Blogs als Chefsache

Katharina Borchert (35) „westeins“

* www.lyssas-lounge.de/peepshow/archiv.html

Frequenz: Am 12. Juni erschien der sechste Eintrag 2007

Katharina Borchert alias „Lyssa“ war die erste bekannte Bloggerin, die als Online-Chefredakteurin eingekauft wurde – von der „WAZ“, für die sie am großen, immer gespannter erwarteten Online-Relaunch arbeitet (vgl. das „Projektblog“ www.westeins.de). Da hat sie viel zu tun, außerdem ist sie laufend bei Podiumsdiskussionen gefragt, sowie immer, wenn Journalisten über Journalisten und das Bloggen schreiben. Kein Wunder, dass der eigene Blog sich selten füllt. Immerhin demonstrierte „Lyssa“ prototypisch, was Borchert auch immer sagt: dass Journalisten jetzt mit unmittelbar publizierter Kritik an ihren Texten leben müssen: „Liebe Irmela Schwab, Sie haben geschafft, was ich kaum noch für möglich gehalten hätte: Ich sitze dank Ihres Rührstücks in der heutigen Ausgabe der, Süddeutschen Zeitung‘ … nach einem sehr langen Arbeitstag mitten in der Nacht noch an einem Blogeintrag. Das dürfen Sie jetzt aber bitte nicht voreilig als Kompliment werten. Ich sage das nur sicherheitshalber so deutlich, weil Sie sich in dem Interview als erstaunlich ironie- und humorresistent erwiesen oder zumindest ironische Aussagen mit übergroßer Ernsthaftigkeit zitiert haben …“ So reagierte Lyssa auf ein Porträt von ihr in der „Süddeutschen Zeitung“.

Mercedes Bunz (36) „Tagesspiegel.de“

* http://innenansichten.tagesspiegel.de Frequenz: 21 Kommentare in nicht mal einem Monat seit Gründung

Unter dem Motto „Relaunch ist immer“ berichten die „Tagesspiegel.de“-Chefredakteurin und ihr Redaktionsleiter Markus Horeld seit Mitte Mai über ihre Arbeit am Relaunch des Internetauftritts – und sorgten schon so für gesteigertes Interesse daran. Auch über die nötigen Nachbesserungen wird weiter berichtet: „An einer Liste von aktuellen 123 Fehlern saß Markus Horeld gestern bis nachts um 1 – nicht, dass seitdem nicht neue aufgetaucht wären“, schreibt Bunz. Sie moderiert nett zwischen Lesern außer- und innerhalb ihrer Redaktion: „Die heutige Brandenburg-Beilage online zu interpretieren, hat beispielsweise Roland Peters, der heute zum ersten Mal das Magazin betreut hat, einige seiner langen Haare gekostet. War aber wichtig – bei dem schönen Wetter wollen ja alle wissen, wohin“. Überdies bloggt sie, eine der bekanntesten Bloggerinnen des Landes, weiter unter eigenem Namen (http://mercedes-bunz.de) – schreibt mal ganz kurz („to do / Dringend intoleranter werden“), mal ausführlich über „Macht im postbürgerlichen Kapitalismus“ – und mit über 20 Einträgen in zwei Monaten keineswegs wenig, auch wenn es ihr selbst nicht so scheint („Zu viel Arbeit gerade. Also gilt es, seltene Momente hochzuschreiben“).

Christoph Dernbach (47) „dpa-infocom“

* www.mediacoffee.de/cdernbach Frequenz: ein Beitrag in zwei Monaten

* www.mr-gadget.de/index.php/weblog/index Frequenz: 20 Beiträge in zwei Monaten

Die „mediacoffee“-Website der dpa-Tochter „news aktuell“ bietet zwar derzeit 37 Blogs, in den meisten ist aber wenig los, in Dernbachs dabei mehr als in vielen anderen. Zudem füllt der Chefredakteur und Geschäftsführer von „dpa-infocom“ überdies einen privaten Blog. „Was ich hier veröffentliche, ist ausschließlich meine private Meinung und nicht die der Deutschen Presse-Agentur, für die ich als Chefredakteur der dpa-infocom regelmäßig über Technologie-Themen schreibe“, steht in der Gebrauchsanweisung. Er macht das, um bei Phänomenen wie etwa RSS-Feeds auf dem Laufenden zu bleiben, sagt Dernbach. Außerdem profitieren Hauptberuf und „Hobby“ voneinander. Wenn etwa die dpa nach langen Recherchen zur Ansicht gelangt, dass hinter einem „Focus“-Artikel über Navigationsgeräte für Autos, die die Firma Apple angeblich herstellen will, gar nichts steckt, kann sie auch nichts melden. Aber mr-gadget.de erzählt durchaus meinungsfroh davon („Focus verfährt sich mit Apple-Story“).

