Und Tschüss!

Bild soll in Hamburg bleiben“, steht auf einigen Transparenten, andere rufen den Ersten Bürgermeister („Ole, tu was!“) oder bekunden einfach: „Unsere Familien sind in Hamburg.“ Rund 300 Mitarbeiter des Springer-Verlags haben sich am 15. Mai um fünf vor zwölf zu einer „kämpferischen Mittagspause“ vor dem Hamburger Unternehmenssitz am Axel-Springer-Platz eingefunden. Am selben Tag fällt der Vorstand der Springer-AG trotzdem die Entscheidung: „Bild“-Zeitung und „Bild am Sonntag“ sollen ins Berliner Hochhaus umziehen, betroffen sind voraussichtlich rund 500 von insgesamt 700 Mitarbeiter.

Ungewöhnliche Allianzen. Dass es sich dabei mitnichten um den „Wunsch der Redaktion“ handelt, wie „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann in einem „FAZ“-Interview kundtat, stellt der Betriebsratsvorsitzende Ulrich Liedtke klar. Einer repräsentativen Umfrage zufolge wollen 89 Prozent der Betroffenen nicht in die Hauptstadt ziehen. „Kreative Menschen machen Zeitung, unabhängig vom Ort“, ruft er aus. Bei der Demonstration am Axel-Springer-Platz 1 zeigen sich unwahrscheinliche Allianzen: Farid Müller, medienpolitischer Sprecher der örtlichen Grünen, ruft dazu auf, „um Springer zu kämpfen“. Die „Bild“-Zeitung werde von Hamburg aus ja „hervorragend gemacht“. Solidarische Grüße überbringt ferner Thomas Thielemann, Vize-Betriebsratsvorsitzender bei Gruner + Jahr. Er will gar die Ost-Tradition der Montagsdemos wieder aufleben lassen. Zwar räumt er später im Gespräch ein, einst gegen Springer demonstriert zu haben. „Aber hier geht es um Arbeitsplätze, da muss man sich solidarisch zeigen.“ Und natürlich habe Springer Rationalisierung im Sinn: Gerade alte, langjährige Mitarbeiter seien schließlich teuer, gerade die würden wohl eher nicht mit umziehen.

„Sogwirkung“? Wiederholt ist seither von gravierenden Folgen für den Medienstandort und der Sorge um eine „Sogwirkung“ des „Bild“-Umzugs die Rede. Ende 2006 beschäftigten der Hamburger Handelskammer zufolge 14 272 Unternehmen der Medienbranche in der Hansestadt rund 62 000 Angestellte. „Von der Zeitungs-Druckerei bis zur Software-Schmiede – 17 000 Medien-Unternehmen mit 130 000 Beschäftigten machen die Hansestadt Hamburg zu einem Riesen der deutschen Medienlandschaft“, heißt es sogar im Medienportal des städtischen Internet-Auftritts „hamburg.de“ – dessen Mehrheit im März ausgerechnet die Springer AG übernommen hat. Warum der Senat im Rahmen dieser sogenannten „Public Private Partnership“ nicht auf ein Verbleiben der „Bild“-Redaktion gedrungen hat, das ist einer der Vorwürfe, die nun erhoben werden.

Tatsächlich kommt es im Frühjahr 2007 knüppeldick für den altehrwürdigen Medienstandort. Gruner + Jahr stellte im April seine 14-tägliche Frauenzeitschrift „woman“ ein – wegen fehlender wirtschaftliche Perspektive vor allem im Anzeigengeschäft, hieß es. G + J muss schließlich die Rendite-Erwartungen der Konzernmutter Bertelsmann erfüllen. Betroffen sind 38 Mitarbeiter. Das neue G + J-Baby, das „ebay-Magazin“, bietet da auch keine Kompensation: es wird in München gemacht.

Abpfiff. Seit der Trennung vom Nürnberger Olympia-Verlag („Kicker“) Anfang Mai erscheint die Fußballzeitschrift „Rund“ nicht mehr. Die 16-köpfige Redaktion aus Hamburg-Eimsbüttel ist jetzt auf der Suche nach einem neuen Kooperationspartner. Zwar sei „die Bereitschaft, im Zeitschriftenbereich etwas Neues zu versuchen, in der Verlagslandschaft zurzeit nicht gerade ausgeprägt“, sagt der geschäftsführende Redakteur Matthias Greulich. Doch habe man seit Herbst 2006 viele neue Leser dazugewonnen. „Diesen Trend würden wir gerne fortsetzen.“ Vielleicht hilft es da, dass die Konkurrenz aus Hamburg-Eppendorf künftig keine Leser mehr abwirbt: Das Magazin „Player“ wird eingestellt – nachdem der ebenfalls im Vor-WM-Boom gestartete Fußballtitel gerade erst im Januar ins „Männer-Lifestyle-Segment“ umpositioniert wurde.

„Einen Zusammenhang sehe ich da nicht“, sagt Walter Richtberg und spricht von „normalen Strukturveränderungen“. Der ehemalige Geschäftsführungs-Vorsitzende der dpa fungiert seit 2006 als Medienkoordinator des Senats. Er hat in Hamburgs Medienhäusern „außerordentlich hohe Standorttreue“ festgestellt und bleibt hanseatisch gelassen.

