Fernsehen für die Zeitung

Beim Polit-Talk „Streit im Turm“ im Internet ist der Name Programm: Zwei prominente Gäste diskutieren kontrovers, während der Moderator sich weitgehend zurückhält. Autor Ralph Giordano und Bekir Alboga, Dialog-Beauftragter der Türkisch-Islamischen Union Ditib, lieferten sich in der ersten Folge einen heftigen Schlagabtausch über ihre unterschiedlichen Auffassungen von Integration. Anlass war das umstrittene Bauvorhaben einer Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld. Dass dieses Thema inzwischen weit über Köln hinaus beachtet wird, ist maßgeblich der Videokolumne „Streit im Turm“ zu verdanken, die seit 18. Mai auf den Webseiten des „Kölner Stadt-Anzeiger“ abrufbar ist. TV-Sender und Zeitungen zitierten aus dem Webformat und aus der anschließenden Debatte, Giordano schrieb ein Manifest und in Blogs wird weiter diskutiert. „Wir wollen unser eigenes Profil stärken und mit mehr Meinung an die Öffentlichkeit gehen“, sagt „KStA“-Chefredakteur Franz Sommerfeld, der den Talk moderiert und den Titel des Formats bewusst an Erich Böhmes 1990er-Jahre „Talk im Turm“ bei Sat.1 anlehnte. Beide waren damals Weggefährten bei der „Berliner Zeitung“, Böhme als Herausgeber, Sommerfeld zuletzt als stellvertretender Chefredakteur.

Kölner Vorreiter. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir in drei oder vier Jahren mit dem Internet im Wohnzimmer landen“, so begründet Sommerfeld das Engagement des KStA. Natürlich habe man dabei auch die „Erlösstrukturen im Blick“, womit potenzielle Werbeeinnahmen, nicht jedoch kaum durchsetzbare Nutzergebühren gemeint sind. Professor Günther Rager vom Institut für Journalistik der Universität Dortmund gibt Verlagen recht, die mit Blick auf die Generation Internet jetzt verstärkt ins Web investieren. „Die Möglichkeit, diese Zielgruppe allein mit Print zu erreichen, wird sich im Laufe der Jahre verschlechtern“, sagt Rager. Der „KStA“ soll nach inoffiziellen Angaben rund 40.000 Euro in die Technik mitsamt der Einrichtung eines kleinen TV-Studios investiert haben.

In puncto Umfang und Innovationsstärke des selbst produzierten Web-TV-Angebots ist der „KStA“ führend unter den deutschen Tageszeitungsverlagen. Überregionale Nachrichtenclips von Zoom.in stellt KSTA.tv seit Mai 2006 online – mittlerweile beziehen über 100 deutsche Zeitungen und Webportale Netzvideos von der holländischen Web-TV-Agentur, die mit APTN kooperiert, und auch Reuters TV beliefert Verlage mit Clips. Im vergangenen Juli produzierte KStA.tv die ersten lokalen Videos und seit Juni 2007 gibt es sechs Rubriken – darunter den nachrichtlichen „Rheinblick“ (täglich um 16 Uhr) oder die wöchentlichen politischen „Grüße aus dem Glashaus“. Letzteres ist die selbstironische Beschreibung des Kölner Verlagsgebäudes von M. DuMont Schauberg.

Mit seinen selbst entwickelten Formaten gibt sich KSTA.tv ein eigenes Profil, auch wenn man teilweise noch merkt, dass hier eine Printzeitung Neuland betritt. In „E-Mail für Dich“ betrachtet Politik-Redakteur Tobias Kaufmann satirisch jeweils ein Thema der Woche, was etwas künstlich anmutet. Anfang und Ende seines Kommentars tippt er vor der Kamera an einen Adressaten wie Merkel oder Putin in den Laptop, doch der Mittelteil ist ein konventioneller Aufsager. Einigen Redakteuren fehlt vor der Kamera noch die nötige Lockerheit – nicht jedoch dem Volontär Christoph Hoffmann, der mit witzigen Ideen und Charme auf Reportage-Streifzüge geht. Ob als Kölner Tourist in Berlin oder als blutiger Anfänger auf der Wasserskianlage – seine Beiträge sind informativ und lustig, ohne albern zu wirken- und neuerdings auch beim Videoportal Sevenload abrufbar. „Das Format hat sich gedreht, es ist jetzt weniger freakig, als zunächst geplant. Wir wollen damit nicht in die Witzecke geraten“, sagt Jürgen Oehler, Ressortleiter Online beim KStA.

