?! Wie haben Sie die Tuareg-Frau Fatou gefunden, Herr Feldhaus?

* Sind Sie eigens in den Niger gereist, um die Frau vom World Press Photo 2005 zu finden – oder war die Geschichte über Fatou Ousseini Nebenprodukt einer anderen Recherche?

Kai Feldhaus: Nein, wir sind in den Niger, um Fatou zu finden. „Bild“ macht so eine Geschichte öfter: der Hintergrund zu einem Foto. Ich kannte das Foto von der Frau, auf deren Mund die winzig kleine Hand eines Kindes liegt, schon aus dem „Bild“-Jahrbuch. Als es im Februar 2006 als „World Press Photo“ über die Agenturen lief, bin ich mit einem Ausdruck zu meinem Chef und habe ihn gefragt: „Sollen wir sie finden?“ Ein paar Tage später haben der Fotograf Andreas Thelen und ich uns auf den Weg gemacht, um herauszubekommen, wer diese Frau ist, wem die Hand gehört und wie es den beiden acht Monate nach der Hungersnot geht.

* Wie viel Zeit hatten Sie für die Suche?

* Wir hatten acht Tage Zeit, davon gingen drei Tage für Hin- und Rückreise drauf. Mit der Redaktion war abgesprochen, dass wir uns in jedem Fall nach einer Woche melden würden. Wir hätten noch ein, zwei Tage anhängen können – aber nach fünf Tagen hatten wir Fatou gefunden.

* Fing Ihre Suche erst im Niger an oder haben Sie schon von Deutschland aus nach dem Aufenthaltsort von Fatou Ousseini geforscht?

* Wir hatten bei unserer Ankunft nur sehr wenige Anhaltspunkte. Ich hatte zu dem Fotografen, dem Kanadier Finbarr O´Reilly, Kontakt aufgenommen. Er konnte mir nur den Vornamen der Frau geben und sagen, in welchem Lazarett er sie fotografiert hatte. Doch die „Ärzte ohne Grenzen“, in deren Lager das Foto entstand, durften keine Patientendaten herausgeben. O´Reilly hatte uns außerdem die komplette Fotoserie von Fatou zur Verfügung gestellt, auf der auch ihre ganze Gestalt und das Kind auf ihrem Arm zu sehen war. Das hat uns sehr weitergeholfen, denn unser Fahrer Moussa erkannte an Gewand und Schmuck, dass Fatou eine Tuareg war. Da war klar, dass sie mit ihrer Familie möglicherweise längst in eine ganz andere Gegend gezogen ist.

* Von wem sonst haben Sie Hinweise und Unterstützung erhalten?

* Moussa brachte uns nicht nur mit seinem klapprigen Geländewagen übers Land, wo wir Hunderten Menschen die Fotos von Fatou zeigten. Er dolmetschte auch für uns und holte einen Freund zu Hilfe, der selbst Tuareg war. Dessen Kontakte und seine Kenntnisse der Sitten erleichterten es uns später, das Vertrauen der Tuareg zu gewinnen.

Von einem Franzosen, der während der Hungersnot 2006 für „Ärzte ohne Grenzen“ gearbeitet hatte, erfuhren wir, dass nur die schlimmsten Krankheitsfälle aus den Erste-Hilfe-Zentren im Umland in das Lazarett von Tahoua gebracht wurden. Also klapperten wir die Dorfkliniken rund um Tahoua ab – und wir hatten Glück, in der dritten Klinik erkannte ein Arzt Fatou.

Er verwies uns an eine Dorfheilerin, bei der wir dann Tee tranken und der Tradition entsprechend über die Sippe plauderten, mithilfe von Moussa und seinem Freund. Innerlich wurden wir immer nervöser, denn nach Sonnenuntergang sollte man sich auf den Straßen des Niger nicht mehr fortbewegen. Irgendwann stiegen endlich alle in den Geländewagen: wir, unsere Helfer, der Dorfvorsteher, die Dorfheilerin – und deren Oma gleich auch noch. Nach zwei Stunden Fahrt kamen wir an einen Abgrund, und von dort sahen wir in der Ferne die Hütten von Fatous Familie.

* Da hatten Sie schon genug Stoff für ein Roadmovie beisammen. Doch die Vorgeschichte sparen Sie in Ihrem Artikel weitgehend aus. Warum?

* Die Suche war spannend, und es macht Spaß, sie zu erzählen. Aber um die Suche ging es mir nicht, es ging mir um das Schicksal dieser Frau. Ich habe auch die elenden Lebensumstände nicht beschrieben, weil Fatou sonst zu kurz gekommen wäre. Und weil ich nicht eine Geschichte von Leid und Tod erzählen wollte, wie man sie so oft über Afrika zu lesen bekommt.

* Sie haben sich beim Schreiben nicht gewünscht, mehr Platz zu haben?

* Nein, dann wäre ich bei „Bild“ am falschen Platz! Davon abgesehen war die Geschichte auf der letzten Seite der Zeitung – der meistgelesenen nach der Titelseite – prominent platziert und mit 180 Zeilen ungewöhnlich lang. Es war die Fassung, die ich noch im Niger geschrieben habe. Nach dem Treffen mit Fatou, auf der Rückfahrt in die Hauptstadt Niamey, hatte ich den Laptop auf den Knien, um die Notizen aus dem Block zu übertragen. Und am letzten Tag unseres Aufenthalts im Hotel habe ich die Geschichte fertig gemacht.

* Wie lief die Begegnung mit Fatou Ousseini ab, wie kamen Sie ins Gespräch?

* Fatou saß vor ihrer Hütte und sah exakt so aus wie auf dem World-Press-Photo: das Kind auf dem Arm und das bunte Tuch auf dem Kopf, das mittlerweile total ausgebleicht war. Ich habe versucht, ihr klarzumachen, wer wir sind und was wir wollen, mein Französisch ist ganz leidlich. Ihr war zwar das ganze Konzept von Medienberichterstattung und weltweitem Publikum nicht griffig. Aber sie erinnerte sich an den Tag, als O´Reilly die Fotos von ihr machte.

Sie erzählte mir, warum ihr Sohn Alassa krank geworden war und wie sie heute lebt. Aber nicht nur sie: Im Laufe der zweieinhalb Stunden, die wir bei Fatou waren, hatte sich das ganze Dorf versammelt und erzählte. Da die wichtigen Informationen herauszufiltern, war das Schwierigste. Für den folgenden Tag verabredeten wir uns noch einmal, auf dem Markt im nächstgelegenen Dorf.

* Dieses zweite Treffen wird in dem Artikel als Spendenaktion inszeniert. War das von Anfang an geplant?

* Ich würde das gar nicht als „Spendenaktion“ bezeichnen. Wir wollten uns einfach bei den Menschen erkenntlich zeigen, die wir da als Reporter überrollten. Das erwies sich als überaus schwierig. In vielen Ländern werden über die „Bild“-Aktion „Ein Herz für Kinder“ Hilfsprojekte ins Leben gerufen, wie der Bau von Schulen und Kindergärten. Solch ein Projekt wäre aber für die Tuareg um Fatou wenig sinnvoll gewesen. Also beschlossen wir, dem Dorf Lebensmittel zu kaufen und einen Esel. Denn der Esel, der Fatous Sohn Alassa während der Hungersnot ins Lazarett transportiert hatte, war mittlerweile verdurstet.

Interview: Eva Keller

Erschienen in Ausgabe 6/2007 in der Rubrik „Best of Axel-Springer-Preis für junge Journalisten“ auf Seite 2 bis 2. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.