Das Handy zu bedienen, sei für ihn „schon viel“, sagte vor einiger Zeit Michael Glos, der Wirtschaftsminister der größten Exportnation dieses Planeten und grinste dabei breit in die Kameras. „Gott sei Dank“, fügte er noch hinzu, habe er Leute, die für ihn „das Internet bedienen“. Ein paar Wochen später versuchte sich der Bundesinnenminister auf einer Pressekonferenz daran, die Notwendigkeit geheimer Online-Durchsuchungen von Privat-PCs zu erläutern. Als wollte er Edmund Stoiber den Titel des Stammelmeisters abspenstig machen, fabrizierte Wolfgang Schäuble dabei einen fast einminütigen Silbensalat, dessen einzig sinnbehaftetes Fragment die Aussage war, er wisse jetzt, dass das Internet wohl doch nicht „so was Ähnliches wie eine Telefonanlage“ sei.
Geteilte Abneigungen: Blogger transportierten diese für Politiker erstaunlich offenen Eingeständnisse ins Netz – und dort blieben sie dann liegen. Kommentatoren und Leitartikler der klassischen Medien, ansonsten beim Dokumentieren des Fettnapfhüpfens der Regierenden nicht zimperlich, hielten sich vornehm zurück. Kein Wunder: teilen die meisten Journalisten doch die Abneigung der Politikerkaste gegen dieses merkwürdige Netzdings.
Eine Fleischwarenfachverkäuferin mag auch im 21. Jahrhundert noch ohne tiefere Internet-Kenntnisse durchs Leben gehen können. Wenn jedoch Politiker und Journalisten in ihrer Sicht auf die disruptivste Technologie seit Erfindung des Buchdrucks einträchtig zwischen Ignoranz und Aversion oszillieren, kann das gesellschaftlich fatal sein. Geht es um die digitale Welt, lassen sich die Gesetzgeber von Lobbyisten und Alarmisten oft die absurdesten Ideen in ihre Vorlagen diktieren, während die politischen Redakteure ihre Kontroll- und Aufklärungspflichten ebenso schweigend wie generös an die IT-Journalisten weiterreichen; als sei dieser ganze Bereich lediglich ein Nischenthema für Computernerds. Digitalien ist für die allermeisten Kollegen eben ein fernes und fremdartiges Land, in dem sie noch nicht einmal Urlaub machen würden. Und für Auslandsberichterstattung ist man schließlich nicht zuständig, gell?
Zickenalarm: Dass die Regierenden sich mit zunehmender Amtszeit von der Alltagswelt der Regierten entfernen, ist eine alte Erkenntnis. Neu ist, dass die Bericht erstattende Zunft sich ebenfalls auf dem Rückzug befindet und kaum Anstalten macht, die neue Kultur zu begreifen. Exemplarisch für diese Haltung des Nicht-verstehen-Wollens ist das wiederkehrende Blogger-Bashen. „Irrelevant“ und „belanglos“ sind noch die freundlichsten Etiketten, die gestandene Feuilletonisten auf die Hobby-Schreiber kleben. Mit der gleichen Logik könnte Michael Ballack über die Feierabendfußballer des TUS Böblingen lästern: irrelevantes Gekicke, unprofessionell und somit – belanglos. Das Netz hat die einstige Superkraft des Publizierens dummerweise zum Allgemeingut degradiert. Wie zickige Diven starren nun die Angehörigen der vormaligen Monopolistenzunft angewidert auf die Neuankömmlinge und lassen keine Gelegenheit aus, sich von diesen zu distanzieren.
Eine Forrester-Research-Studie stellte kürzlich fest, dass für 28 Prozent der Amerikaner unter 26 Jahren der PC das unentbehrlichste technische Gerät darstellt – gefolgt vom Mobiltelefon. In Deutschland dürfte eine ähnliche Entwicklung im Gange sein. Um diese jungen Menschen zu erreichen, reicht es nicht, sie online nach dem gleichen Schema zu füttern, wie man das 100 Jahre über die Massenmedien getan hat. Wer in der neuen Netz-Welt nicht zu Hause ist, muss sich nicht wundern, von den Netzbewohnern nicht mehr ernst genommen zu werden. Und wer seine Ahnungslosigkeit schamlos zur Schau stellt, in der Hoffnung, das Publikum sei genau so ahnungslos, darf sich nicht wundern, wenn junge Leute lieber dorthin gehen, wo sie ernst genommen werden – nach Klein-Bloggersdorf beispielsweise.
„Wir wollen ein Angebot sichern, so, wie wir es gewohnt sind“, sagte Bundeskanzlerin Merkel jüngst auf dem Medienforum NRW. Viele der anwesenden Journalisten mögen still genickt haben. Ein gefährlicher Reflex: Neugierde und Unvoreingenommenheit sind Grundtugenden für unseren Beruf. Nostalgie gehört nicht dazu.
Erschienen in Ausgabe 7/2007 in der Rubrik „Sixtus‘ Onlinetrends“ auf Seite 67 bis 67 Autor/en: Mario Sixtus. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.