Kai Gniffke (47) und Thomas Hinrichs (39) „ARD-aktuell“

* http://blog.tagesschau.de/?cat=12; Frequenz: 30 Beiträge in zwei Monaten

Anfang dieses Jahres begannen der Erste und der Zweite Chefredakteur von „ARD-aktuell“ zu bloggen. Ihre Sprache hebt sich betont flapsig vom staatstragenden „ARD-aktuell“-Sound ab, sie lassen unverblümt wissen, welche „Tagesschau“-Ausgabe „ordentlich in die Fritten“ ging. Damit man auch halbwegs verstehen kann, was eigentlich gemeint ist, verlinkt Gniffke das online abrufbare Video dazu. Dass Gniffke kritische Kommentare immer zeitnah beantwortet, kann man nicht behaupten. Doch um Einblick in die Arbeit der Fernsehnachrichten-Macher zu geben, von der im Fernsehen nur ein Bruchteil zu sehen ist, um zu zeigen, „was durch den Rost gefallen (ist) – und warum“, ist das Blogformat ideal. Ebenso für die Macher, wenn sie wissen wollen, ob „Tagesschau“-Zuschauer eigentlich wissen, wofür genau Hamas und Fatah in Palästina stehen und daher „Bitte Feedback!“ (Blog-Überschrift) benötigen. Feedback gibt’s in der Tat viel. Das gesamte Angebot (http://blog.tagesschau.de) gewann gerade einen Grimme Online Award.

Hans Hoffmeister (59) „Thüringische Landeszeitung“

* http://weblog.tlz.de/index.php/blogger/430/?weblog=tlzschluesselloch Frequenz: neun Beiträge in zwei Monaten

Hoffmeister „hält im wöchentlichen Schlüsselloch auf seine ganz persönliche Weise Politikern, Kulturschaffenden und Wirtschaftsführern den Spiegel vor“, heißt es mit Recht. Die meinungstarke landespolitische Kolumne erscheint seit mehr als zehn Jahren gedruckt, seit Februar steht sie auch im Online-Angebot der zur Blog-affinen WAZ-Gruppe (siehe Katharina Borchert) gehörenden Lokalzeitung. Sie zieht noch nicht oft viele Kommentare nach sich, aber es kommen auch Leserbriefe per Post oder Fax, sagt Hoffmeister. Wenn die „thueringerblogzentrale.de“ schimpft, das seien zweitverwertete „olle Kamellen“, ärgert er sich, hauptberuflich mache man ja Zeitung. Außerdem führt seine stellvertretende Chefredakteurin Gerlinde Sommer mit „Gedankenreisen“ einen lupenreinen Blog [http://weblog.tlz.de/index.php?weblog=tlzgedankenreisen].

Doris Huber (43) Redaktionsleitung Condénet (VOGUE.com, GLAMOUR.de, myself.de und GQ.com)

* www.vogue.de/vogue/1/blogs/style Frequenz: 12 Einträge in zwei Monaten

Der „Styleblog“ ist der Mission, die er im Namen führt, treu. Er enthält zahlreiche bestaufgelöste Fotos mit Stars oder Mode oder meist beidem darauf. Doris Huber, die man nach ihren Angaben „an den superskinny Jeans“ aus New York erkennt, sich sicherheitshalber aber auch mit Porträtfoto präsentiert, schreibt meinungsfroh über Prominente („Pete Doherty ist einer der unappetitlichsten Typen, die ich je gesehen habe. Man denke nur an seine Zähne. Uaaahhh …“). Und sie erzählt aus ihrem beruflichen Alltag sowie dem privaten Alltag, beziehungsweise davon, dass sich das oft eben gar nicht trennen lässt: „Samstagmorgen im Supermarkt. Ich mache meine Wochenend-Besorgungen. So weit alles normal. Normal ist auch, dass ich für solche Tätigkeiten in einem Aufzug das Haus verlasse, den man gemeinhin als casual bezeichnen würde, konkret heißt das: Jeans, T-Shirt, Chucks und ein Kopftuch. Ich trage am Wochenende tagsüber selten Make-up, so auch an diesem Morgen. Als ich am Regal stehe und überlege, welchen Joghurt ich nehmen soll, höre ich neben mir ein, Hallo, was für ein Zufall, wohnen Sie auch hier in der Gegend?‘. Eine Chefredakteur-Kollegin steht neben mir, in Gucci-Jeans, Hermès-Gürtel und Empire-Top, im Arm eine Handvoll Low-Fat-Produkte …“.

Dirk Ippen (67) Verleger Ippen-Gruppe, u.a. „Münchner Merkur“, „tz“, „Hessisch-Niedersächische Allgemeine“

* www.wie-ich-es-sehe.de Frequenz: neun Beiträge in zwei Monaten

„Hier bloggt Dirk Ippen, Zeitungsverleger und in sieben Bundesländern mit rund zwei Dutzend Zeitungen …“, heißt es, dazu grüßt der Verleger von einem Bild, das aussieht, wie mit der Nagelschere ausgeschnitten, auf dem er aber ausgesprochen einladend l
acht. „Wir freuen uns über jeden Beitrag dazu – auch von Ihnen!“ Und auch wenn Ippen lediglich Kolumnen zu aktuellen Themen wie etwa der Oettinger/ Filbinger-Diskussion, die in einigen seiner Zeitungen zwischen Uelzen, Offenbach und Oberbayern erscheinen, online stellt – es geht immerhin kontrovers zu. „Dirk Ippens, Angemerkt‘ in der Ausgabe 2. Juni halte ich für so verantwortungslos, dass ich heute mein Abonnement gekündigt habe …“, steht in einem der nicht immer vielen, aber oft sehr langen Kommentare.