Zunehmende Rationalisierung. Dass parallel zur Aufregung um „Bild“ auch noch Meldungen aufkamen, Springer plane überdies, in Hamburg die Lokalredaktionen der Tageszeitungen „Welt“ und „Hamburger Abendblatt“ zusammenzulegen, passt zur Situation. Springer dementiert allerdings energisch. Strukturen aber werden natürlich verändert. Gerade entstand unter Leitung von „Hörzu“-Chefredakteur Thomas Garms eine „zentrale Mantelredaktion“ für Springers vierwöchentliche Programmzeitschriften. Die Titel bleiben eigenständig, zehn Arbeitsplätze entfallen – Zeichen der fortschreitenden Rationalisierung bei den Zeitschriften, die unter dem Internet leiden und in Hamburg besonders stark vertreten sind. Auch für Springer bleibt in diesem Segment die Hansestadt Hauptsitz. Und doch werden sich die Gewichte im Verlag verschieben, auch wenn nun, wie Ende Mai verkündet, nur 500 Mitarbeiter umziehen. Im April zählte der Konzern in Hamburg 3300 Mitarbeiter, in Berlin 2300. Am Ende dürfte die Hauptstadt der stärkere Standort werden.

Understatement gegen Kraftmeierei. Walter Richtberg zeigt sich mit Springers Erklärung zufrieden, die „Bild“-Entscheidung habe nichts mit dem alten Standort zu tun. Dass Hamburg noch immer „Hauptstadt der Medien“ sei, habe beim jüngsten „Mediendinner“ des Senats sogar die Bundeskanzlerin gesagt – allerdings war das im Februar, vor der „Bild“-Entscheidung. Auch wenn der kleine Stadtstaat sich auf dem Gebiet der Medienpolitik, das viele Bundesländer kraftmeierisch betreiben, vor lauter Understatement nicht immer gut verkauft, hat er immer noch einiges aufzuweisen: Aus Hamburg kommen die überregionale Zeitungen „Financial Times Deutschland“ und „Die Zeit“. Die Deutsche Presse-Agentur hat ihren Hauptsitz mit rund 500 Beschäftigten in der Stadt. Und Hamburg ist immer noch Hochburg der Zeitschriftenbranche. Allein Gruner + Jahr beschäftigt hier rund 2500, der Heinrich-Bauer-Verlag rund 2000 Mitarbeiter.

Auch im Bereich der Fernsehproduktionen ist Hamburg stark, etwa durch die 100-prozentige NDR-Tochter „Studio Hamburg“ und deren Beteiligungsfirmen („Cinecentrum“; „Polyphon“). Zahlreiche Talkshows werden in der Hansestadt produziert, darunter „Johannes B. Kerner“ von der „Spiegel TV“-Beteiligung „a+i“.

Bewegung an der Alster. 2010 will auch der „Spiegel“ umziehen-innerhalb Hamburgs. Auf 30.000 Quadratmetern im städtebaulichen Prestigeprojekt „HafenCity“ sollen die 1400 Mitarbeiter von Print-, Internet- und Fernseh-Redaktionen zusammenziehen. Auch sonst kommen aus dem Internet-Bereich, der über Jahre hinweg eher für schlechte News gut war, nun gute – vom Stellenabbau (100) bei aol mal abgesehen. Bei G + J werde der Standort Hamburg „durch die de-Marken gerade eher wieder höher gehängt“, sagt Betriebsrat Thielemann. Er hat den Ausbau von „stern.de“ und „brigitte.de“ im Sinn. Bei Springer heißt es, „Computer Bild online“ (das vom Umzug nicht betroffen sein soll) werde im Sommer „mit eigener GmbH neu durchstarten“, auch mit neuen Arbeitsplätzen – wenngleich nicht im 700er-Bereich.

„Spiegel Online“-Chefredakteur Matthias Müller von Blumencron hält von Springers Hauptstadt-Drang nicht viel: „In unserem föderalistischen System wird die Welt nicht nur von Berlin aus bewegt, wir sind nicht in Frankreich. Natürlich muss man als politisches Medium in der Hauptstadt stark und zahlreich präsent sein. Wo die Inhalte letztlich zusammengefügt werden, spielt eher eine untergeordnete Rolle“. Von der „gewissen Distanz“ zur Macht, von der freilich auch der heutige Berlin-Propagandist Diekmann 2005 noch sprach, reden Hamburger Chefredakteure gerade gern. Andreas Petzold („stern“): „Die Döpfner-Argumente mögen für Springer gelten, aber nicht für andere Medien. Das würde ja bedeuten, dass wir,, Spiegel‘ und, Zeit‘, aber auch, FAZ‘ und, SZ‘ umziehen müssten
. Das ist ja absurd“. Wenn Standort-Wechsel dazu führen, dass es im Blätterwald wieder etwas kämpferischer zugeht, wäre das nicht die schlechteste Folge.

Christian Bartels ist freier Journalist in Berlin,

Peter Luley freier Journalist in Hamburg.

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Erschienen in Ausgabe 6/2007 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 28 bis 29 Autor/en: Christian Bartels, Peter Luley. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.