Gefragte Alleskönner

Die Journalisten sterben aus. Oder doch nur die professionellen unter ihnen? Oder werden auch die bloß anders, freiwillig oder nicht? Manuel Garcia, der derzeit wohl bekannteste Zeitungsdesigner der Welt, meint jedenfalls, daß es in Print und Web eine Renaissance der langen Texte gibt. Seine Untersuchungen zeigen sogar, dass die Leser im Web länger lesen als in den Print-Ausgaben. Den Grund dafür kann man nur vermuten: Auf Webseiten weiß der Leser nicht, wie lang ein Text ist, und außerdem lenkt kein Rundherum ab, etwa Bilder oder andere Texte. Jedenfalls: für gute lange Texte braucht man professionelle, gute Schreiber, also erst recht Journalisten. Denn eines ist klar – und da waren sich alle Referenten beim Weltkongress der Zeitungen und beim World Editors Forum Anfang Juni in Kapstadt einig: Nur über die Qualität kann die Zukunft der Zeitungen gesichert werden. Was allerdings Qualität bedeutet, das wurde wieder einmal nicht ausgesprochen, man kann sie aber aus den zahlreichen Puzzle-Teilen zusammensetzen.

Alleskönner. Vor zehn Jahren war auf den Welt-Kongressen zu hören, dass Journalisten der Zukunft, also die von heute, die sprichwörtliche Eier legende Wollmilchsau sein werden, also alles können und tun müssen; für jedes Medium arbeiten, Print, Radio, TV und Online beherrschen. Ein paar Jahre später hieß es auf den Welt-Kongressen, dass es diese Spezies nicht gibt und gar nicht geben kann. Heute aber erzählen alle Fallstudien erfolgreicher Medien aus allen Ländern, dass natürlich in den Redaktionen nur noch Alleskönner sitzen, dass die Unterscheidung in Print-, Online-oder Radio-TV-Journalist der Vergangenheit angehört und alle Ressort-oder Mediengrenzen gefallen sind oder fallen müssen.

Meinung zählt. Die Aufgaben des Journalismus sind jedoch immer die gleichen. Er liefert das mediale Kernangebot, die neuen, interessanten, überraschenden und unterhaltsamen Inhalte. Sie und nicht die Werbung oder Leserreporter machen das Produkt aus und bestimmen die Lebensfähigkeit und die Möglichkeit, Gewinn zu machen. Dementsprechend sind sich die Medienmacher auch bei der Frage einig, was man in Zukunft für mehr Qualität und damit mehr Erfolg braucht: erstens mehr und zweitens besser mehrmedial ausgebildete Journalisten. Drittens folgt der Glaube an mehr Meinungsbeiträge. Das ist zumindest das Ergebnis der regelmäßigen Befragung von Journalisten auf der ganzen Welt im Rahmen der „Trends in newsrooms“. Wie wichtig die Medien nach wie vor sind, lässt sich an einer anderen Zahl ablesen: weltweit vertrauen 61 Prozent der Menschen den Medien und nur 52 Prozent den Regierungen.

Ängste. Ein weiteres Ergebnis der Trends-in-newsrooms-Umfrage zeigt die Ängste der Journalisten: 28 Prozent sehen die redaktionelle Freiheit durch Werbung bedroht, 26 Prozent durch Gewinnstreben der Eigentümer, 19 Prozent durch politischen Druck und 9 Prozent durch PR und Firmen. Trotz dieser Ängste sehen 85 Prozent der Befragten die Zukunft der Zeitung positiv. Eine kürzlich in Österreich vom Kuratorium für Journalistenausbildung durchgeführte Studie kommt zu ganz ähnlichen Ergebnissen.

Die neuen Journalisten müssen mehr als bisher an die Leser denken und an deren geänderte Gewohnheiten durch das Web. So tauchte immer wieder das Schlagwort vom „New-Story-Telling“ auf. Damit sind vor allem weitere journalistische Fähigkeiten gemeint: Foto, Layout und Info-Grafik. Erfolg, so zeigen Fallstudien, haben jene Zeitungen, die neben den traditionell erzählten Geschichten auch mit Grafiken Geschichten erzählen, mit Fotostrecken die Texte ergänzen und überhaupt durch intelligente Leserführung, also Layout und grafischen Journalismus die Leser in den Text hineinziehen. Die Leute lieben Charts, im Web kommen nach einer Blickstudie vom Poynter Institute 88 Prozent nicht an Charts vorbei.

