?! Was hat Sie an „Rosamunde“ fasziniert, Herr Kirchgeßner?

Wie gegenwärtig ist die Polka „Rosamunde“ heute noch in Tschechien?

Kilian Kirchgeßner: Ich war anfangs verblüfft, wie lebendig die Ball-Tradition in Tschechien auch heute noch ist – das ist eindeutig ein Erbe aus der österreichisch-ungarischen Zeit. Gerade in Prag gehören Bälle zu den Höhepunkten im gesellschaftlichen Leben. Selbst Abiturienten feiern ihren Abschluss mit klassischer Tanzmusik, und da wird natürlich jedes Mal die „Rosamunde“ gespielt.

Hand aufs Herz: Wussten Sie schon vor Ihren Recherchen, dass der hierzulande so beliebte Karnevalsschlager aus Tschechien kommt?

Ich kannte die „Rosamunde“ auch erst nur vom Karneval. Dass sie aus Tschechien kommt, habe ich auf einer Fahrradtour herausgefunden: Als ich neu war in Prag, habe ich auf eigene Faust die Gegend erkundet und stand in Zbraslav auf einmal vor einem Haus, dessen Fassade mit Noten bemalt ist – das Geburtshaus von Jaromir Vejvoda. Als ich dann im Museum war, habe ich gemerkt: Da liegt ein echter Schatz für eine Hörfunk-Reportage!

In Ihrem Alter bevorzugt man gewöhnlich andere Musik. Was hat Sie an der Erfolgsgeschichte der „Rosamunde“ interessiert?

Ich finde den Kontrast faszinierend: Da erfindet ein Hobby-Dirigent, der nie Musik studiert hat, an seinem Küchentisch eine Melodie, nach der kurz darauf überall in der Welt die Leute tanzen. Und das vor fast 100 Jahren!

Die Geschichte der Vejvoda-Dynastie ist in einem Buch nachzulesen. Welche Quellen haben Sie für Ihren Beitrag benutzt?

Ich habe natürlich vieles gelesen. Die wichtigste Quelle aber war das Gespräch mit dem Komponisten-Sohn: Wie der von seinem Vater erzählt hat, einem kleinen Dorf-Kapellmeister, da wurde die „Rosamunde“ erst lebendig. Für ihn ist das Stück immer noch zuerst ein Teil der Familiengeschichte – Goldene Schallplatten hin oder her.

Der Sohn von Jaromir Vejvoda sprach sehr gut deutsch. Hätten Sie das Interview mit ihm auch auf Tschechisch führen können?

Die meisten Interviews führe ich auf Tschechisch oder Slowakisch. Die Gesprächspartner antworten in ihrer Muttersprache einfach authentischer. Bei Josef Vejvoda habe ich eine Ausnahme gemacht: Er spricht sehr gut deutsch und hat außerdem keine Angst vor dem Mikrofon. Und sein herrlicher böhmischer Akzent passt einfach gut in die Reportage.

Ein Höhepunkt Ihres Beitrags sind die Hörbeispiele der verschiedenen „Rosamunde“-Versionen. Wie haben Sie die ausgewählt?

Die „Rosamunde“ füllt ganze CD-Sammlungen! Es gibt sie in dutzenden Ländern und dann meistens noch in unterschiedlichen Arrangements. Ich habe mich einfach auf die skurrilsten Beispiele konzentriert: Die „Rosamunde“ auf Japanisch etwa. Mein persönlicher Favorit ist trotzdem die Swing-Version – die ist vor allem ganz ohne Text, funktioniert also international …

Konnten Sie die Länge Ihres Beitrags selbst festlegen?

In der Sendung „Corso“, in der das Stück lief, ist das die Standardlänge. Und ich finde, die fünf Minuten sind optimal für das Thema. Natürlich hätte ich noch mehr Hörbeispiele reinbringen können. Um die Geschichte der Polka und ihrer rasanten Verbreitung zu erzählen, bietet die Länge ausreichend Luft.

