da müssen Sie sich sehr über die launige Anekdote vom Mathematiker, der seine Idee neun Monate zuvor auf gut Glück den Generalsekretären der Parteien und der Gesundheitsministerin unterbreitet hatte, gefreut haben?

* Hab‘ ich auch. Mir war von Anfang bewusst, dass ich viele solcher Anekdoten und Beobachtungen brauchen werde, um die Geschichte lesbar zu machen. Also habe ich gut 30 Gespräche mit Leuten geführt, die in irgendeiner Form an dem Prozess beteiligt waren. Die meisten hatten keinen Schimmer, woher das Konzept kam. Erst durch die Kombination zweier Aussagen kam ich darauf, dass die Idee des „Gesundheitsfonds“ von Richter stammen musste. Der arme Kerl ahnte davon bis zu meinem Anruf nichts – denn niemand hatte je das Gespräch mit ihm gesucht. Da war klar: Der Mann gehört in die Geschichte.

* Die amüsanten Szenen, in denen Angela Merkel die Gesundheitsministerin hoch-nimmt oder SPD-Chef Beck und Gesund-

heitsexperte Lauterbach sich angiften – sind die Dichtung oder Wahrheit?

* Wahrheit natürlich, zumindest die allergrößtmögliche Annäherung an die Wahrheit. Ich habe das, was hinter verschlossenen Türen stattfand, aus vielen Quellen rekonstruieren müssen, weil ich ja leider nicht live dabei sein durfte. Und ich habe mich bemüht, mit allen Personen, die im Text vorkommen, zu sprechen. Die Reaktion eines Politikers auf den Artikel war übrigens: „Ich wünschte, das alles wäre frei erfunden. Aber es ist leider die Wahrheit.“

* Haben Schmidt, Stoiber und Lauterbach und Co. Ihnen denn bereitwillig Auskunft gegeben oder haben sie Gesprächsbedingungen gestellt?

* Die meisten waren erst zum Gespräch bereit, als ich sagte: „Mir geht es nur um Ihre Informationen, ich will Sie gar nicht zitieren.“ Die Gesundheitsreform war den meisten peinlich, das hat den Willen zu Reden geschmälert. Aber auch sonst sind Recherchen im Reich der Politik oft ein umständliches Unterfangen. Kaum ein Politiker traut sich, offen zu sagen, was läuft und was er denkt. Es hat sich ein System der Halboffenheiten und sogenannter Hintergrundgespräche entwickelt, das eigentlich keinem hilft. Mir kommt es jedenfalls oft albern vor.

* Wie haben Sie Ihren Gesprächspartnern trotz dieser widrigen Umstände so viele Anekdoten entlockt?

* Einerseits bedarf es einer gewissen Beharrlichkeit, um das dritte Mal nach einem Dialog oder einer Situation zu fragen. Ich musste auch viele unergiebige Gespräche führen. Andererseits ist manch schmückendes Detail der Tatsache zu verdanken, dass Parteifreunde nicht immer Freunde sind und Koalitionspartner sich nicht immer als Partner verstehen.

* Hat geholfen, dass Sie im Auftrag des „Spiegel“ unterwegs waren – oder schüchterte das die potentiellen Gesprächspartner eher ein?

* Je prominenter eine Person ist, desto eher hilft der Name. Aber in diesem Fall spielte das Thema „Gesundheitsreform“ eine größere Rolle als das Medium, es hat viele Politiker eher abgeschreckt. Selbst Ulla Schmidts Sprecher hat anfangs sehr gezögert, ob er einen Gesprächstermin arrangieren soll. Die Gesundheitsreform ist keine Leistung, die sich als Erfolg verkaufen lässt …

* Im Gegenteil: Als Leser weiß man nicht, ob man über die Absurdität der Entscheidungsprozesse und die Feigheit der Politiker lachen oder weinen soll. Sie haben sich gegen beides und für einen nüchternen Ton entschieden. Warum?

* Weil der Prozess entlarvend genug ist. Es ist keine aggressive Sprache nötig, um den Leser auf das Eigentliche zu stoßen – nämlich auf die Funktionsweise der Großen Koalition und des politischen Systems, auf die Angst vor der Macht des Wählers, die Eitelkeiten in der Politik und den Einfluss der Lobbyisten.

* Die Inhalte der Gesundheitsreform sind für diese Darstellung ja nur eine Vorlage. Wie tief haben Sie sich in die Strukturen des Gesundheitswesens und die Reformvorschläge eingearbeitet?

* Ich habe mich mit meinen „Spiegel“-Kollegen beraten, die tiefer in den Details stecken. Ich selbst beobachte als Reporter im Hauptstadtbüro eher Personen und Prozesse auf der Suche nach spannenden Geschichten. Mir waren die Inhalte der Reform nur so weit wichtig, wie sie zum Verständnis des „Gesundheitsfonds“ nötig sind.

* Unter Ihrem Artikel fehlt – wie bei Artikeln dieser Länge im „Spiegel“ oft üblich – eine Liste mit Mitarbeitern. Haben Sie alles alleine recherchiert und geschrieben?

* Alles alleine, von den hilfreichen Gesprächen mit meinen Fachkollegen mal abgesehen. Das war ein Projekt von sechs bis acht Wochen, immer wieder unterbrochen von tagesaktuellen Jobs und ein paar Tagen Urlaub.

* Zum Abschluss des Textes haben der Geschäftsführer des Verbands der privaten Krankenversicherung und der SPD-Politiker Rudolf Dreßler noch einen Auftritt. Die Geschichte ist da eigentlich schon erzählt – warum war Ihnen dieser Epilog wichtig?

* Der Hauptfunktionär der privaten Krankenkassen war mir wichtig, weil mich der Einfluss der Lobbyisten auf die Politik schon lange beschäftigt und er bei der Gesundheitsreform besonders deutlich wird. Und Rudolf Dreßler hatte mit der Distanz des ehemaligen Gesundheitspolitikers einige erhellende und erfrischende Anmerkungen beizutragen, die sich als Ausstieg aus dem Text anboten.

Interview: Eva Keller

Erschienen in Ausgabe 6/2007 in der Rubrik „Best of Axel-Springer-Preis für junge Journalisten“ auf Seite 6 bis 6. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.