Verzahnte Arbeit. Die lokalen Formate sind inzwischen bei den Nutzern beliebter als die überregionalen Clips, was sich auch ein erster Werbekunde zunutze macht: Der Kölner Elektronikhandelskonzern Saturn präsentiert den „Rheinblick“. Rund 3000 Mal täglich wird das Gesamtangebot von KSTA.tv durchschnittlich abgerufen, doch als Christoph Daum neuer FC-Trainer wurde, zählte allein der „Rheinblick“ an einem Tag über 10.000 Zugriffe. Themenauswahl und Art der Präsentation seien „manchmal ein Spagat“, gesteht Oehler. „Boulevardeske Themen gehen sehr gut. Bei Bankraub, Unfall oder 1. FC Köln gehen die Zugriffe sofort in die Höhe.“ Doch sein Ressort habe den Anspruch, „vor allem politische und kulturelle Themen zu filmen.“ Wichtige Themen pusht die Redaktion in der gemeinsamen Themenkonferenz mit den Offline-Kollegen. „Ganz wichtig ist: Wie werden wir angekündigt in Print? Wir brauchen Querverweise und eine enge Verzahnung“, betont Oehler. Wie das funktionieren kann, zeigt beispielsweise die Reportage von Hannah Schneider (24): Die journalistische Praktikantin beschrieb im täglich beiliegenden „Magazin“ des „KStA“, wie sie den Gang eines Topmodels lernte, dokumentierte das zugleich auch in einer Videoreportage auf der Homepage der Zeitung und gab Auskunft im Blog.

Formate von Kollegen. In kleinerem Rahmen probiert auch die Potsdamer „Märkische Allgemeine“ (MA) Webvideos aus, auch hier laufen bunte Themen am besten – Eisbär Knut, eine lokale Autogrammstunde der „No Angels“ oder eine Reportage über Autogrammjäger am Babelsberger Set der RTL-Seifenoper „GZSZ“. Die „MA“ archiviert auf ihrer Website seit März 2007 pro Woche rund drei bis vier zweiminütige sprecherlose Kurzfilme von zwei Mitarbeitern zu Politik, Kultur, Sport und Boulevard, die wöchentlich rund 2.500 Mal abgerufen werden. Bei der „Augsburger Allgemeine“ produzieren seit 1. Mai zwei Mitarbeiter der verlagseigenen Radio- und TV-Produktionsfirma RT.1 Webvideos für die Zeitung. „Das Interesse der Kollegen nimmt zu“, sagt Online-Chef Günther Vollath, sei derzeit aber „eher bei den Fotografen angesiedelt“, die bald mit Digicams ausgerüstet werden sollen. Auch Vollath stellt fest, dass regionale Clips besser laufen als die Agenturangebote von Reuters. Unter den „Top Ten“ Videos seien acht lokale Beiträge, sagt Vollath. Und von den 50.000 Abrufen im ersten Monat seien allein 9000 auf einen Film über einen lokalen Großbrand entfallen.

Mit Investitionen von rund 10.000 bis 15.000 Euro ist der „Südkurier“ vor einem Jahr ins Web-TV eingestiegen. Zwei bis drei lokale Videos stellen die Konstanzer pro Woche online. „Anfangs haben die Printkollegen bei Presseterminen mit der Digicam mitgefilmt, aber wir haben schnell gemerkt, dass die Qualität nicht ausreicht“, berichtet Olaf Kunz, Leiter der Online-Redaktion. „Man braucht sinnvollerweise ein Team, vor allem bei Interviews. Ein Interviewer, der nebenbei auch die Kamera bedienen muss, ist zu unflexibel. Bei Großereignissen ist es schon eher möglich, die Kamera nebenbei mitlaufen zu lassen.“ Einer der Spitzenreiter mit 1200 Zugriffen an einem Tag war beim „Südkurier“ bislang eine Pressekonferenz im April beim Pharmakonzern Altana. Es ging um die Firmenübernahme und den drohenden Verlust von Arbeitsplätzen in der Region.

Seit Mitte Juni können die Printredakteure ohne Umweg über die Online-Redaktion zu Blitzmeldungen ungeschnittene Videos ohne Sprecherstimme direkt aus dem Printredaktionssystem (CCI) als Flashfilme ins Online-Angebot einstellen. Sie spielen beim Aufruf der Meldung auf der Homepage direkt unter der Meldung los. In puncto Nutzerfreundlichkeit hat der „Südkurier“ damit deutlich zugelegt. Üblicherweise werden die Webvideos von Zeitungen nämlich nicht dort eingestellt, wo sie thematisch hingehören, sondern gebündelt unter einer Rubrik „Video“. Das ist technisch einfacher, aber unlogisch. Oder käme für die Printausgabe jemand auf die Idee, alle Fotos gebündelt auf den letzten drei Seiten abzudrucken?

Tipp:

„Visual journalist“ Chuck Fadely vom „Miami Herald“ hat für filmende Printjournalisten Tipps zusammengestellt unter: http://newspaper-video.blogspot.com/2007/01/video-survival-guide-by-chuck-fadely.html

Linktipp

www.ksta
.tv

www.maerkischeallgemeine.de/cms/ziel/5735271/DE/

www.suedkurier.de/ videos/index.html

www.augsburger-allgemeine.de/Home/Videos+Bilder/ Uebersicht/regid,2_puid,2_pageid,4655.html

www.watchberlin.de

Erschienen in Ausgabe 7/2007 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 26 bis 29 Autor/en: Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.