Verknüpft. Vom Web lernen kann man noch eine Reihe anderer Erzählweisen. So macht etwa die indische Zeitung „The Hindu“ Hinweise wie Yahoo in der Art: „Wenn Sie das gelesen haben, dann könnte sie auch die Geschichte X auf Seite Y interessieren“. Oder kleine Infoboxen im Text, die wie Mouse-over die Kürzest-Erklärung liefern. So frischte eine Zeitung eine große Geschichte über ein Erdbeben mit Boxen auf: „What happened?“ Auch das Layout muß sich den neuen Sehgewohnheiten anpassen. Garcia schlägt vor, die Ankündigungen auf Seite 1 zu gruppieren in: „Was man lesen muss“, „Was man lesen könnte“ und eine „Box mit Süßigkeiten“. Garcia gibt aber auch zu, dass sein Plan für eine Tageszeitung, die Seite 1 wie im Web nur mit Inhaltsverzeichnissen ohne Inhalte zu füllen, nicht nur von den Verantwortlichen der Zeitung abgelehnt wurde, sondern auch zu weit gegangen sei.

Interaktiv. Bei allem Lernen vom Internet dürfe man aber nicht vergessen, dass das Schlagwort „Interaktivität“ nicht erst durch das Internet Bedeutung erhielt. Zeitungen seien immer schon interaktiv gewesen, betonte Don Wittekind vom Poynter Institute. Leserbriefe, Anrufmöglichkeiten und andere Kontaktmöglichkeiten seien keine Erfindungen der digitalen Welt.

Eine der wesentlichsten Änderungen für Journalisten und Medien ist jedenfalls die Produktionsfolge: Nicht mehr die Zeitung steht im Mittelpunkt des Denkens, sondern die Nachricht. Danach wird das jeweils entsprechende Trägermedium gewählt. Breaking News auf Pager oder Handy, Mailnachricht, dann eine erste Geschichte im Web, dann die Zeitung und dann die Nachfolgegeschichte im Web. Der Vorzug der Zeitung ist tot, denn „die Leser wissen zu 60 Prozent schon die wichtigsten Nachrichten, wenn sie die Zeitung zu lesen beginnen“. (Garcia) Der ideale Newsroom wird nach den Konsumenten geplant. Der erste Schritt heißt: Wann und wo konsumieren die Kunden News?

Juan Senor von der britischen Innovation Interational Media Group hat folgenden Kreislauf des Medienkonsums ermittelt: Am Morgen Mail checken, dann Zeitung lesen, im Auto Radio hören und abends wieder Mail und TV. Dazwischen das Neueste am Handy. Der Newsroom wird entsprechend geplant, die Inhalte jeweils zeitgerecht an die verschiedenen Kanäle geliefert: auf Papier, online, on Air oder auf die Mobilgeräte. Die Struktur des Newsrooms passt sich dieser Informationsabfolge an.

Nicht geändert hat sich das Leseverhalten in der Zeitung. Zwei Erhebungen, eine von 1990 und eine aus dem Vorjahr, zeigen laut Garcia übereinstimmend: Der Leser schaut zuerst auf das große Foto, dann auf die große Überschrift und dann auf den Bildtext. Überschriften und Bildtexte sind also die wichtigsten journalistischen Texte, obwohl sie in vielen Redaktionen mit wenig Sorgfalt gemacht werden. Dieses Verhalten ist bei den beiden von Garcia zu je 50 Prozent ausgemachten Lesertypen gleich. Sowohl die Scan-Reader, die die Seite erst überfliegen und dann lesen, als auch die methodischen Leser, die durch die Seite und durch das Blatt arbeiten, gehen so vor.

Wandzeitung. Ganz große Unterschiede in der Auffassung von Journalismus gab es selbstverständlich durch die sehr unterschiedlichen Arbeitsbedingungen weltweit. Wenn die diesjährige Golden Pen of Freedom an den Chinesen Shi Tao geht, der in China im Gefängnis sitzt, weil er die Welt per Mail über offizielle und öffentliche Einschränkungen in China informierte, dann zeigt das die Spannweite. Ebenso bei den Journalisten aus Afrika, die unter Umständen arbeiten, die den Europäern unvorstellbar erscheinen. So etwa der liberianische Journalist Alfred Sirlaf, dessen „Zeitung“ Tafeln an der Straße sind, die er mit Kreide beschreibt. Daneben die Diskussion über „Wer hat das schnellste Medium?“ oder „Wird das Papier überleben oder ist es doch nur eine „Dead-Wood-Technology?“

Allen gemeinsam war auch dieses Jahr das Bekenntnis zu gutem Journalismus, der informiert statt lügt und der seine Bedeutung behält, unabhängig vom Medium oder der Schnelligkeit der Informationsübermittlung. Journalistische Grundwerte, gepaart mit ständig weiterentwickeltem Können, sind ein Garant für starke Medien unabhängig vom Gr
ad der Freiheit, den die Regierenden zulassen.

Linktipp:

Die Homepage der Weltzeitungsverbandes: www.wan-press.org

Erschienen in Ausgabe 7/2007 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 24 bis 25 Autor/en: Meinrad Rahofer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.