Die Zeitreise ins Jahr 1927 und die Erinnerungen von Josef Vejvoda an die Arbeitsweise seines Vaters haben fast Hörspielcharakter (Sprecherstimme, Stimme des Interviewten, Musikuntermalung). War diese Wirkung beabsichtigt?

Das Stück sollte schon unterhaltsam sein. Die „Rosamunde“ ist schließlich keine Beethoven-Symphonie. Ich wollte ein bisschen mit dem Material spielen und nicht einfach nach Schema F immer nur zwischen Sprecher und O-Ton wechseln.

Wie gehen Sie an einen Hörfunkbeitrag heran: Gibt es eine Art „Storyboard“, nach dem Sie die O-Töne besorgen und den Beitrag bauen?

Natürlich mache ich mir vorher Gedanken, wie das Stück aussehen könnte. Ich gehe aber nicht hin und sammele O-Töne, die ich mir vorher zurechtgelegt habe. Die Gespräche führe ich ganz offen – und manche Zitate sind dabei so stark, dass sie einfach in das Stück rein müssen. Diese Möglichkeit würde ich mir mit einem fertigen Storyboard nehmen. Bei der Atmo überlege ich mir aber natürlich, was gut in das Stück passen könnte. Das nehme ich dann gezielt auf.

Wie lange haben Sie an dem „Rosamunde“-Stück gearbeitet?

Ich habe nicht kontinuierlich dran gearbeitet. Lange vor der eigentlichen Recherche habe ich schon viel über die „Rosamunde“ gelesen. Dann habe ich die Zutaten für das Stück zusammengestellt – das hat sich schon lange hingezogen. Wie viele Stunden, das weiß ich nicht mehr. Es hat auch zu viel Spaß gemacht, als dass ich sie gezählt hätte!

Sie haben eine sehr markante Sprecherstimme. Haben Sie eine Sprechausbildung durchlaufen?

Nein, eine Sprechausbildung habe ich nicht. Zur Ausbildung an der Journalistenschule in München gehört auch ein Seminar zum richtigen Sprechen. Das hat mir sicherlich viele Impulse gegeben. Und ich achte schon beim Texten darauf, dass die Sätze zu meinem Redestil passen. Aber trotzdem brauche ich bei manchen Passagen natürlich x Anläufe, bis mir das Ergebnis gefällt.

Sie arbeiten als Tschechien-/Slowakei-Korrespondent für verschiedene Printmedien und Hörfunkstationen. Was hat Sie nach Prag verschlagen? Und konnten oder wollten Sie sich dort nicht zwischen Print und Hörfunk entscheiden?

Ich empfinde es als Luxus, in verschiedenen Mediengattungen zu arbeiten. Dass ich das von Prag aus mache, hat einen einfachen Grund: Ich habe einen Teil meines Studiums in Tschechien verbracht – und fand es schon damals spannend, die Veränderungen im Land und die Eigenheiten der Leute zu beobachten. An Tschechien und der Slowakei sind nicht nur die Benes-Dekrete und das Atomkraftwerk Temelin interessant. All die anderen Geschichten und Entwicklungen, die erzähle ich mit Vorliebe.

Welchen unterschiedlichen Anforderungen stellen Print- und Hörfunkbeiträge an den Autor?

Das fängt schon bei der Recherche an: Manche Szenen, die in einer Print-Reportage einen phantastischen Einstieg ergeben, funktionieren im Radio einfach nicht, weil sie nicht klingen. Andererseits passen manche Hintergründe und Analysen besser in ein gedrucktes Stück. Die wichtigste Herausforderung aber ist in beiden Medien gleich: Bloß nicht langweilen!

Interview Katy Walther

Erschienen in Ausgabe 6/2007 in der Rubrik „Best of Axel-Springer-Preis für junge Journalisten“ auf Seite 8 bis 8. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.