* Herr Smoltczyk, liest man Ihre Dokumentation über die Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI., stößt man auf mindestens 15 verschiedene Quellen.
Alexander Smoltczyk: Dann werden es insgesamt vielleicht 25 gewesen sein.
* Wie haben Sie recherchiert?
* Ganz am Anfang hatte ich mir eine Rechercheliste geschrieben: mit zehn, zwölf Namen oder Institutionen, die ich abgeklappert habe, per Telefon oder E-Mail oder, wenn möglich, im direkten Gespräch in irgendeinem Café in Rom. Manchmal hatte ich danach ein, zwei neue Namen und Telefonnummern, die mich wieder einen Schritt weiterbrachten.
* Als Sie im Herbst 2006 mit der Recherche begannen, waren Sie seit anderthalb Jahren als Korrespondent in Rom. Hätten Sie diese Geschichte auch zu Anfang schreiben können?
* Auf keinen Fall. Ich brauchte ja Zugang. Und den muss man sich ohne den nötigen Stallgeruch erst erarbeiten. Zumal als Protestant, zumal als Korrespondent eines notorisch kirchenkritischen Magazins wie dem „Spiegel“. Das dauert. Die ersten Monate bin ich nur bei Kollegen mitgelaufen, um zu beweisen, dass ich nicht nach Schwefel rieche. Vermutlich sind meine ersten Geschichten aus Rom und aus dem Vatikan sehr sorgfältig gelesen worden. Ob ich fair bleibe. Ob nur gelästert wird. Ob man mir vertrauen kann. Die ersten anderthalb Jahre waren der Grundstein für diese Recherche.
* Papst Benedikt XVI. selbst kommt in Ihrem Text nicht zu Wort. Haben Sie ihn überhaupt schon einmal gesprochen?
* Einmal. Für etwa eine Viertelsekunde beim Fototermin im Papstflugzeug auf dem Rückflug vom Weltjugendtag in Köln. Ein Papst ist kein Politiker, der Journalisten zum Hintergrundgespräch einlädt. Seit meiner Ankunft in Rom bemühen wir uns um einen Interviewtermin, bislang vergeblich. Das ist kein Zeichen bösen Willens, nur Ausdruck anderer Prioritäten. Bei dieser Recherche war mir von Anfang an klar: Die volle Wahrheit werde ich nie erfahren. Die kennt nur einer und der spricht nicht mit mir. Es ist ein bisschen wie ein Krimi, bei dem der Mörder nicht entlarvt wird.
* Sie rekonstruieren, wie das Zitat eines byzantinischen Kaisers aus dem 14. Jahrhundert in jene Rede kam. Wieso war Ihnen das so wichtig?
* Ich muss zur Vorgeschichte sagen: Als Joseph Ratzinger vor zwei Jahren Papst wurde, war ich entsetzt. Er war mir viel zu konservativ, zu hart. Mit der Zeit habe ich ihn aber als Intellektuellen schätzen gelernt. Auch auf einen Ungläubigen macht es Eindruck, wie sich jemand mühelos in der Geistesgeschichte Europas bewegt; wie er jahrhundertealte Konzile zitiert, um der Gegenwart Orientierung zu geben. Benedikt XVI. hat nicht das Charisma seines Vorgängers, er ist kein Mystiker. Aber das macht ihn für mich gerade lesenswert. Die Vorlesung in Regensburg hatte etwas Ketzerisches, das gefiel mir. Vernunft als Gottesgeschenk, Glaube als Vollendung der Aufklärung – das sagen Päpste nicht jeden Tag. Und dazu die indirekte Kritik am Islam und dessen Vernunftvergessenheit. Es war eine brillante Rede. Wie konnte es also passieren, dass dieser Rede wegen in Indonesien Papst-Puppen verbrannt werden? Das wollte ich wissen. Es war die Panne, der Kommunikations-Gau, der mich interessierte.
* Ist Ihnen dieser Gau sofort aufgefallen?
* Ich war in Regensburg nicht dabei und habe also davon gehört wie alle anderen: in den Nachrichten. Am nächsten Tag habe ich im Internet nach der Vorlesung gesucht und mich gefragt: Was haben die eigentlich? Hat irgendjemand den Text gelesen?
* Also haben Sie Theologen, EU-Abgeordnete, Kardinäle, Journalisten, Mitarbeiter des Papstes befragt. Wie lange haben Sie recherchiert?
* Mehrere Wochen, vielleicht zwei Monate.
* Wann war Ihnen klar: Jetzt habe ich genug Fakten gesammelt?
* Sobald sich die ersten Sätze im Kopf bilden, sobald ich die Überschrift habe und den ersten Absatz. Ich weiß auch beim Schreiben ziemlich genau, wann eine Geschichte fertig ist.
* Basteln Sie sich vor dem Schreiben eine Struktur? Oder schreiben Sie einfach drauflos?
* Ich muss sofort anfangen, öffne auf dem Laptop das „Spiegel“-Layout und fange an, die Überschrift einzutippen. Dann den Vorspann. Und dann weiß ich, was ich erzählen will. Ich kann nicht denken, ohne zu schreiben. Ich kann auch keine Stichpunkte aufschreiben, ohne dass sofort Sätze daraus würden.
* Viele Journalisten haben gerade vor den ersten Sätzen die größte Angst.
* Ich nicht. Ich fange damit an, die Szene aufzuschreiben, die mich am meisten beeindruckt hat. Meist lasse ich sie dann vorne stehen und schreibe einfach weiter. Auch bei der Regensburg-Geschichte. Ich habe mich von Anfang an gefragt: Woher kommt dieses Zitat? In welchem Buch hat Benedikt XVI. es aufgestöbert – wie sieht es aus, wer hat es ihm geschickt? Es war eine Doktorarbeit, 1966 erschienen, mit Seiten, die man noch mit dem Messer aufschneiden musste. Als der Autor, ein libanesischer Religionswissenschaftler, mir das erzählte, wusste ich sofort: Jetzt habe ich meinen Anfang.
* Wie hat der Vatikan auf Ihren Text reagiert?
* Der Papst hat ihn vermutlich nicht gelesen. Stellen Sie sich ihn wirklich nicht wie einen internationalen Politiker vor. Der Papst liest nicht den „Spiegel“, sondern den „Osservatore Romano“, dazu vorsortierte Artikel und vielleicht eine italienische Tageszeitung. An der Spitze eines absolutistischen Staates zu stehen, lässt keine Zeit für Zeitungsschmökereien. Der Ratzinger-Papst hat keine Vorstellung von der globalen Mediengesellschaft. Sie interessiert ihn nicht. Vielleicht braucht sie das auch nicht, aber dieser blinde Fleck ist ein Grund für die PR-Katastrophe von Regensburg.
* Haben Sie das Problem vieler Lokaljournalisten: dass Sie nach einer kritischen Vatikan-Geschichte keinen Interviewpartner mehr finden?
* Nein. Auch diese Geschichte, die ja durchaus kritisch sezierend ist, wurde wohlwollend aufgenommen. Weil sie im Ton offenbar fair geblieben ist und hoffentlich auch nicht völlig neben den Tatsachen liegt. Die Zeit der großen Schaukämpfe zwischen katholischer Kirche und säkularen Medien ist vorbei. Man ist neugieriger aufeinander geworden. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, eines Tages noch ein „Spiegel“-Gespräch im apostolischen Palast zu führen.
Interview: Inka Schmeling
Erschienen in Ausgabe 7/2007 in der Rubrik „Best of Henri-Nannen-Preis 2007“ auf Seite 38 bis 38. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.