* In Ihrem Text über die misslungene Wiederwahl von Heide Simonis geht es nicht um den Mörder, sondern um den Mord an der Ministerpräsidentin. Haben Sie da aus der Not eine Tugend gemacht?
Karsten Kammholz: Nein, den Mörder zu stellen, war gar nicht mein Ziel. In der Serie „Wie es war“ arbeiten wir wichtige Ereignisse und Geschichten erzählerisch auf – aus Sicht der Menschen, die daran beteiligt waren. Es ging also um den Tag, der ein wahres Erdbeben ausgelöst hat und der der Anfang vom Ende der rot-grünen Regierung war. Natürlich spielte die Frage, wer Heide Simonis seine Stimme verweigert hatte, in allen meinen Gesprächen mit den Protagonisten eine Rolle, und „unter 3“ habe ich immer wieder drei Namen genannt bekommen. Doch Heide Simonis quittierte diese Namen mit einer Gleichgültigkeit, als spielte das für sie keine Rolle mehr. Es war mir daher klar, dass ich diese Namen in dem Artikel nicht erwähne, um keine neuen Spekulationen loszutreten.
* Auch für den Leser spielt die Identität des Mörders bald keine Rolle mehr, so spannend und lebendig ist der Tag beschrieben. Wie konnten Sie Gefühlsregungen und Bewegungen der Protagonisten so präzise wiedergeben – haben Sie im „Phoenix“-Archiv Mitschnitte gesichtet?
* Die einzigen bewegten Bilder hatte ich auf tagesschau.de gesehen. Aber am Tag nach der Wahl erschien eine Ausgabe das Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags mit brillanten Fotos, die als Momentaufnahmen mehr erzählten als die Nachrichtenfilme. Außerdem waren die Plenarprotokolle ganz wichtig für mich. Die sind zwar sehr nüchtern, aber mit der minutengenauen Mitschrift von Applaus, Stille und Jubel auch sehr aufschlussreich.
* Ihre Erzählung erschien anderthalb Jahre nach der gescheiterten Wiederwahl. Sind Sie die Recherche erst für die Serie angegangen?
* Ja und nein. An jenem 17. März war ich in London, wo ich zu dieser Zeit studierte. Am Mittag rief mich mein Bruder aus Schleswig-Holstein an, er war ganz aufgeregt und sagte: „Bei uns wird gerade Geschichte geschrieben.“ Als ich einige Tage später nach Deutschland kam, habe ich alte Zeitungen herausgekramt und auf tagesschau.de alte Sendungen angeschaut, um die Ereignisse nachzuvollziehen. Ich war fasziniert davon, zumal mir viele Beteiligte seit meiner Jugend vertraut waren.
Neun Monate später schrieb ich für meine Heimatzeitung ein Porträt über einen CDU-Politiker aus Eckernförde, der damals im Landtag dabei gewesen und im Zuge der Großen Koalition zum Staatssekretär im Wirtschaftsministerium aufgestiegen war. Der konnte auch nicht fassen, was am 17. März passiert war. Einiges aus diesem Gespräch habe ich später als Hintergrund für die Erzählung verwendet.
* Wie gut kannten Sie Heide Simonis, dass Sie Ihnen so viel über ihre Aufstehrituale und die Qualen des Politiker-Daseins anvertraut hat?
* Es war mein erstes Gespräch mit ihr. Aber ich habe Heide Simonis immer als eine sehr ehrliche Haut wahrgenommen, und vielleicht tat es ihr auch gut, über diesen Tag reden zu können. Ich hatte nicht lange um das Interview bitten müssen; eine Stunde bei Simonis zuhause hatte mir ihr Sprecher vermittelt, eineinhalb Stunden wurden es. Sie war gut vorbereitet, emotional und inhaltlich. Meine erste Frage war, wie sie am Tag der Wahl und in der Nacht davor geschlafen hatte. Sie war sehr konzentriert, und so waren wir schnell bei der Sache, bei ihren Gefühlen und Gedanken.
* Und die anderen Protagonisten – war es leicht, die zum Reden zu bringen?
* Ja, ich musste gar nicht groß nachfragen. Der Tag hatte sich bei allen Gesprächspartnern so ins Gedächtnis eingebrannt, dass sie sich noch gut erinnern konnten, was sie bei den verschiedenen Wahlgängen gefühlt hatten. Mit Peter Höver, der das Kieler Büro des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags leitet, führte ich ein Vorbereitungsgespräch vor dem Interview mit Heide Simonis. Er kennt sie seit Jahren und konnte mir ein hilfreiches Psychogramm von ihr zeichnen.
Aber es wollten nicht alle mit mir reden, mit denen ich reden wollte. Von Peter Harry Carstensen, der anstelle von Simonis Ministerpräsident wurde, kam eine Absage: „Der Ministerpräsident blickt in die Zukunft, nicht in die Vergangenheit“, hieß es aus der Staatskanzlei. Auch von der SPD-Fraktion bekam ich keine Auskunft, weil sonst „alte Wunden“ wieder aufgerissen würden.
* Wie lange haben Sie denn an Ihrer Erzählung gearbeitet?
* Schwer zu sagen, weil es ein bruchstückhaftes Arbeiten war. Ich hatte großen Respekt vor dieser Geschichte, weil sie ja kein klassisches journalistisches Stück werden sollte, in dem die Nachricht im Vordergrund steht. Nach meinem Interview mit Heide Simonis habe ich einige Wochen lang immer wieder die einzelnen Gesprächspartner und ihre Aussagen angeschaut und überlegt, wann ich welchen Charakter einführe. Und ich habe Literatur zur Hand genommen: Eine meiner Lieblingsautorinnen, Katherine Mansfield, schreibt spannende Erzählungen in ähnlicher Länge, da konnte ich mir die Strukturen einer klassischen Kurzgeschichte abschauen. Als ich das Gerüst für meine Erzählung hatte, schrieb sich der Text in ein paar Stunden fast von selbst.
* Der Text zeichnet sich auch dadurch aus, dass er keine Zitate enthält. Wie haben Sie das Problem der Autorisierung gelöst?
* Ich habe meinen Gesprächspartnern kurzerhand den ganzen Artikel zugeschickt. Es ist gut gegangen: Heide Simonis befand keine einzige Zeile für kritikwürdig, auch wenn der Text „für sie nicht leicht zu lesen“ war, wie ihr Sprecher mir danach sagte. Nur die Schriftführerin vom 17. März, die CDU-Abgeordnete Heike Franzen, störte sich daran, dass ich ihre neuen Pumps erwähnt hatte. Die wollte sie nicht im Text haben – und diesen Wunsch habe ich ihr leichten Herzens erfüllt.
Interview: Eva Keller
Erschienen in Ausgabe 6/2007 in der Rubrik „Best of Axel-Springer-Preis für junge Journalisten“ auf Seite 4 bis 4. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.