Kenner und Kümmerer

Mords-Scoop

Im März hatte die „Zeit“ mal wieder Günter Wallraff vorgestellt. Im Rahmen der selten gepflegten Rubrik „Spaziergang“ lief man über einen Friedhof, der Text endete mit der Sorge des „ewigen Kümmerers“, womöglich ermordet zu werden („Ein solches Ende wäre unter meinem Niveau“). Illustriert war er rätselhafterweise mit einem Stadtplanausriss, der zeigte, wo genau Wallraff in der Kölner Thebäerstraße wohnt. Was er eigentlich gerade macht, stand nicht darin – damit wartete die „Zeit“ bis Ende Mai. Zum Comeback des Supplements kehrte Wallraff als Undercover-Reporter zurück, zierte als Harrison Ford-Double das Cover. Das Heft selbst fanden alle gut, weil derzeit alle alles aus der „Zeit“ eh gut finden. Wallraff immerhin ist unbestechlich wie eh und je. Auf der Berliner Premierenparty nannte er das Interview mit „Deutsche Bank“-Chef Josef Ackermann „schleichwerbeartig“, das hätte zugunsten seines (auch nicht kurzen) Berichts gekürzt werden können.

Prestige-Philosophie

Da die „Zeit“ auch das Inszenieren ihrer Zugpferde immer weiter perfektioniert, umhüllte die Zeitung, in der das erste Magazin steckte, ein Doppeltitel, dessen äußere Seite den genüsslich rauchenden Helmut Schmidt zeigte. Schließlich äußert der Altkanzler in einer neuen Magazinrubrik für eine Zigarettenkürze Ansichten, die wohl schon einst an der Ostfront kursierten („Die politische Kultur Russlands besteht aus Diktatur“). Dank des Doppeltitels sprang Giovanni di Lorenzos Leitartikel auf der eigentlichen Titelseite nicht so ins Auge. Da antwortete der Chefredakteur auf den großen Essay, in dem Jürgen Habermas zuvor im „SZ“-Feuilleton sich um die Zukunft der seriösen Zeitungen gesorgt hatte. Der Philosoph hatte wiederum in der „Zeit“ vom drohenden Verkauf der „SZ“ gelesen. Seine Idee: ein „öffentlich-rechtliches Reservat“ für die „räsonierende Publizistik“, z.B. „Zeit“ und „SZ“. Di Lorenzo drückte zur Antwort Zuversicht aus, dass „gute Journalisten und Verleger“ sowie Leser auch „ohne Hilfe von außen“ Marktversagen verhindern. Denn wie Habermas „zu den besten Kennern“ gehört, so „gehören die Zeitungen in Deutschland zu den besten der Welt“. Sie sind oft auch lesenswert – nur wenn ehrbare Leitartikler einander zu sehr auf die Schultern klopfen, manchmal etwas weniger.

Noch eine Di Lorenzo-These: „Echte Verleger“, die „keine Heuschrecken, vor denen sich Habermas fürchtet“, seien, schätzten „auch eine andere Währung als den gewohnten Cashflow: Prestige und Einfluss, die ihnen die großen Titel in Deutschland nach wie vor bescheren“. Die Idee, dass ja auch die emsigen Käufer von Holtzbrinck (u.a. „Die Zeit“) die „SZ“ kaufen könnten, kam kurz darauf wieder via „Stuttgarter Zeitung“ auf.

Gut im Bett

Schön vielfältig waren die Reaktionen auf die lang und gespannt erwartete Tabloidausgabe der „Frankfurter Rundschau“, die sechs Tage nach dem „Zeit-Magazin“ an den Kiosk kam. „Ja, es kann“, beantwortete die „Berliner Zeitung“ die selbst gestellte Frage, ob das Tabloid-Format „auch bei einer seriösen Zeitung funktionieren“ kann. Ansonsten reichte Kritik von netter Süffisanz („ein Redakteurstraum: 56 Seiten Platz und kaum eine Anzeige, die beim Layouten stört“, „FAZ“) bis zu Harschem aus unvermuteter Ecke: Das Blatt wirke „leider weiter arm – und überhaupt noch nicht sexy“ („taz“). „Irgendwie“ an „eine erwachsene, taz'“ erinnert fühlte sich indes die „Welt“. Alfred Neven DuMont, seit dem Neustart das „FR“-Impressum als „Vorsitzender des Herausgeberrates“ anführt, hatte natürlich ein honoriges Geleitwort parat. Dem gelang das Kunststück, antifaschistische Tradition mit Globalisierung und Kritik an der „SZ“ (Die „FR“-Einsparungen „anzuprangern, ist vor allem lächerlich von einem Haus“, das „selbst so krisengebeutelt war“) zu verknüpfen – und überdies die Vorteile des Tabloidformats pragmatisch herauszuarbeiten. Dass es im Zug praktisch zu lesen ist, sagt ja jeder; es ist aber „sogar im Bett viel einfacher aufzunehmen“.

Christian Bartels ist freier Journalist in Berlin und schreibt u. a. das „Altpapier“ der „netzeitung“. eMail: autor@mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 7/2007 in der Rubrik „Chronik“ auf Seite 14 bis 15 Autor/en: Christian Bartels. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.