Kritische Presse unerwünscht

?Herr Weberling, Sie haben auf dem Hambacher Kongress leidenschaftlich für ein Umdenken von Journalisten und Verlegern in Sachen Pressefreiheit plädiert. Was stört Sie am Status quo?

Johannes Weberling: Mich stört, dass man zwar Betroffenheit signalisiert, wenn wieder einmal eine Durchsuchungsaktion wie bei Cicero stattfindet, dann aber relativ schnell zur Tagesordnung übergeht. Journalisten- und Verlegerverbände sowie die Journalisten selbst müssen realisieren, dass sie etwas gegen die Grundstimmung im Land unternehmen müssen. Denn das Verständnis für die Notwendigkeit und Funktion der Pressefreiheit in einer freiheitlichen Demokratie hat sich schleichend gewandelt.

Inwiefern?

Das Wissen und Verständnis darüber, was Pressefreiheit beinhaltet, also beispielsweise Auskunftspflichten gegenüber Journalisten oder die Notwendigkeit einer kritischen Presse, gehen immer mehr verloren. Das stelle ich bei meiner Tätigkeit als Anwalt immer wieder fest. Man möchte offensichtlich eine Meinungspresse haben, die die eigene Meinung wiedergibt. Eine kritische Presse ist dagegen häufig unerwünscht.

Wo liegen die Gründe für diese Entwicklung?

Die Gründe sind vielfältig. In den vergangenen sieben Jahren gab es extreme Einnahmenrückgänge auf der Anzeigenseite. Dadurch lag der Schwerpunkt in den Medienhäusern eindeutig auf der Existenzsicherung. Außerdem spielt der Umbruch in der Mediennutzung und der damit einhergehende Auflagenrückgang der Printmedien eine entscheidende Rolle. Diese Faktoren haben den Blick der Akteure auf andere Dinge gelenkt. Ich plädiere dafür, dass man sich in den Medienhäusern wieder auf die Grundlagen der Pressefreiheit für alle Medien zurückbesinnt. Denn eines ist klar: Ohne Pressefreiheit ist die Demokratie nicht überlebensfähig.

Gibt es schwarze Schafe in der Medienbranche, die immer wieder mit dem Presserecht in Konflikt geraten?

Konkrete Namen werden Sie dazu von mir nicht hören, da sich Kollegenschelte einfach nicht gehört. Im Bereich der Sensationspresse wird allerdings sehr häufig über die Grenzen hinausgegangen. Das ist aber keine Pauschalverurteilung, denn natürlich gibt es auch dort sehr viele seriös arbeitende Kollegen. Doch in diesem Bereich ist der Drang größer, über die Stränge zu schlagen. Und man muss leider auch feststellen, dass im privaten Rundfunk vielfach anders über Persönlichkeitsrechte nachgedacht wird, als das bei Printmedien normalerweise der Fall ist.

„Online first“ lautet seit einiger Zeit das Schlagwort in den Medienhäusern. Stehen Medien- und Presserecht durch diese Entwicklung vor neuen Herausforderungen?

Auf jeden Fall. Zwei Dinge sind wichtig: Zum einen darf die schnelle Nachricht im Online-Bereich nicht zur unseriösen Recherche verführen. Man darf hier nicht schlampig werden und eine Nachricht rauspusten, ohne sie gegenrecherchiert zu haben. Zum anderen müssen wir aufpassen, dass die Regeln des Presserechtes bei Aktivitäten der Verlage im Internet nicht durch das Rundfunkrecht überlagert werden. Das ist in Deutschland sehr stark reguliert und der Einflussnahme der Europäischen Union ausgesetzt. Mit Pressefreiheit hätte das dann nicht mehr viel zu tun. Diese Regulierung ist nur durch den Frequenzmangel im Hörfunk und im Fernsehen gerechtfertigt. Im Internet gibt es keinen Frequenzmangel. Dementsprechend müssen dort die liberalen Regeln des Presserechts gelten. Wenn wir hier nicht aufpassen, laufen wir Gefahr, dass die Pressefreiheit durch die Hintertür ausgehebelt wird.

Wo sehen Sie weitere Trends in der aktuellen Medienrechtsprechung?

Es gibt den Trend eines immer geringeren Verständnisses für das Funktionieren des Pressewesens. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass auch Persönlichkeitsrechtsschutz nicht dazu führen darf, dass Zeitungen am seriösen Arbeiten gehindert werden. Das heißt: Wenn eine Zeitung seriös arbeitet und eine Meldung bringt, die sich im Nachhinein als falsch herausstellt, darf sie deswegen nicht zur Verantwortung gezogen werden. Sie muss es richtigstellen. Damit ist es aber auch getan. In der aktuellen Rechtsprechung wird das Verständnis für diese Notwendigkeit des Pressebetriebes immer geringer. Das liegt aber sicherlich auch an Fehlern, die leider von Medien gemacht wurden.

Journalisten protestieren aktuell gegen die Vorratsdatenspeicherung. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, dass nicht mehr auf Grund eines Verdachts einzelne Telefone angezapft werden, sondern dass die Daten verdachtsunabhängig mitgeschnitten werden dürfen. Sehen Sie darin einen Angriff auf die Pressefreiheit?

Für dieses Vorhaben habe ich grundsätzlich Verständnis. Allerdings halte ich es für unerlässlich, dass im Gesetz eine Sonderbestimmung für Medienvertreter in Ausübung ihres Berufes enthalten ist.

Wie sollten diese Sonderrechte aussehen?

In meinen Augen dürfen Diensttelefone von Redakteuren nicht abgehört und keine Daten gespeichert werden. Denn Journalisten bekommen ihre Sonderrechte nicht, weil sie bessere Menschen sind, sondern weil sie einen Beruf ausüben, der für die Demokratie wichtig ist.

Linktipp

Der Originalwortlaut des „Hambacher Appells“ von BDZV und DJV ist nachzulesen unter: www.bdzv.de; www.djv.de.

Erschienen in Ausgabe 7/2007 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 30 bis 31 Autor/en: Interview: Andreas Braun. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.