Trügerische Stille

Alles sehnt sich nach Gemütlichkeit, Rückzug vor dem Krach da draußen in der Welt. „Ruhe, Stille, Sofa und eine Tasse Tee geht über alles“ (Theodor Fontane). Stille ist „in“. Lärm ist „out“.

Unheilvolle Stille. In seiner Reportage über den historischen „Fußballkrieg“ zwischen Honduras und Salvador 1969 unterbricht der vor Kurzem verstorbene polnische Journalist Ryszard Kapu´sci´nski an einer Stelle seine Chronik. „Es wird höchste Zeit“, schreibt er, scheinbar vollkommen unvermittelt, „der Stille mehr Beachtung zu schenken … Die Geschichtenschreiber schenken den sogenannten lauten Momenten zu viel Aufmerksamkeit, während sie Perioden der Stille vernachlässigen“.

Wie bitte – der Stille? In einer Zeit, in der Politiker bei Pressekonferenzen kaum noch hinter einem Wald von Mikrophonen zu erkennen sind, Reporter von einem schrillen Event zum anderen rasen, wo nur noch der gehört wird, dessen Lautsprecher alles und alle übertönen, soll man sich als Produzent wie als Konsument medialer Botschaften mehr der Stille widmen?

„Die Stille ist ein Vorbote des Unheils, oft sogar des Verbrechens. Sie ist ebenso ein politisches Instrument wie das Klirren der Waffen oder die Rhetorik auf einer Versammlung. Tyrannen und Okkupanten, die darauf bedacht sind, dass Schweigen ihr Werk umhüllt, brauchen diese Stille … Welche Stille alle Länder mit überfüllten Gefängnissen atmen! … Die Stille verlangt einen großen Polizeiapparat. Sie verlangt ein Heer von Spitzeln. Die Stille fordert, dass Feinde der Stille plötzlich und spurlos verschwinden.“ Wo gefoltert wird, achten die Schergen zuerst immer auf schalldichte Räume. „Die Stille hätte es gerne, dass ihre Ruhe durch keine Stimme – der Klage des Protests, der Empörung – gestört wird. Wo eine solche Stimme erklingt, schlägt die Stille erbarmungslos zu und stellt die ursprüngliche Ordnung wieder her – das heißt den Zustand der Stille.“ Wer sich gegen den Lärm wehrt, will seine Nerven schonen, will endlich seine Ruhe haben. Warum nicht?! Es gibt kein Menschenrecht auf Stille, aber vielleicht ein Menschenbedürfnis. Doch zu viel Stille ist auch verdächtig, lässt Böses ahnen. Eltern wissen, daß die Stille im Kinderzimmer nicht nur Gutes verheißt.

Die Stille trügt. Warum hören und lesen wir derzeit so wenig von Haiti, Burundi, Birma, Guatemala, Zimbabwe, Usbekistan oder Bangladesch? Es herrscht Stille in diesen Ländern. Den Jahresberichten von „amnesty international“, den „Reportern ohne Grenzen“ oder „Human Rights Watch“ kann man entnehmen, warum. Man nehme sich nur einmal für eine Tasse-Tee-Länge die Zeit, den wöchentlich von kanadischen Journalisten produzierten IFEX-Newsletter ( www.cjfe.org) zu lesen. Drei Fälle aus jüngster Zeit, die auch JhJ zu Hilfen angestoßen haben: Da ist die peruanische Journalistin Marilu Gambini, die zusammen mit ihrer Tochter untertauchen muss, weil ihr mehrere Todesdrohungen zugegangen sind. Sie hat im Fernsehen ein Schweigekartell zwischen Politikern und Drogenbossen in ihrem Land angeklagt. Oder Jean Bosco Gasasira aus Ruanda, der es gewagt hat, über Korruption und Vetternwirtschaft der Regierung zu recherchieren. Er wurde zusammengeschlagen und musste lange Zeit im Krankenhaus verbringen. Oder der äthiopische Journalist Zelalem Gebre. Zelalem, der nach Nairobi/ Kenia fliehen musste, um einer drohenden Todesstrafe als „Vaterlandsverräter“ zu entgehen, weil er als Chefredakteur einer oppositionellen Tageszeitung die Militärpolitik seiner Regierung kritisiert hat. Am 3. Mai, dem „Internationalen Tag der Pressefreiheit“, wird jedes Jahr an jene Länder erinnert, in denen das für uns in Europa selbstverständliche Menschenrecht freier Meinungsäußerung nicht, noch nicht oder nicht mehr existiert. Dann aber, einen Tag später, liegt wieder „Stille wie des Todes Schweigen, überm ganzen Hause schwer“ (Schiller).

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Erschienen in Ausgabe 6/2007 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 34 bis 67 Autor/en: Carl Wilhelm Macke. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.