Klaus Methfessel (57) „WirtschaftsWoche“

* http://blog.wiwo.de/chefsache Frequenz: neun Beiträge in weniger als zwei Monaten

„Hier schreibt die Chefredaktion der, WirtschaftsWoche‘ – diskutieren Sie mit!“, heißt es, und tatsächlich bloggen neben Methfessel auch die stellvertretenden Chefredakteure Stefan Biskamp, Michael Inacker und Kai Peter Rath mit. Das führt allerdings nicht zu auffällig hoher Frequenz. Lesern begegnen bestens bekannte Satzbausteine der Wirtschaftspresse: „Alles in Butter also? Hat Deutschland seine Hausaufgaben gemacht? Für den Moment vielleicht – eben deshalb besteht kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen“. Denn, auch wenn gerade alles gut ausschauen sollte, „das Gefährliche an der gegenwärtigen Lage ist, dass der Reformdruck sinkt, weil es gut läuft. Und dass Erfolg noch nie ein guter Ratgeber war“. Das schürt wenig Lust auf Kommentare, von denen es bislang auch nicht viele gibt. Vielleicht wird es, wenn der an der TV-Show „Big Boss“ und anderen Medien-Borderlines geschulte Roland Tichy im September die Chefredaktion antritt, lebhafter.

Thomas Pyczak (47), „Chip“

* http://blog.chip.de/chiplog

* http://blog.chip.de/chiplog/ neustart-das-webtagebuch-von-thomas-pyczak-20070131 Frequenz: 18 Beiträge in zwei Monaten

Es „beginnt eine neue Phase. Chefredakteur Thomas Pyczak schreibt ab sofort den CHIPlog selbst“, meldete das Computermagazin „Chip“ Anfang des Jahres.

Mit einem „Bleibt wachsam, Kinder!“ äußert sich Pyczak zu Themen aus der Fachwelt wie den „Bundestrojanern“, mit denen Innenminister Schäuble unbemerkt Computer überwachen lassen will, und der Pädophilie bei „Second Life“, über die überall berichtet wird, und bindet Videos ein – nicht spektakulär, aber für ein Fachmagazin angemessen.

Klaus Schweinsberg (37), „Impulse“, „Capital“

* www.klaus-schweinsberg.de Frequenz: immer drei Beiträge pro Monat

Die Beschreibung „Hier schreibt Klaus Schweinsberg“ trifft zwar zu – über den behaupteten Blog-Charakter der Site aber lässt sich streiten. Der Chefredakteur von „Capital“ und Herausgeber von „Impulse“ veröffentlicht halt seine Magazin-Editorials. Immerhin, sie schreien nach Kommentaren („Wer ist eigentlich schuld an der Misere bei der Deutschen Telekom? Vorstandschef René Obermann und sein Management, die bisher jegliches Fingerspitzengefühl im Umgang mit den Mitarbeitern vermissen ließen? Oder das obszöne Besitzstandsdenken der Beschäftigten?“ Nein, „in Wahrheit ist es die Bundesregierung …“). Es gibt denn auch im Schnitt mehr Kommentare zu den Kommentaren als bei der „WirtschaftsWoche“. Außerdem dokumentiert Schweinsberg durch deren Aushalten („… tut mir leid, aber Ihrem Kommentar fehlt leider jeglicher Sachverstand“) Kritikfähigkeit.

Bernd Ziesemer (54), „Handelsblatt“

* http://ziesemer.blogg.de Frequenz: 27 Beiträge in nicht mal zwei Monaten

Wer mitten in Europa von „Déjà-vu-Erlebnissen der schlimmsten Art“ schreibt und dabei „die heftigen Kursturbulenzen an der chinesischen Börse“ im Sinn hat, kann nicht allzu viel mit gesellschaftlicher Realität am Hut haben? Doch hier trügt die Momentaufnahme. Der Chefredakteur des ohnehin beim redaktionellen Bloggen führenden „Handelsblatts“ bloggt selbst regelmäßig zu unterschiedlichen Themen. Unter dem Motto „Über ökonomische Vernunft und politische Dummheit“ zeigt er sich meinungsstark, wirtschaftsfreundlich, äußert sich aber auch deutlich zum eigenen Arbeitsalltag. Etwa über eine um sich greifende „wahre Unsitte“ der Unternehmenskommunikation: „Die Unternehmen verlangen in der Regel, nicht nur große Interviews nachträglich im Wortlaut abzustimmen, sondern selbst kleinste Äußerungen ihrer Chefs, autorisieren‘ zu lassen“, schreibt Ziesemer und ermutigt seine Redakteure dabei öffentlich, sich auf so etwas nicht einzulassen.

Erschienen in Ausgabe 7/2007 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 68 bis 71 Autor/en: Christian Bartels. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.